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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring
Gehört dazu! Wer weiß, an welche Hand
Ihn eine Göttin steckte, Maden Bund
Er einst besiegeln mußte! Graus't Dich nicht,
Dir ihre dunkle Gabe anzueignen
Und ihre Rache auf Dein Haupt zu ziehn?
Mich schaudert, wenn ich ihn nur seh'!

Und in der That scheint sich die Sache nachher zu bestätigen, wenigstens er¬
klärt zuletzt Kandaules selbst, die Ahnung seiner Gemahlin habe sie nicht be¬
trogen.


Denn nicht zum Spiel und nicht zu eitlen Possen
Ist er geschmiedet worden und es hängt
Vielleicht an ihm das ganze Weltgeschick.
'Mir ist, als dürft' ich in die tiefste Ferne
Der Zeit hinunter schaun, ich seh den Kampf
Der jungen Götter mit den greisen alten:
Zeus, oft zurückgeworfen, klimmt empor
Zum goldnen Stuhl des Vaters, in der Hand
Die grause Sichel, und von hinten schleicht
Sich ein Titan heran mit schweren Ketten.
Warum erblickt ihn Kronos nicht? Er wird
Gefesselt, wird verstümmelt, wird gestürzt.
Trägt der den Ring? -- Gyges, er trug den Ring! ,
Und Gäa selbst hat ihm den Ring gereicht.

Kurz, das Stück würde in das Gebiet der Wernerschem Schicksalstragödie ver¬
fallen, wenn nicht Kandaules ein gar zu strenger Moralist wäre, und die Be¬
ziehung zwischen Schuld und Schicksal genau abwöge. Was aber das Drama
durch jene Schilderungen scheinbar an poetischer Färbung gewinnt, verliert es
auf alle Fälle an dramatischer Klarheit.

In der Ausführung ist, wie fast immer bei Hebbel der Ernst zu loben,
mit dem er alles Einzelne dem Gesammtproblem anpaßt. Doch verführt ihn
öfters sein Bestreben nach einem realistischen Ausdruck zu barocken und unver¬
ständlichen Wendungen. So tritt z. B.. einmal Kandaules schnell in das
Gemach seiner Gemahlin ein, nachdem er eben die Kraft des Ringes erprobt
und mehre seiner Vasallen in ihren geheimen Absichten belauscht hat, und spricht
folgendermaßen:


Doch -- Weißt Dn, wer ich bin? Ein Hermenwächter,
Ein Grenzpfahlkönig, der die Ellen freilich,
Doch nie die Schwerter mißt und Schuld d'ran ist,
Daß die zwölf Thaten des Herakles nicht
Durch vierundzwanzig andre größere
Längst überboten sind. Wenn Du's nicht glaubst,

Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring
Gehört dazu! Wer weiß, an welche Hand
Ihn eine Göttin steckte, Maden Bund
Er einst besiegeln mußte! Graus't Dich nicht,
Dir ihre dunkle Gabe anzueignen
Und ihre Rache auf Dein Haupt zu ziehn?
Mich schaudert, wenn ich ihn nur seh'!

Und in der That scheint sich die Sache nachher zu bestätigen, wenigstens er¬
klärt zuletzt Kandaules selbst, die Ahnung seiner Gemahlin habe sie nicht be¬
trogen.


Denn nicht zum Spiel und nicht zu eitlen Possen
Ist er geschmiedet worden und es hängt
Vielleicht an ihm das ganze Weltgeschick.
'Mir ist, als dürft' ich in die tiefste Ferne
Der Zeit hinunter schaun, ich seh den Kampf
Der jungen Götter mit den greisen alten:
Zeus, oft zurückgeworfen, klimmt empor
Zum goldnen Stuhl des Vaters, in der Hand
Die grause Sichel, und von hinten schleicht
Sich ein Titan heran mit schweren Ketten.
Warum erblickt ihn Kronos nicht? Er wird
Gefesselt, wird verstümmelt, wird gestürzt.
Trägt der den Ring? — Gyges, er trug den Ring! ,
Und Gäa selbst hat ihm den Ring gereicht.

