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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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So frage nur den grimmigen Alkcios,
Du kennst ihn nicht? Ich auch seit heute erst!
Und weißt Du, wie ich Menschen glücklich mache?
Ich spreche: Jüngling, komm', da ist ein Kern,
Den stecke in die Erde und begieße
Den Fleck mit Wasser, thu' es Tag für Tag
Und sei gewiß, daß Du mit weißen Haaren
Für Deine Mühe Kirschen essen wirst,
Ob süße oder saure, siehst Dn dann!
Als Währsmann stelle ich den Agron Dir,
Den würd'gar Freund des würdigen Alkäos,
Ihm völlig gleich, nur nicht so weiß im Bart.

Es ist nicht blos, daß der Dichter aus dem Ton fällt, diese Anspielungen
müssen dem Thcatcrpublicum ebenso unverständlich sein, als der verwunderten
Rhodope. -- Auch fehlt eS keineswegs an Spuren der alten, ins Greuliche
überspielenden Phantasie. So sagt einmal Gyges zur Königin, er hätte schon
in jener Nacht seinen Tod veranlassen wollen.


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O, hätt' ich ihn ertrotzt, wie ich's versuchte,
Dann zitterte in Deiner Seele jetzt
Nur noch ein Schauder vor dem Mörder nach,
Der Dir das Athmen um so süßer machte,
Dein Gatte aber würde, als Dein Retter,
Noch feuriger, wie je, von Dir geküßt.

Das ist wieder einmal eine Phantasie, die füglich in der Julia ihre Stelle
hätte finden können.

Auch in dieser Tragödie, wie in den frühern unsers Dichters, fehlt bei
dem Handeln und Empfinden der Charaktere das Gefühl zwingender Noth¬
wendigkeit, welches die Dichter zweiter Ordnung, wie Calderon, die ein ein¬
seitiges Zeitbewußtsein repräsentiren, durch Vermittlung der leitenden sittlichen
Begriffe in uns erregen, die Dichter erster Ordnung, wie Shakespeare, dadurch,
daß sie in ihren Charakteren die allgemein menschliche Natur darstellen. Bei
Hebbel kann man immerhin zugeben, daß eine Handlungsweise, wie er sie
schildert, unter Umständen möglich wäre; aber für jeden ernsten Moment wäre
ebensogut auch eine andere, vielleicht die entgegengesetzte Handlungsweise mög¬
lich. Der König könnte z. B. seinen Günstling erschlagen, dieser könnte sich
selbst tödten u. s. w., es wäre ebenso richtig, als daS, waS uns jetzt von ihm
erzählt wird. In Bezug auf die echte Kunstform kommen wir immer auf den
bekannten Ausspruch des Sophokles zurück, daß Euripides die Menschen schil¬
dere, wie sie sind, er dagegen, wie sie sein sollen (besser: wie sie sein müssen).
Hebbel schildert nicht Typen, nicht ideale Naturen, sondern excentrische Men¬
schen, die in ihren Motiven das Gepräge der Willkür an sich tragen, mit


So frage nur den grimmigen Alkcios,
Du kennst ihn nicht? Ich auch seit heute erst!
Und weißt Du, wie ich Menschen glücklich mache?
Ich spreche: Jüngling, komm', da ist ein Kern,
Den stecke in die Erde und begieße
Den Fleck mit Wasser, thu' es Tag für Tag
Und sei gewiß, daß Du mit weißen Haaren
Für Deine Mühe Kirschen essen wirst,
Ob süße oder saure, siehst Dn dann!
Als Währsmann stelle ich den Agron Dir,
Den würd'gar Freund des würdigen Alkäos,
Ihm völlig gleich, nur nicht so weiß im Bart.

Es ist nicht blos, daß der Dichter aus dem Ton fällt, diese Anspielungen
müssen dem Thcatcrpublicum ebenso unverständlich sein, als der verwunderten
Rhodope. — Auch fehlt eS keineswegs an Spuren der alten, ins Greuliche
überspielenden Phantasie. So sagt einmal Gyges zur Königin, er hätte schon
in jener Nacht seinen Tod veranlassen wollen.


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O, hätt' ich ihn ertrotzt, wie ich's versuchte,
Dann zitterte in Deiner Seele jetzt
Nur noch ein Schauder vor dem Mörder nach,
Der Dir das Athmen um so süßer machte,
Dein Gatte aber würde, als Dein Retter,
Noch feuriger, wie je, von Dir geküßt.

Das ist wieder einmal eine Phantasie, die füglich in der Julia ihre Stelle
hätte finden können.

