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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Gang der Handlung versinnlichen und alles Unwesentliche ausmerzen müssen.
Die Forderungen, welche die Bühne an den Dichter stellt, beruhen nicht auf
dem Zufall oder der Willkür, sie entspringen aus der richtigen Berechnung der
Art und Weise, wie die Aufmerksamkeit des Zuhörers gespannt und gefesselt
werden muß. Ein Genie ersten Ranges hat nicht nöthig, sich diese Gesetze
fortwährend gegenwärtig zu halten, denn es trifft mit seinem Schaffen instinct-
mäßig das Richtige; bei einem Talent ist es aber nicht zu umgehen. --


Baruch von Spinoza. Drama'in fünf Auszügen von Caroline Luise. Berlin,
Schneider. --

Die Quellen dieser Dichtung sind Auerbachs Spinoza und GutzkowS
Uriel Acosta. Aus dem ersten ist die Fabel, aus dem letztern die Stimmung
genommen. Dennoch ist die Dichterin nicht ohne Verdienst. -- Sie hat in
die Handlung, die bei Auerbach fast ganz auseinanderfällt, eine gewisse dra¬
matische Ein-Heit zu bringen gewußt, und gegen Gutzkow sticht sie vortheilhaft
durch eine reine, edle Sprache und durch gesunden Menschenverstand ab, ob¬
gleich ihr mitunter im höchsten Pathos doch Ausrufungen begegnen, wie
z. B.: "O ewge Wahrheit, du allein bist wahr." -- Das dramatische Inter¬
esse eines Werks, welches mehr den Conflict von Ansichten und Ueberzeugungen
darstellt als den Conflict von Leidenschaften, kann nicht groß sein, und bei
allem Verstand der Dichterin sind die Ideen, die sie vorträgt, doch nicht be¬
deutend genug, um uns für diesen Mangel zu entschädigen. Mit mehr Liebe,
alö der eigentliche Held, ist seine Schwester Miriam geschildert, die, ohne
fanatisch zu sein, doch entschieden für das Judenthum Partei nimmt, und in der
die Verfasserin wahrscheinlich ihre eigne Gesinnung ausgedrückt hat. --


Winrich von Kniprode. Drama in fünf Acten von Adolph Marquidors.
Königsberg, Böhmer. --

Laimci, die Tochter des heidnischen Lithauerfürsten Kynstutt, verliebt sich
in einen Ritter, dieser wird von ihrem Vater gefangen genommen und soll ge¬
opfert werden; um ihn zu retten, verräth Laima ihren Vater und ihre Lands--
lente an den Orden. Kynstutt wird gefangen genommen und veranlaßt in
der Gefangenschaft einen ehemaligen Vasallen, ihn zu befreien; bei der Ge¬
legenheit wird Laimas neuer Bräutigam schwer verwundet. Der Versuch, den
Hochmeister umzubringen, mißlingt. Auf der Flucht wird Kynstutt vom Blitz
getroffen und betäubt, sein Neffe Jogal führt ihn ab, um ihn zu ermorden-
Jener Ritter wird geheilt und heirathet Laima. -- Dazwischen spielt eine
zweite Intrigue. Die Tochter des Bürgermeisters von Marienburg liebt den
Hochmeister. Einmal will sie, wie Käthchen von Heilbronn, zum Fenster
hinaus ihm entgegenspringen. Der Hochmeister liebt sie gleichfalls, ist aber


Gang der Handlung versinnlichen und alles Unwesentliche ausmerzen müssen.
Die Forderungen, welche die Bühne an den Dichter stellt, beruhen nicht auf
dem Zufall oder der Willkür, sie entspringen aus der richtigen Berechnung der
Art und Weise, wie die Aufmerksamkeit des Zuhörers gespannt und gefesselt
werden muß. Ein Genie ersten Ranges hat nicht nöthig, sich diese Gesetze
fortwährend gegenwärtig zu halten, denn es trifft mit seinem Schaffen instinct-
mäßig das Richtige; bei einem Talent ist es aber nicht zu umgehen. —


Baruch von Spinoza. Drama'in fünf Auszügen von Caroline Luise. Berlin,
Schneider. —

Die Quellen dieser Dichtung sind Auerbachs Spinoza und GutzkowS
Uriel Acosta. Aus dem ersten ist die Fabel, aus dem letztern die Stimmung
genommen. Dennoch ist die Dichterin nicht ohne Verdienst. — Sie hat in
die Handlung, die bei Auerbach fast ganz auseinanderfällt, eine gewisse dra¬
matische Ein-Heit zu bringen gewußt, und gegen Gutzkow sticht sie vortheilhaft
durch eine reine, edle Sprache und durch gesunden Menschenverstand ab, ob¬
gleich ihr mitunter im höchsten Pathos doch Ausrufungen begegnen, wie
z. B.: „O ewge Wahrheit, du allein bist wahr." — Das dramatische Inter¬
esse eines Werks, welches mehr den Conflict von Ansichten und Ueberzeugungen
darstellt als den Conflict von Leidenschaften, kann nicht groß sein, und bei
allem Verstand der Dichterin sind die Ideen, die sie vorträgt, doch nicht be¬
deutend genug, um uns für diesen Mangel zu entschädigen. Mit mehr Liebe,
alö der eigentliche Held, ist seine Schwester Miriam geschildert, die, ohne
fanatisch zu sein, doch entschieden für das Judenthum Partei nimmt, und in der
die Verfasserin wahrscheinlich ihre eigne Gesinnung ausgedrückt hat. —


