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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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gemachte Sache, daß er es gar nicht der Mühe werth findet, weiter darüber
zu reden, daß er nur hin und wieder seine Gegner darauf hinweist als
auf etwas, das sie nur in der Uebereilung vergessen könnten. Obgleich er
den Gegenrednern fortwährend zu factischen Berichtigungen und zu persönlichen
Bemerkungen Veranlassung gibt, scheint er doch mit ihnen in gutem Verkehr
zu stehen; er unterhält sich während der Sitzung fortwährend mit Männern
von der Linken, scherzt mit ihnen und sieht so aus, als ob er das Ganze nur
wie ein geselliges Vergnügen auffaßte. -- Wenn Herr von Gerlach nur ge¬
legentlich auf seine Principien anspielt, so ist sein Freund, der Abgeordnete
Wagener, ehemaliger Redacteur der Kreuzzeitung, jetzt Rittergutsbesitzer und
gesuchter Rechtsanwalt, desto unermüdlicher, sie durch ausführliche Vorträge
fortwährend dem Gedächtniß wieder einzuschärfen. Als ich ihn zum ersten Mal
hörte, fiel mir sein geläufiger und zusammenhängender Vortrag auf; er war
einer der Wenigen, die nicht stotterten und nach einer bestimmten Disposition
sprachen, was um so mehr Anerkennung verdiente, da er augenscheinlich er-
temporirte. Die Art seines Vortrags ist freilich nicht angenehm. Wenn Sie
einmal Döring in der Rolle des Elias Krumm gehört haben, so haben Sie
eine deutliche Vorstellung von seinem Tonfall. Wenn man ihn öfters hört,
so verliert sich der Respect vor seinem Talent. Er spricht im Grunde immer
dasselbe. Um welche Frage es sich auch handeln mag, er weiß sie augenblick¬
lich auf den Gegensatz zwischen dem ständischen und dem konstitutionellen
Staat hinüberzuspielen, und in diesem Gegensatz ist er allerdings zu Hause.
Er verfehlt nie ein Stichwort, und wenn man von seinen polemischen Be¬
merkungen die erste Hälfte gehört hat, kann man sich das Weitere sofort er¬
gänzen. -- Uebrigens ist Wagener eine merkwürdige Probe unsrer so viel ge¬
rühmten Cultur. Er gehört bekanntlich zu den Jrvingianern, einer Sekte, oder
wie man es sonst nennen will, welche die früher verloren gegangene Gabe der
Weissagung in sich wieder erweckt hat, sich infolge dessen viel mit der Apoka¬
lypse beschäftigt und die demnächst bevorstehende Herniederkunft des Herrn er¬
wartet. Bei so etwas denkt man gewöhnlich an einen düstern, verschlossenen
Schwärmer, bei dem das innere vulkanische Feuer nur zuweilen dämonisch her¬
vorbricht; der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung macht dagegen den Ein¬
druck eines sehr vergnügten Mannes, der sich außerordentlich freur, wenn eine
Stelle in seiner Rede beklatscht wird, und der von seinen eignen Vorträgen
mit einem innern Behagen erfüllt wird. Als er die bekannte Erklärung abgab,
als Christ bereue er, in der Kreuzzeitung seine Gegner verdächtigt zu haben,
setzte er sich nieder, als wenn er einen guten Witz gemacht hätte, und den
Eindruck machte in der That die ganze Scene, um so mehr, da er in jeder
seiner spätern Reden neue Verdächtigungen vortrug. Uebrigens muß ich hin¬
zusetzen, daß diese Verdächtigungen mehr allgemeiner, politischer Art waren,


gemachte Sache, daß er es gar nicht der Mühe werth findet, weiter darüber
zu reden, daß er nur hin und wieder seine Gegner darauf hinweist als
auf etwas, das sie nur in der Uebereilung vergessen könnten. Obgleich er
den Gegenrednern fortwährend zu factischen Berichtigungen und zu persönlichen
Bemerkungen Veranlassung gibt, scheint er doch mit ihnen in gutem Verkehr
zu stehen; er unterhält sich während der Sitzung fortwährend mit Männern
von der Linken, scherzt mit ihnen und sieht so aus, als ob er das Ganze nur
wie ein geselliges Vergnügen auffaßte. — Wenn Herr von Gerlach nur ge¬
legentlich auf seine Principien anspielt, so ist sein Freund, der Abgeordnete
Wagener, ehemaliger Redacteur der Kreuzzeitung, jetzt Rittergutsbesitzer und
gesuchter Rechtsanwalt, desto unermüdlicher, sie durch ausführliche Vorträge
fortwährend dem Gedächtniß wieder einzuschärfen. Als ich ihn zum ersten Mal
hörte, fiel mir sein geläufiger und zusammenhängender Vortrag auf; er war
einer der Wenigen, die nicht stotterten und nach einer bestimmten Disposition
sprachen, was um so mehr Anerkennung verdiente, da er augenscheinlich er-
temporirte. Die Art seines Vortrags ist freilich nicht angenehm. Wenn Sie
einmal Döring in der Rolle des Elias Krumm gehört haben, so haben Sie
eine deutliche Vorstellung von seinem Tonfall. Wenn man ihn öfters hört,
so verliert sich der Respect vor seinem Talent. Er spricht im Grunde immer
dasselbe. Um welche Frage es sich auch handeln mag, er weiß sie augenblick¬
lich auf den Gegensatz zwischen dem ständischen und dem konstitutionellen
Staat hinüberzuspielen, und in diesem Gegensatz ist er allerdings zu Hause.
