Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.mit bedeutenden Männern in unmittelbare Berührung kam, der mit Leidenschaft Von den Abweichungen des Herausgebers in Bezug auf das ästhetische mit bedeutenden Männern in unmittelbare Berührung kam, der mit Leidenschaft Von den Abweichungen des Herausgebers in Bezug auf das ästhetische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101423"/> <p xml:id="ID_1287" prev="#ID_1286"> mit bedeutenden Männern in unmittelbare Berührung kam, der mit Leidenschaft<lb/> das Theater besuchte, der schon als Secundaner und Primaner mit echter<lb/> berliner Naseweisheit seinen Lehrern Aufklärung über die Bedeutung des<lb/> Sophokles gab, der in possenhaften Erfindungen Mit den tollsten seiner Spiel¬<lb/> kameraden wetteiferte, dann aber plötzlich wieder in eine leidenschaftliche Liebe<lb/> zu einem derselben geriet!) und sich aus Verzweiflung darüber würde. ins<lb/> Wasser gestürzt haben, wenn es — ihm nicht zu lächerlich vorgekommen wäre: —<lb/> dies ist schon das vollständige Vorbild des spätern halb witzigen halb empfind¬<lb/> samen Romantikers. — Den größten Einfluß hatte auf ihn das Haus Rei-<lb/> nharts, in das er schon als Primaner hingezogen wurde, um an Uebungen<lb/> der höhern Schauspielkunst Theil zu nehmen, und wo er seine spätere Frau, Fräu¬<lb/> lein Alberti, kennen lernte. Einmal mußte die junge dramatische Gesellschaft<lb/> der Lichtenau aufspielen. Schon als Primaner skandalistrte er seinen guten<lb/> Conrector einmal durch den leidenschaftlichen Wunsch nach einer Wieder¬<lb/> herstellung dxr Klöster.— Die jüngern Lehrer verkehrten bald mit ihm als mit<lb/> ihresgleichen. Rambach benutzte ihn als Mitarbeiter an seinen Schauer¬<lb/> geschichten, Bernhard! weihte ihn in die Mysterien der eigentlichen Dichtkunst<lb/> ein. Nach seinem Abiturienteneramen schwankte er eine Zeitlang, ob er nicht<lb/> Schauspieler werden sollte, doch entschloß er sich endlich zum wirklichen Studium.<lb/> In Halle verfiel er in eine krankhafte Disposition, die an Wahnsinn streifte.<lb/> Durch ein lebhaftes und munteres Reiseleben heilte er sich von dieser Krankheit.<lb/> Auf diesen Reisen scheint er das Schicksal gehabt zu haben, zahlreichen Verrück¬<lb/> ten zu begegnen, wie er sie nachher in seinen Novellen schildert. Wie viel<lb/> davon der Phantasie und wie viel der Wirklichkeit angehört, möchten wir doch<lb/> nicht entscheiden. Seit 1794 wurde er mit Nicolai bekannt und zu dessen<lb/> schriftstellerischen Unternehmungen benutzt, bis 1798; aber die gleichzeitige Be¬<lb/> kanntschaft mit den Schlegel führte zu einer immer größern Spannung in den<lb/> Principien und endlich zu einem entschiedenen Bruch. Ueber das Leben in<lb/> Jena und andern Mittelpunkten der Literatur bis zum Jahr 1800, wo Tieck<lb/> in die Krankheit verfiel, die ihn bis zu Ende seines Lebens nicht verlassen<lb/> hat, sind schon anderweit vielfache Mittheilungen vorhanden. Dagegen hätten<lb/> wir über den Aufenthalt in München und in Rom, 18<Zi> — 1806, gern etwas<lb/> Ausführlicheres gehört, denn eS ist noch lange nicht genügend festgestellt, wie<lb/> weit sich Tieck mit dem Katholicismus eingelassen hat. Die spätere Zeit seines<lb/> Lebens hat für die Literaturgeschichte weniger Bedeutung, doch sind uns auch<lb/> hier die Mittheilungen willkommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Von den Abweichungen des Herausgebers in Bezug auf das ästhetische<lb/> Urtheil kein Wort. Wir haben über die Stellung Tiecks in der Literatur¬<lb/> geschichte unsere Ansicht mit hinreichender Vollständigkeit auseinandergesetzt, aber<lb/> wir gestehen gern zu, daß jemand, der Tieck als einzelne Erscheinung auffaßt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0430]
