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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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lassen, vielmehr nur der Negierungscommissarius mittelst nicht publicirter Er¬
lasse an die Verwaltungsbehörden (Kirchenvisitatoren) diese Maßregel an¬
geordnet habe, dieselbe mithin aller gesetzlichen Basis ermangele. Nun sei die
Einführung dänischer Kirchen- und Schulsprache entschieden gegen den Wunsch
und Willen der Bevölkerung, wie schon die Zahl der Unterschriften beweise,
und eS sei doch unzweifelhaft ein Recht der Gemeinde, selbst zu bestimmen, in
welcher Sprache sie gemeinschaftlich zu Gott beten und ihre Kinder Unterrichten
lassen wolle. Man berief sich auch auf die versprochene Gleichberechtigung der
Sprachen. Dieser Petition wurden Proben der schriftlichen Arbeiten, der
Knaben in der Rectorschule in Abschrift angelegt und damit nachgewiesen, daß
der Rector nicht allein grobe Schnitzer übersehen und vielfach die Sätze ver-
ballhornisirt, sondern sogar Fehler bineincorrigirt hatte

Recht vorsichtig glaubte man bei dieser Supplik zu Werke zu gehen, in¬
dem man nach der Stempelpapierverordnung 3 Stempelbogen ^ it> Schillinge
Neichsbankjscld nahmen. Dessenungeachtet erfolgte -- nicht Bescheid auf die
Bitte, sondern der Auftrag an den Magistrat, jeden der Unterzeichner in
ein Thaler Courant Geldstrafe zu verurtheilen, wegen nicht gehörigen Ge¬
brauchs des Stempelpapiers. Weil man gegen schlagende Gründe nicht an¬
konnte und die Wahrheit nicht hören wollte, wandte man das beliebte Ab-
schrccknngssystem an, indem man die Leute durch Furcht vor Geldstrafe in
Zukunft vom Unterschreiben solcher mißliebigen und unbequemen Petitionen
abhalten zu können meinte. Der Graf Karl Moltke, der schon ans Ruder ge¬
kommen war, als dies erfolgte, ging nämlich von dem in der Stempelpapier¬
verordnung nirgend zu findenden Satze uus, daß, wenn mehre vereint petitionir-
ten, jeder einzelne Petent so viel Stempelbogen, als die Bittschrift Bogen stark sei,
verwenden müsse. Alle Juristen staunten über diese unerhörte Auslegung.
Hunderte von Gesuchen und Eingaben waren seit der Emanation der so seltsam
gedeuteten Verordnung (sie erschien 180i) an die höchsten Collegien und die
Majestät von Mehrer unterschrieben eingegangen, ohne daß es irgend einem
Concipicnten eingefallen wäre, mehr als höchstens drei Bogen Stempel dazu
zu verwenden. -

Moltke erschwerte nun auf diese Weise das Petilioniren in Gemeinschaft
und später wurde es in seinem Prachtwerke, das er die Verfassung für das
Herzogthum Schleswig betitelt hat, welches aber richtiger als Polizeireglement
bezeichnet worden wäre, bei Strafe gänzlich verboten. -- Der Befehl zur
Zahlung der Geldstrafe kam am 30. Juli 1852. Aber noch nicht genug!
Kiaer ließ die Unterzeichner zu Rathhaus citiren, schalt sie tüchtig aus, warf
ihnen vor, sie hätten ein Lügengewebe unterschrieben (es war mit ängstlicher
Sorgfalt darüber gewacht, daß nur die strengste Wahrheit in der Petition ent-


lassen, vielmehr nur der Negierungscommissarius mittelst nicht publicirter Er¬
lasse an die Verwaltungsbehörden (Kirchenvisitatoren) diese Maßregel an¬
geordnet habe, dieselbe mithin aller gesetzlichen Basis ermangele. Nun sei die
Einführung dänischer Kirchen- und Schulsprache entschieden gegen den Wunsch
und Willen der Bevölkerung, wie schon die Zahl der Unterschriften beweise,
und eS sei doch unzweifelhaft ein Recht der Gemeinde, selbst zu bestimmen, in
welcher Sprache sie gemeinschaftlich zu Gott beten und ihre Kinder Unterrichten
lassen wolle. Man berief sich auch auf die versprochene Gleichberechtigung der
Sprachen. Dieser Petition wurden Proben der schriftlichen Arbeiten, der
Knaben in der Rectorschule in Abschrift angelegt und damit nachgewiesen, daß
der Rector nicht allein grobe Schnitzer übersehen und vielfach die Sätze ver-
ballhornisirt, sondern sogar Fehler bineincorrigirt hatte