Auch in dieser Tragödie, wie in den frühern unsers Dichters, fehlt bei
dem Handeln und Empfinden der Charaktere das Gefühl zwingender Noth¬
wendigkeit, welches die Dichter zweiter Ordnung, wie Calderon, die ein ein¬
seitiges Zeitbewußtsein repräsentiren, durch Vermittlung der leitenden sittlichen
Begriffe in uns erregen, die Dichter erster Ordnung, wie Shakespeare, dadurch,
daß sie in ihren Charakteren die allgemein menschliche Natur darstellen. Bei
Hebbel kann man immerhin zugeben, daß eine Handlungsweise, wie er sie
schildert, unter Umständen möglich wäre; aber für jeden ernsten Moment wäre
ebensogut auch eine andere, vielleicht die entgegengesetzte Handlungsweise mög¬
lich. Der König könnte z. B. seinen Günstling erschlagen, dieser könnte sich
selbst tödten u. s. w., es wäre ebenso richtig, als daS, waS uns jetzt von ihm
erzählt wird. In Bezug auf die echte Kunstform kommen wir immer auf den
bekannten Ausspruch des Sophokles zurück, daß Euripides die Menschen schil¬
dere, wie sie sind, er dagegen, wie sie sein sollen (besser: wie sie sein müssen).
Hebbel schildert nicht Typen, nicht ideale Naturen, sondern excentrische Men¬
schen, die in ihren Motiven das Gepräge der Willkür an sich tragen, mit


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[0462] So frage nur den grimmigen Alkcios, Du kennst ihn nicht? Ich auch seit heute erst! Und weißt Du, wie ich Menschen glücklich mache? Ich spreche: Jüngling, komm', da ist ein Kern, Den stecke in die Erde und begieße Den Fleck mit Wasser, thu' es Tag für Tag Und sei gewiß, daß Du mit weißen Haaren Für Deine Mühe Kirschen essen wirst, Ob süße oder saure, siehst Dn dann! Als Währsmann stelle ich den Agron Dir, Den würd'gar Freund des würdigen Alkäos, Ihm völlig gleich, nur nicht so weiß im Bart. Es ist nicht blos, daß der Dichter aus dem Ton fällt, diese Anspielungen müssen dem Thcatcrpublicum ebenso unverständlich sein, als der verwunderten Rhodope. — Auch fehlt eS keineswegs an Spuren der alten, ins Greuliche überspielenden Phantasie. So sagt einmal Gyges zur Königin, er hätte schon in jener Nacht seinen Tod veranlassen wollen. /-.-.n«..«,,»---t»j,.-»za--i>.>«^,A-,»'M,t O, hätt' ich ihn ertrotzt, wie ich's versuchte, Dann zitterte in Deiner Seele jetzt Nur noch ein Schauder vor dem Mörder nach, Der Dir das Athmen um so süßer machte, Dein Gatte aber würde, als Dein Retter, Noch feuriger, wie je, von Dir geküßt. Das ist wieder einmal eine Phantasie, die füglich in der Julia ihre Stelle hätte finden können. Auch in dieser Tragödie, wie in den frühern unsers Dichters, fehlt bei dem Handeln und Empfinden der Charaktere das Gefühl zwingender Noth¬ wendigkeit, welches die Dichter zweiter Ordnung, wie Calderon, die ein ein¬ seitiges Zeitbewußtsein repräsentiren, durch Vermittlung der leitenden sittlichen Begriffe in uns erregen, die Dichter erster Ordnung, wie Shakespeare, dadurch, daß sie in ihren Charakteren die allgemein menschliche Natur darstellen. Bei Hebbel kann man immerhin zugeben, daß eine Handlungsweise, wie er sie schildert, unter Umständen möglich wäre; aber für jeden ernsten Moment wäre ebensogut auch eine andere, vielleicht die entgegengesetzte Handlungsweise mög¬ lich. Der König könnte z. B. seinen Günstling erschlagen, dieser könnte sich selbst tödten u. s. w., es wäre ebenso richtig, als daS, waS uns jetzt von ihm erzählt wird. In Bezug auf die echte Kunstform kommen wir immer auf den bekannten Ausspruch des Sophokles zurück, daß Euripides die Menschen schil¬ dere, wie sie sind, er dagegen, wie sie sein sollen (besser: wie sie sein müssen). Hebbel schildert nicht Typen, nicht ideale Naturen, sondern excentrische Men¬ schen, die in ihren Motiven das Gepräge der Willkür an sich tragen, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/462>, abgerufen am 25.08.2024.