mit bedeutenden Männern in unmittelbare Berührung kam, der mit Leidenschaft
das Theater besuchte, der schon als Secundaner und Primaner mit echter
berliner Naseweisheit seinen Lehrern Aufklärung über die Bedeutung des
Sophokles gab, der in possenhaften Erfindungen Mit den tollsten seiner Spiel¬
kameraden wetteiferte, dann aber plötzlich wieder in eine leidenschaftliche Liebe
zu einem derselben geriet!) und sich aus Verzweiflung darüber würde. ins
Wasser gestürzt haben, wenn es — ihm nicht zu lächerlich vorgekommen wäre: —
dies ist schon das vollständige Vorbild des spätern halb witzigen halb empfind¬
samen Romantikers. — Den größten Einfluß hatte auf ihn das Haus Rei-
nharts, in das er schon als Primaner hingezogen wurde, um an Uebungen
der höhern Schauspielkunst Theil zu nehmen, und wo er seine spätere Frau, Fräu¬
lein Alberti, kennen lernte. Einmal mußte die junge dramatische Gesellschaft
der Lichtenau aufspielen. Schon als Primaner skandalistrte er seinen guten
Conrector einmal durch den leidenschaftlichen Wunsch nach einer Wieder¬
herstellung dxr Klöster.— Die jüngern Lehrer verkehrten bald mit ihm als mit
ihresgleichen. Rambach benutzte ihn als Mitarbeiter an seinen Schauer¬
geschichten, Bernhard! weihte ihn in die Mysterien der eigentlichen Dichtkunst
ein. Nach seinem Abiturienteneramen schwankte er eine Zeitlang, ob er nicht
Schauspieler werden sollte, doch entschloß er sich endlich zum wirklichen Studium.
In Halle verfiel er in eine krankhafte Disposition, die an Wahnsinn streifte.
Durch ein lebhaftes und munteres Reiseleben heilte er sich von dieser Krankheit.
Auf diesen Reisen scheint er das Schicksal gehabt zu haben, zahlreichen Verrück¬
ten zu begegnen, wie er sie nachher in seinen Novellen schildert. Wie viel
davon der Phantasie und wie viel der Wirklichkeit angehört, möchten wir doch
nicht entscheiden. Seit 1794 wurde er mit Nicolai bekannt und zu dessen
schriftstellerischen Unternehmungen benutzt, bis 1798; aber die gleichzeitige Be¬
kanntschaft mit den Schlegel führte zu einer immer größern Spannung in den
Principien und endlich zu einem entschiedenen Bruch. Ueber das Leben in
Jena und andern Mittelpunkten der Literatur bis zum Jahr 1800, wo Tieck
in die Krankheit verfiel, die ihn bis zu Ende seines Lebens nicht verlassen
hat, sind schon anderweit vielfache Mittheilungen vorhanden. Dagegen hätten
wir über den Aufenthalt in München und in Rom, 18<Zi> — 1806, gern etwas
Ausführlicheres gehört, denn eS ist noch lange nicht genügend festgestellt, wie
weit sich Tieck mit dem Katholicismus eingelassen hat. Die spätere Zeit seines
Lebens hat für die Literaturgeschichte weniger Bedeutung, doch sind uns auch
hier die Mittheilungen willkommen.
Von den Abweichungen des Herausgebers in Bezug auf das ästhetische
Urtheil kein Wort. Wir haben über die Stellung Tiecks in der Literatur¬
geschichte unsere Ansicht mit hinreichender Vollständigkeit auseinandergesetzt, aber
wir gestehen gern zu, daß jemand, der Tieck als einzelne Erscheinung auffaßt,
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