Kurz, das Stück würde in das Gebiet der Wernerschem Schicksalstragödie ver¬
fallen, wenn nicht Kandaules ein gar zu strenger Moralist wäre, und die Be¬
ziehung zwischen Schuld und Schicksal genau abwöge. Was aber das Drama
durch jene Schilderungen scheinbar an poetischer Färbung gewinnt, verliert es
auf alle Fälle an dramatischer Klarheit.

In der Ausführung ist, wie fast immer bei Hebbel der Ernst zu loben,
mit dem er alles Einzelne dem Gesammtproblem anpaßt. Doch verführt ihn
öfters sein Bestreben nach einem realistischen Ausdruck zu barocken und unver¬
ständlichen Wendungen. So tritt z. B.. einmal Kandaules schnell in das
Gemach seiner Gemahlin ein, nachdem er eben die Kraft des Ringes erprobt
und mehre seiner Vasallen in ihren geheimen Absichten belauscht hat, und spricht
folgendermaßen:


Doch — Weißt Dn, wer ich bin? Ein Hermenwächter,
Ein Grenzpfahlkönig, der die Ellen freilich,
Doch nie die Schwerter mißt und Schuld d'ran ist,
Daß die zwölf Thaten des Herakles nicht
Durch vierundzwanzig andre größere
Längst überboten sind. Wenn Du's nicht glaubst,

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[0461] Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring Gehört dazu! Wer weiß, an welche Hand Ihn eine Göttin steckte, Maden Bund Er einst besiegeln mußte! Graus't Dich nicht, Dir ihre dunkle Gabe anzueignen Und ihre Rache auf Dein Haupt zu ziehn? Mich schaudert, wenn ich ihn nur seh'! Und in der That scheint sich die Sache nachher zu bestätigen, wenigstens er¬ klärt zuletzt Kandaules selbst, die Ahnung seiner Gemahlin habe sie nicht be¬ trogen. Denn nicht zum Spiel und nicht zu eitlen Possen Ist er geschmiedet worden und es hängt Vielleicht an ihm das ganze Weltgeschick. 'Mir ist, als dürft' ich in die tiefste Ferne Der Zeit hinunter schaun, ich seh den Kampf Der jungen Götter mit den greisen alten: Zeus, oft zurückgeworfen, klimmt empor Zum goldnen Stuhl des Vaters, in der Hand Die grause Sichel, und von hinten schleicht Sich ein Titan heran mit schweren Ketten. Warum erblickt ihn Kronos nicht? Er wird Gefesselt, wird verstümmelt, wird gestürzt. Trägt der den Ring? — Gyges, er trug den Ring! , Und Gäa selbst hat ihm den Ring gereicht. Kurz, das Stück würde in das Gebiet der Wernerschem Schicksalstragödie ver¬ fallen, wenn nicht Kandaules ein gar zu strenger Moralist wäre, und die Be¬ ziehung zwischen Schuld und Schicksal genau abwöge. Was aber das Drama durch jene Schilderungen scheinbar an poetischer Färbung gewinnt, verliert es auf alle Fälle an dramatischer Klarheit. In der Ausführung ist, wie fast immer bei Hebbel der Ernst zu loben, mit dem er alles Einzelne dem Gesammtproblem anpaßt. Doch verführt ihn öfters sein Bestreben nach einem realistischen Ausdruck zu barocken und unver¬ ständlichen Wendungen. So tritt z. B.. einmal Kandaules schnell in das Gemach seiner Gemahlin ein, nachdem er eben die Kraft des Ringes erprobt und mehre seiner Vasallen in ihren geheimen Absichten belauscht hat, und spricht folgendermaßen: Doch — Weißt Dn, wer ich bin? Ein Hermenwächter, Ein Grenzpfahlkönig, der die Ellen freilich, Doch nie die Schwerter mißt und Schuld d'ran ist, Daß die zwölf Thaten des Herakles nicht Durch vierundzwanzig andre größere Längst überboten sind. Wenn Du's nicht glaubst,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/461>, abgerufen am 23.07.2024.