Er verfehlt nie ein Stichwort, und wenn man von seinen polemischen Be¬
merkungen die erste Hälfte gehört hat, kann man sich das Weitere sofort er¬
gänzen. — Uebrigens ist Wagener eine merkwürdige Probe unsrer so viel ge¬
rühmten Cultur. Er gehört bekanntlich zu den Jrvingianern, einer Sekte, oder
wie man es sonst nennen will, welche die früher verloren gegangene Gabe der
Weissagung in sich wieder erweckt hat, sich infolge dessen viel mit der Apoka¬
lypse beschäftigt und die demnächst bevorstehende Herniederkunft des Herrn er¬
wartet. Bei so etwas denkt man gewöhnlich an einen düstern, verschlossenen
Schwärmer, bei dem das innere vulkanische Feuer nur zuweilen dämonisch her¬
vorbricht; der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung macht dagegen den Ein¬
druck eines sehr vergnügten Mannes, der sich außerordentlich freur, wenn eine
Stelle in seiner Rede beklatscht wird, und der von seinen eignen Vorträgen
mit einem innern Behagen erfüllt wird. Als er die bekannte Erklärung abgab,
als Christ bereue er, in der Kreuzzeitung seine Gegner verdächtigt zu haben,
setzte er sich nieder, als wenn er einen guten Witz gemacht hätte, und den
Eindruck machte in der That die ganze Scene, um so mehr, da er in jeder
seiner spätern Reden neue Verdächtigungen vortrug. Uebrigens muß ich hin¬
zusetzen, daß diese Verdächtigungen mehr allgemeiner, politischer Art waren,


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[0423] gemachte Sache, daß er es gar nicht der Mühe werth findet, weiter darüber zu reden, daß er nur hin und wieder seine Gegner darauf hinweist als auf etwas, das sie nur in der Uebereilung vergessen könnten. Obgleich er den Gegenrednern fortwährend zu factischen Berichtigungen und zu persönlichen Bemerkungen Veranlassung gibt, scheint er doch mit ihnen in gutem Verkehr zu stehen; er unterhält sich während der Sitzung fortwährend mit Männern von der Linken, scherzt mit ihnen und sieht so aus, als ob er das Ganze nur wie ein geselliges Vergnügen auffaßte. — Wenn Herr von Gerlach nur ge¬ legentlich auf seine Principien anspielt, so ist sein Freund, der Abgeordnete Wagener, ehemaliger Redacteur der Kreuzzeitung, jetzt Rittergutsbesitzer und gesuchter Rechtsanwalt, desto unermüdlicher, sie durch ausführliche Vorträge fortwährend dem Gedächtniß wieder einzuschärfen. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, fiel mir sein geläufiger und zusammenhängender Vortrag auf; er war einer der Wenigen, die nicht stotterten und nach einer bestimmten Disposition sprachen, was um so mehr Anerkennung verdiente, da er augenscheinlich er- temporirte. Die Art seines Vortrags ist freilich nicht angenehm. Wenn Sie einmal Döring in der Rolle des Elias Krumm gehört haben, so haben Sie eine deutliche Vorstellung von seinem Tonfall. Wenn man ihn öfters hört, so verliert sich der Respect vor seinem Talent. Er spricht im Grunde immer dasselbe. Um welche Frage es sich auch handeln mag, er weiß sie augenblick¬ lich auf den Gegensatz zwischen dem ständischen und dem konstitutionellen Staat hinüberzuspielen, und in diesem Gegensatz ist er allerdings zu Hause. Er verfehlt nie ein Stichwort, und wenn man von seinen polemischen Be¬ merkungen die erste Hälfte gehört hat, kann man sich das Weitere sofort er¬ gänzen. — Uebrigens ist Wagener eine merkwürdige Probe unsrer so viel ge¬ rühmten Cultur. Er gehört bekanntlich zu den Jrvingianern, einer Sekte, oder wie man es sonst nennen will, welche die früher verloren gegangene Gabe der Weissagung in sich wieder erweckt hat, sich infolge dessen viel mit der Apoka¬ lypse beschäftigt und die demnächst bevorstehende Herniederkunft des Herrn er¬ wartet. Bei so etwas denkt man gewöhnlich an einen düstern, verschlossenen Schwärmer, bei dem das innere vulkanische Feuer nur zuweilen dämonisch her¬ vorbricht; der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung macht dagegen den Ein¬ druck eines sehr vergnügten Mannes, der sich außerordentlich freur, wenn eine Stelle in seiner Rede beklatscht wird, und der von seinen eignen Vorträgen mit einem innern Behagen erfüllt wird. Als er die bekannte Erklärung abgab, als Christ bereue er, in der Kreuzzeitung seine Gegner verdächtigt zu haben, setzte er sich nieder, als wenn er einen guten Witz gemacht hätte, und den Eindruck machte in der That die ganze Scene, um so mehr, da er in jeder seiner spätern Reden neue Verdächtigungen vortrug. Uebrigens muß ich hin¬ zusetzen, daß diese Verdächtigungen mehr allgemeiner, politischer Art waren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/423>, abgerufen am 01.10.2024.