Recht vorsichtig glaubte man bei dieser Supplik zu Werke zu gehen, in¬
dem man nach der Stempelpapierverordnung 3 Stempelbogen ^ it> Schillinge
Neichsbankjscld nahmen. Dessenungeachtet erfolgte — nicht Bescheid auf die
Bitte, sondern der Auftrag an den Magistrat, jeden der Unterzeichner in
ein Thaler Courant Geldstrafe zu verurtheilen, wegen nicht gehörigen Ge¬
brauchs des Stempelpapiers. Weil man gegen schlagende Gründe nicht an¬
konnte und die Wahrheit nicht hören wollte, wandte man das beliebte Ab-
schrccknngssystem an, indem man die Leute durch Furcht vor Geldstrafe in
Zukunft vom Unterschreiben solcher mißliebigen und unbequemen Petitionen
abhalten zu können meinte. Der Graf Karl Moltke, der schon ans Ruder ge¬
kommen war, als dies erfolgte, ging nämlich von dem in der Stempelpapier¬
verordnung nirgend zu findenden Satze uus, daß, wenn mehre vereint petitionir-
ten, jeder einzelne Petent so viel Stempelbogen, als die Bittschrift Bogen stark sei,
verwenden müsse. Alle Juristen staunten über diese unerhörte Auslegung.
Hunderte von Gesuchen und Eingaben waren seit der Emanation der so seltsam
gedeuteten Verordnung (sie erschien 180i) an die höchsten Collegien und die
Majestät von Mehrer unterschrieben eingegangen, ohne daß es irgend einem
Concipicnten eingefallen wäre, mehr als höchstens drei Bogen Stempel dazu
zu verwenden. -

Moltke erschwerte nun auf diese Weise das Petilioniren in Gemeinschaft
und später wurde es in seinem Prachtwerke, das er die Verfassung für das
Herzogthum Schleswig betitelt hat, welches aber richtiger als Polizeireglement
bezeichnet worden wäre, bei Strafe gänzlich verboten. — Der Befehl zur
Zahlung der Geldstrafe kam am 30. Juli 1852. Aber noch nicht genug!
Kiaer ließ die Unterzeichner zu Rathhaus citiren, schalt sie tüchtig aus, warf
ihnen vor, sie hätten ein Lügengewebe unterschrieben (es war mit ängstlicher
Sorgfalt darüber gewacht, daß nur die strengste Wahrheit in der Petition ent-


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[0476] lassen, vielmehr nur der Negierungscommissarius mittelst nicht publicirter Er¬ lasse an die Verwaltungsbehörden (Kirchenvisitatoren) diese Maßregel an¬ geordnet habe, dieselbe mithin aller gesetzlichen Basis ermangele. Nun sei die Einführung dänischer Kirchen- und Schulsprache entschieden gegen den Wunsch und Willen der Bevölkerung, wie schon die Zahl der Unterschriften beweise, und eS sei doch unzweifelhaft ein Recht der Gemeinde, selbst zu bestimmen, in welcher Sprache sie gemeinschaftlich zu Gott beten und ihre Kinder Unterrichten lassen wolle. Man berief sich auch auf die versprochene Gleichberechtigung der Sprachen. Dieser Petition wurden Proben der schriftlichen Arbeiten, der Knaben in der Rectorschule in Abschrift angelegt und damit nachgewiesen, daß der Rector nicht allein grobe Schnitzer übersehen und vielfach die Sätze ver- ballhornisirt, sondern sogar Fehler bineincorrigirt hatte Recht vorsichtig glaubte man bei dieser Supplik zu Werke zu gehen, in¬ dem man nach der Stempelpapierverordnung 3 Stempelbogen ^ it> Schillinge Neichsbankjscld nahmen. Dessenungeachtet erfolgte — nicht Bescheid auf die Bitte, sondern der Auftrag an den Magistrat, jeden der Unterzeichner in ein Thaler Courant Geldstrafe zu verurtheilen, wegen nicht gehörigen Ge¬ brauchs des Stempelpapiers. Weil man gegen schlagende Gründe nicht an¬ konnte und die Wahrheit nicht hören wollte, wandte man das beliebte Ab- schrccknngssystem an, indem man die Leute durch Furcht vor Geldstrafe in Zukunft vom Unterschreiben solcher mißliebigen und unbequemen Petitionen abhalten zu können meinte. Der Graf Karl Moltke, der schon ans Ruder ge¬ kommen war, als dies erfolgte, ging nämlich von dem in der Stempelpapier¬ verordnung nirgend zu findenden Satze uus, daß, wenn mehre vereint petitionir- ten, jeder einzelne Petent so viel Stempelbogen, als die Bittschrift Bogen stark sei, verwenden müsse. Alle Juristen staunten über diese unerhörte Auslegung. Hunderte von Gesuchen und Eingaben waren seit der Emanation der so seltsam gedeuteten Verordnung (sie erschien 180i) an die höchsten Collegien und die Majestät von Mehrer unterschrieben eingegangen, ohne daß es irgend einem Concipicnten eingefallen wäre, mehr als höchstens drei Bogen Stempel dazu zu verwenden. - Moltke erschwerte nun auf diese Weise das Petilioniren in Gemeinschaft und später wurde es in seinem Prachtwerke, das er die Verfassung für das Herzogthum Schleswig betitelt hat, welches aber richtiger als Polizeireglement bezeichnet worden wäre, bei Strafe gänzlich verboten. — Der Befehl zur Zahlung der Geldstrafe kam am 30. Juli 1852. Aber noch nicht genug! Kiaer ließ die Unterzeichner zu Rathhaus citiren, schalt sie tüchtig aus, warf ihnen vor, sie hätten ein Lügengewebe unterschrieben (es war mit ängstlicher Sorgfalt darüber gewacht, daß nur die strengste Wahrheit in der Petition ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/476>, abgerufen am 23.07.2024.