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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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nöthigen Aufmerksamkeit das Ganze beobachtet, ist die Linke im Nachtheil,
denn die Rechte ist in der entschiedenen Majorität, und auch ihre unbedeutend¬
sten und ungeschicktesten Redner werden von der Masse getragen und gestützt,
während die Redner der Linken sich erst mühsam Gehör zu erkämpfen haben.
Nun ist die Beredtsamkeit beim parlamentarischen Wesen zwar nur etwas
secundäres; es kommt mehr darauf an, was beschlossen, als was gesprochen
wird, aber für eine kleine Minorität, die voraussichtlich in allen ernsten Ab¬
stimmungen unterliegen muß, ist es durchaus nothwendig, daß sie sich durch
das Wort Geltung verschafft; denn das ist eigentlich der einzige Gewinn, den
der Liberalismus bei der jetzigen Einrichtung der Häuser davongetragen hat,
daß ein freies Wort sich hören lassen darf, und ein solches geschickt aus¬
gesprochen hinterläßt doch immer einen bleibenden Eindruck, wenn es auch
keine unmittelbare Wirkung mehr thut.

Aber diese günstige Stellung der Rechten verleitet sie auch, sich mit der
größten Bequemlichkeit gehen zu lassen. Wenn wir ein paar begabte Redner
ausnehmen, wird von Seiten der ministeriellen Partei viel schlechter gesprochen,
als von der Opposition. Man ist überzeugt, es müsse alles durchgehen, was
es auch sei, und dieses Gefühl gibt zu Episoden Veranlassung, wie die mit dem
Grafen Pfeil.

Wenn ich nun die Redner des Hauses im Einzelnen durchgehe, so beginne
ich, wie billig, mit den sieben Ministern, die im Hause sitzen. In den De¬
batten, denen ich beiwohnte, handelte es sich vorzugsweise um innere An¬
gelegenheiten, also hatte der Minister des Innern Gelegenheit, fast ausschlie߬
lich das Wort zu führen. Indeß würde er auch ohne dies die Aufmerksamkeit
auf sich ziehen. Es ist ein feines, interessantes Gesicht, bei dem man alle
Bewegungen augenblicklich verfolgen kann und dem man es ansieht, wie
eifrig er an der Sache Theil nimmt. Wenn Herr von Westphalen ein¬
mal erklärte, er lasse sich von keiner Partei treiben, so glaube ich ihm das
nach seiner Erscheinung gern. Er ist der eigentliche Führer der jetzigen reactio-
nären Bewegung. Als Redner ist er schwach; er muß mühsam nach Worten
suchen und spricht daher sehr langsam und nicht grade eindringlich; nur wenn
er in Feuer geräth, wie das ein paar Mal während meiner Anwesenheit ge¬
schah, findet auch seine Rede die nöthige Schnellkraft. Von den übrigen
Ministern habe ich nur den jüngern Herrn von Manteuffel gehört, aber von
dem, was er sagte, nicht viel verstanden, denn er sprach zwar mit großer Hef¬
tigkeit, aber er verwickelte sich in jedem Satz mit der Construction, und sür
einzelne Anspielungen, die offenbar vorkamen, fehlte mir der Schlüssel. --
Unter den verschiedenen RegierungScommissarien, die im Lauf der Debatte
sprachen, zeigte keiner ein hervorragendes Talent. -- Noch muß ich bemerken,
daß in der Debatte über den Schwcrinschen Antrag der Minister des Innern


nöthigen Aufmerksamkeit das Ganze beobachtet, ist die Linke im Nachtheil,
denn die Rechte ist in der entschiedenen Majorität, und auch ihre unbedeutend¬
sten und ungeschicktesten Redner werden von der Masse getragen und gestützt,
während die Redner der Linken sich erst mühsam Gehör zu erkämpfen haben.
Nun ist die Beredtsamkeit beim parlamentarischen Wesen zwar nur etwas
secundäres; es kommt mehr darauf an, was beschlossen, als was gesprochen
wird, aber für eine kleine Minorität, die voraussichtlich in allen ernsten Ab¬
stimmungen unterliegen muß, ist es durchaus nothwendig, daß sie sich durch
das Wort Geltung verschafft; denn das ist eigentlich der einzige Gewinn, den
der Liberalismus bei der jetzigen Einrichtung der Häuser davongetragen hat,
daß ein freies Wort sich hören lassen darf, und ein solches geschickt aus¬
gesprochen hinterläßt doch immer einen bleibenden Eindruck, wenn es auch
keine unmittelbare Wirkung mehr thut.

Aber diese günstige Stellung der Rechten verleitet sie auch, sich mit der
größten Bequemlichkeit gehen zu lassen. Wenn wir ein paar begabte Redner
ausnehmen, wird von Seiten der ministeriellen Partei viel schlechter gesprochen,
als von der Opposition. Man ist überzeugt, es müsse alles durchgehen, was
es auch sei, und dieses Gefühl gibt zu Episoden Veranlassung, wie die mit dem
Grafen Pfeil.

Wenn ich nun die Redner des Hauses im Einzelnen durchgehe, so beginne
ich, wie billig, mit den sieben Ministern, die im Hause sitzen. In den De¬
batten, denen ich beiwohnte, handelte es sich vorzugsweise um innere An¬
gelegenheiten, also hatte der Minister des Innern Gelegenheit, fast ausschlie߬
lich das Wort zu führen. Indeß würde er auch ohne dies die Aufmerksamkeit
auf sich ziehen. Es ist ein feines, interessantes Gesicht, bei dem man alle
Bewegungen augenblicklich verfolgen kann und dem man es ansieht, wie
eifrig er an der Sache Theil nimmt. Wenn Herr von Westphalen ein¬
mal erklärte, er lasse sich von keiner Partei treiben, so glaube ich ihm das
nach seiner Erscheinung gern. Er ist der eigentliche Führer der jetzigen reactio-
nären Bewegung. Als Redner ist er schwach; er muß mühsam nach Worten
suchen und spricht daher sehr langsam und nicht grade eindringlich; nur wenn
er in Feuer geräth, wie das ein paar Mal während meiner Anwesenheit ge¬
schah, findet auch seine Rede die nöthige Schnellkraft. Von den übrigen
Ministern habe ich nur den jüngern Herrn von Manteuffel gehört, aber von
dem, was er sagte, nicht viel verstanden, denn er sprach zwar mit großer Hef¬
tigkeit, aber er verwickelte sich in jedem Satz mit der Construction, und sür
einzelne Anspielungen, die offenbar vorkamen, fehlte mir der Schlüssel. —
Unter den verschiedenen RegierungScommissarien, die im Lauf der Debatte
sprachen, zeigte keiner ein hervorragendes Talent. — Noch muß ich bemerken,
daß in der Debatte über den Schwcrinschen Antrag der Minister des Innern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/421>, abgerufen am 25.08.2024.