Winrich von Kniprode. Drama in fünf Acten von Adolph Marquidors.
Königsberg, Böhmer. —

Laimci, die Tochter des heidnischen Lithauerfürsten Kynstutt, verliebt sich
in einen Ritter, dieser wird von ihrem Vater gefangen genommen und soll ge¬
opfert werden; um ihn zu retten, verräth Laima ihren Vater und ihre Lands--
lente an den Orden. Kynstutt wird gefangen genommen und veranlaßt in
der Gefangenschaft einen ehemaligen Vasallen, ihn zu befreien; bei der Ge¬
legenheit wird Laimas neuer Bräutigam schwer verwundet. Der Versuch, den
Hochmeister umzubringen, mißlingt. Auf der Flucht wird Kynstutt vom Blitz
getroffen und betäubt, sein Neffe Jogal führt ihn ab, um ihn zu ermorden-
Jener Ritter wird geheilt und heirathet Laima. — Dazwischen spielt eine
zweite Intrigue. Die Tochter des Bürgermeisters von Marienburg liebt den
Hochmeister. Einmal will sie, wie Käthchen von Heilbronn, zum Fenster
hinaus ihm entgegenspringen. Der Hochmeister liebt sie gleichfalls, ist aber


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[0464] Gang der Handlung versinnlichen und alles Unwesentliche ausmerzen müssen. Die Forderungen, welche die Bühne an den Dichter stellt, beruhen nicht auf dem Zufall oder der Willkür, sie entspringen aus der richtigen Berechnung der Art und Weise, wie die Aufmerksamkeit des Zuhörers gespannt und gefesselt werden muß. Ein Genie ersten Ranges hat nicht nöthig, sich diese Gesetze fortwährend gegenwärtig zu halten, denn es trifft mit seinem Schaffen instinct- mäßig das Richtige; bei einem Talent ist es aber nicht zu umgehen. — Baruch von Spinoza. Drama'in fünf Auszügen von Caroline Luise. Berlin, Schneider. — Die Quellen dieser Dichtung sind Auerbachs Spinoza und GutzkowS Uriel Acosta. Aus dem ersten ist die Fabel, aus dem letztern die Stimmung genommen. Dennoch ist die Dichterin nicht ohne Verdienst. — Sie hat in die Handlung, die bei Auerbach fast ganz auseinanderfällt, eine gewisse dra¬ matische Ein-Heit zu bringen gewußt, und gegen Gutzkow sticht sie vortheilhaft durch eine reine, edle Sprache und durch gesunden Menschenverstand ab, ob¬ gleich ihr mitunter im höchsten Pathos doch Ausrufungen begegnen, wie z. B.: „O ewge Wahrheit, du allein bist wahr." — Das dramatische Inter¬ esse eines Werks, welches mehr den Conflict von Ansichten und Ueberzeugungen darstellt als den Conflict von Leidenschaften, kann nicht groß sein, und bei allem Verstand der Dichterin sind die Ideen, die sie vorträgt, doch nicht be¬ deutend genug, um uns für diesen Mangel zu entschädigen. Mit mehr Liebe, alö der eigentliche Held, ist seine Schwester Miriam geschildert, die, ohne fanatisch zu sein, doch entschieden für das Judenthum Partei nimmt, und in der die Verfasserin wahrscheinlich ihre eigne Gesinnung ausgedrückt hat. — Winrich von Kniprode. Drama in fünf Acten von Adolph Marquidors. Königsberg, Böhmer. — Laimci, die Tochter des heidnischen Lithauerfürsten Kynstutt, verliebt sich in einen Ritter, dieser wird von ihrem Vater gefangen genommen und soll ge¬ opfert werden; um ihn zu retten, verräth Laima ihren Vater und ihre Lands-- lente an den Orden. Kynstutt wird gefangen genommen und veranlaßt in der Gefangenschaft einen ehemaligen Vasallen, ihn zu befreien; bei der Ge¬ legenheit wird Laimas neuer Bräutigam schwer verwundet. Der Versuch, den Hochmeister umzubringen, mißlingt. Auf der Flucht wird Kynstutt vom Blitz getroffen und betäubt, sein Neffe Jogal führt ihn ab, um ihn zu ermorden- Jener Ritter wird geheilt und heirathet Laima. — Dazwischen spielt eine zweite Intrigue. Die Tochter des Bürgermeisters von Marienburg liebt den Hochmeister. Einmal will sie, wie Käthchen von Heilbronn, zum Fenster hinaus ihm entgegenspringen. Der Hochmeister liebt sie gleichfalls, ist aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/464>, abgerufen am 23.07.2024.