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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Uhlichs Bedeutung ruht lediglich darin, daß er genau so dachte, wie die
Masse, die eigentlich nur denkt d. l). raisonnirt, um sich der Gedanken zu er¬
wehren. Uhlich ist unzweifelhaft ein höchst wohlmeinender Mann, von einem
unruhigen Thätigkeitsdrang, der aber keinen wirklichen Inhalt hat und daher
nach dem ersten besten Inhalt greift, der ihm geboten ist, der nicht die Energie
des Enthusiasmus besitzt, aber doch jene Unermüdlichkeit, die heute sagt, was
sie gestern sagte. Seine unbefangene Bonhomie würde zuweilen sehr liebens¬
würdig sein, spräche sich in den Gedanken des Mannes nicht eine so entsetz¬
liche Trivialität aus. Insofern verdient das Büchlein allgemeine Aufmerk¬
samkeit.

Uhlich war seit seinem 30. Jahre (1828) Pastor in Pömmelte, hatte sich
mit seinen rationalistischen Nachbarn zu häufigen Besprechungen vereinigt und
seit 1841 die Versammlungen der protestantischen Freunde ins Leben gerufen.
Infolge dessen wurde er 18is von der rationalistischen Katharinengemeinde
in Magdeburg als Pfarrer berufen. Er fand sogleich einen großen Zulauf
und schwankte im Anfang, ob er noch die alten Glaubensartikel vortragen
sollte. "Die beiden Gedanken entschieden, daß ich die Männer, die mich ge¬
wählt, nicht gleich von Anfang in brennenden Kampf hineinziehn und daß ich
den neuen Wirkungskreis nicht sofort durch einen so ausfallenden Schritt ge¬
fährden dürfe. Die Strafe dafür habe ich allsonntäglich getragen. Was half
mirs, daß ich stets begann: "Das alte Glaubensbekenntniß lautet" le. Mein
Gewissen sprach, es ist nicht wahr, was du da sagst und du sagst es grade an
der Stelle, wo du am heiligen Reich der Wahrheit zu bauen ausdrücklich be¬
rufen bist." -- In dieser Gemüthsverfassung wurde er durch eine vielseitige
Beschäftigung, wie sie ihm zusagte und durch eine behagliche äußere Stellung
getröstet. Erst im Jahr 1847 begannen von Seiten des Kirchenregiments
ernstliche Untersuchungen. "Daß ich am 16. April an den König schrieb und
inständig bat, den Behörden auf dem eingeschlagenen Wege Einhalt zu gebie¬
ten und Schonung und Geduld für mich, für den Rationalismus überhaupt
nachsuchte, ging nicht aus Berechnung und nicht ans Berathung hervor, son¬
dern war Herzenssache. Ich wollte nichts unversucht lassen, was meines Er-
achtens dienen konnte, in der Landeskirche freie Bewegung und mich in meinem
Amte zu erhalten. Die königliche Antwort ist bekannt. Die Schlußstelle war
wichtig in Bezug auf meine Zukunft. Sie lautet: ""Mein Patent vom
30. März d. I. hat jedem, dem sein Gewissen verwehrt, seine Gemeinde im
Bekenntniß der Kirche zu stärken, den Weg gezeigt, aus diesem Conflict zu kom¬
men, ohne in den andern erwähnten Gewissenswiderspruch zu verfallen. Dem
Pfarrer Uhlich muß es daher überlassen bleiben, ob er diesen Weg erwählen
oder ob er, wie die Menge der rationalistischen Geistlichen, sich den Ordnungen
der Kirche und den Forderungen des Amtes, nach welchem er sich nennt, fried-


Uhlichs Bedeutung ruht lediglich darin, daß er genau so dachte, wie die
Masse, die eigentlich nur denkt d. l). raisonnirt, um sich der Gedanken zu er¬
wehren. Uhlich ist unzweifelhaft ein höchst wohlmeinender Mann, von einem
unruhigen Thätigkeitsdrang, der aber keinen wirklichen Inhalt hat und daher
nach dem ersten besten Inhalt greift, der ihm geboten ist, der nicht die Energie
des Enthusiasmus besitzt, aber doch jene Unermüdlichkeit, die heute sagt, was
sie gestern sagte. Seine unbefangene Bonhomie würde zuweilen sehr liebens¬
würdig sein, spräche sich in den Gedanken des Mannes nicht eine so entsetz¬
liche Trivialität aus. Insofern verdient das Büchlein allgemeine Aufmerk¬
samkeit.

Uhlich war seit seinem 30. Jahre (1828) Pastor in Pömmelte, hatte sich
mit seinen rationalistischen Nachbarn zu häufigen Besprechungen vereinigt und
seit 1841 die Versammlungen der protestantischen Freunde ins Leben gerufen.
Infolge dessen wurde er 18is von der rationalistischen Katharinengemeinde
in Magdeburg als Pfarrer berufen. Er fand sogleich einen großen Zulauf
und schwankte im Anfang, ob er noch die alten Glaubensartikel vortragen
sollte. „Die beiden Gedanken entschieden, daß ich die Männer, die mich ge¬
wählt, nicht gleich von Anfang in brennenden Kampf hineinziehn und daß ich
den neuen Wirkungskreis nicht sofort durch einen so ausfallenden Schritt ge¬
fährden dürfe. Die Strafe dafür habe ich allsonntäglich getragen. Was half
mirs, daß ich stets begann: „Das alte Glaubensbekenntniß lautet" le. Mein
Gewissen sprach, es ist nicht wahr, was du da sagst und du sagst es grade an
der Stelle, wo du am heiligen Reich der Wahrheit zu bauen ausdrücklich be¬
rufen bist." — In dieser Gemüthsverfassung wurde er durch eine vielseitige
Beschäftigung, wie sie ihm zusagte und durch eine behagliche äußere Stellung
getröstet. Erst im Jahr 1847 begannen von Seiten des Kirchenregiments
ernstliche Untersuchungen. „Daß ich am 16. April an den König schrieb und
inständig bat, den Behörden auf dem eingeschlagenen Wege Einhalt zu gebie¬
ten und Schonung und Geduld für mich, für den Rationalismus überhaupt
nachsuchte, ging nicht aus Berechnung und nicht ans Berathung hervor, son¬
dern war Herzenssache. Ich wollte nichts unversucht lassen, was meines Er-
achtens dienen konnte, in der Landeskirche freie Bewegung und mich in meinem
Amte zu erhalten. Die königliche Antwort ist bekannt. Die Schlußstelle war
wichtig in Bezug auf meine Zukunft. Sie lautet: „„Mein Patent vom
30. März d. I. hat jedem, dem sein Gewissen verwehrt, seine Gemeinde im
Bekenntniß der Kirche zu stärken, den Weg gezeigt, aus diesem Conflict zu kom¬
men, ohne in den andern erwähnten Gewissenswiderspruch zu verfallen. Dem
Pfarrer Uhlich muß es daher überlassen bleiben, ob er diesen Weg erwählen
oder ob er, wie die Menge der rationalistischen Geistlichen, sich den Ordnungen
der Kirche und den Forderungen des Amtes, nach welchem er sich nennt, fried-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/490>, abgerufen am 23.07.2024.