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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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die aber nur mittelbar, durch Reflexion, durch den Gedanken, daß es meilen¬
weit so reiches Land gibt, nicht unmittelbar das Auge erfreuen. Man legt
Stunden zurück, und wenn man sich umschaut, kann man glauben, nicht von
der Stelle gekommen zu sein.

Da erquickt es, nach einem Marsche unter der brennenden Sonne (bei
üblem Wetter kann bei dem unglaublich tiefen Kothe der Straßen in der Marsch
von Fußwanderungen nicht die Rede sein) endlich nach einer der kleinen Städte
zu kommen, die hier zwischen Marsch und Geest im Laufe der Jahrhunderte
entstanden sind, und wenigstens eine Abwechslung, vor allem aber vortreffliche
Herbergen gewähren. Sie haben fast, ohne Ausnahme den Charakter des
Wohlstandes, zeichnen sich durch große Sauberkeit der Häuser aus, sind -- ein
Umstand, den man hier hoch schätzen lernt -- in der Regel von Baumgruppen
umgeben und besitzen sonst nur die Merkwürdigkeit, häßliche Kirchen zu haben,
was in Schleswig deshalb bemerkenswerth ist, weil die Dorfkirchen hier großen-
theils sehr schöne Formen zeigen.

Die nördlichste dieser Friesenstädte ist das etwa eine Meile von der Grenze
deS eigentlichen Friesenlandes entfernte Tondern. Es ist eine sehr alte Stadt,
die schon im Jahre 1017 als Handelsplatz bekannt war. Früher hart an der
See gelegen, ist es jetzt sast drei Stunden von derselben entfernt. Vor Zeiten
war Tondern wohlhabend, da nicht allein Handel und Schiffahrt blühten, son¬
dern auch mehre Fabrikzweige von den Bürgern mit Erfolg betrieben wurden.
Jetzt hat dieser Wohlstand abgenommen. Der Handel ist nur noch als Ge¬
treide- und Butlerhandel von Bedeutung, das Spitzenklöppeln hat seit Anfang
dieses Jahrhunderts, wo nicht weniger als 13 Fabriken sich damit beschäftigten,
mehr und mehr der Concurenz andrer Gegenden weichen müssen und der Sei¬
denweberei, der Strumpf, - Zwirn und Leinwandmanufaetur und andern In¬
dustriezweigen ist es nicht besser ergangen. Die Stadt erscheint, wenn man
sich ihr von Norden nähert, aus der Ferne wie ein hübsches Wäldchen, aus
dem sich ein geschmackloser Thurm erhebt. Im Innern ist sie von ehrbaren
altbürgerlich sauberm Aussehen, eine große stille Straße von ungetünchten, mit
dem Giebel nach vorn gekehrten Häusern, die zum Theil Gärten mit ziemlich
hohen Bäumen hinter sich haben, einige Nebengassen und zwei Märkte, beide
sehr klein, werden von einer Kirche überragt, welche einen schönen Altar von
Schnitzarbeit und eine gleichfalls hübsch geschnitzte Kanzel besitzt. Auf den Dächern
gibt es viele Storchnester. Die Gassen sind dänisch und deutsch bezeichnet, die Fir¬
men sand ich mit Ausnahme einer einzigen -- es war der, Gasthof zum Hopfen¬
wagen, den der Besitzer dem Dänenthume zu Liebe in "Humlekaerren" umgetauft
hat, -- sämmtlich deutsch. Auch das Spritzenhaus hat seit Ankunft der neuen Be¬
amten einen dänischen Namen annehmen müssen. ES heißt jetzt "ByenS Spreu-
dehuus." - Mit solchen Unwesentlichkeiten ärgert man die Bevölkerung, da die


die aber nur mittelbar, durch Reflexion, durch den Gedanken, daß es meilen¬
weit so reiches Land gibt, nicht unmittelbar das Auge erfreuen. Man legt
Stunden zurück, und wenn man sich umschaut, kann man glauben, nicht von
der Stelle gekommen zu sein.

Da erquickt es, nach einem Marsche unter der brennenden Sonne (bei
üblem Wetter kann bei dem unglaublich tiefen Kothe der Straßen in der Marsch
von Fußwanderungen nicht die Rede sein) endlich nach einer der kleinen Städte
zu kommen, die hier zwischen Marsch und Geest im Laufe der Jahrhunderte
entstanden sind, und wenigstens eine Abwechslung, vor allem aber vortreffliche
Herbergen gewähren. Sie haben fast, ohne Ausnahme den Charakter des
Wohlstandes, zeichnen sich durch große Sauberkeit der Häuser aus, sind — ein
Umstand, den man hier hoch schätzen lernt — in der Regel von Baumgruppen
umgeben und besitzen sonst nur die Merkwürdigkeit, häßliche Kirchen zu haben,
was in Schleswig deshalb bemerkenswerth ist, weil die Dorfkirchen hier großen-
theils sehr schöne Formen zeigen.

Die nördlichste dieser Friesenstädte ist das etwa eine Meile von der Grenze
deS eigentlichen Friesenlandes entfernte Tondern. Es ist eine sehr alte Stadt,
die schon im Jahre 1017 als Handelsplatz bekannt war. Früher hart an der
See gelegen, ist es jetzt sast drei Stunden von derselben entfernt. Vor Zeiten
war Tondern wohlhabend, da nicht allein Handel und Schiffahrt blühten, son¬
dern auch mehre Fabrikzweige von den Bürgern mit Erfolg betrieben wurden.
Jetzt hat dieser Wohlstand abgenommen. Der Handel ist nur noch als Ge¬
treide- und Butlerhandel von Bedeutung, das Spitzenklöppeln hat seit Anfang
dieses Jahrhunderts, wo nicht weniger als 13 Fabriken sich damit beschäftigten,
mehr und mehr der Concurenz andrer Gegenden weichen müssen und der Sei¬
denweberei, der Strumpf, - Zwirn und Leinwandmanufaetur und andern In¬
dustriezweigen ist es nicht besser ergangen. Die Stadt erscheint, wenn man
sich ihr von Norden nähert, aus der Ferne wie ein hübsches Wäldchen, aus
dem sich ein geschmackloser Thurm erhebt. Im Innern ist sie von ehrbaren
altbürgerlich sauberm Aussehen, eine große stille Straße von ungetünchten, mit
dem Giebel nach vorn gekehrten Häusern, die zum Theil Gärten mit ziemlich
hohen Bäumen hinter sich haben, einige Nebengassen und zwei Märkte, beide
sehr klein, werden von einer Kirche überragt, welche einen schönen Altar von
Schnitzarbeit und eine gleichfalls hübsch geschnitzte Kanzel besitzt. Auf den Dächern
gibt es viele Storchnester. Die Gassen sind dänisch und deutsch bezeichnet, die Fir¬
men sand ich mit Ausnahme einer einzigen — es war der, Gasthof zum Hopfen¬
wagen, den der Besitzer dem Dänenthume zu Liebe in „Humlekaerren" umgetauft
hat, — sämmtlich deutsch. Auch das Spritzenhaus hat seit Ankunft der neuen Be¬
amten einen dänischen Namen annehmen müssen. ES heißt jetzt „ByenS Spreu-
dehuus." - Mit solchen Unwesentlichkeiten ärgert man die Bevölkerung, da die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/470>, abgerufen am 23.07.2024.