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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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andern Halbkugel anzutreffen sein, die sich zu jener wie das Flachland zum
Gebirge verhielte. Anstatt aber einen Theil der Erdmasse zu verschieben, braucht
man sich nur ihren Schwerpunkt so vom Mittelpunkte verrückt zu denken, daß
er der einen Seite näher liegt als der andern. Und dies ist nach Hansen
eben beim Monde der Fall. Die uns zugewandte Seite desselben ist ohne At¬
mosphäre, ohne Wasser und ohne Leben, weil sie die Bergseite ist; die ent¬
gegengesetzte kann, als die Thalseite, eine Atmosphäre, Wasser und infolge
dessen auch organisches Leben haben.

Wäre damit bewiesen, daß es Mondmenschen geben kann, so dürfte man
nun vielleicht auch fragen, wie man sich dieselben zu denken habe. Fechner
wirft diese Frage wirklich auf und beantwortet sie, wie uns scheint, recht glück¬
lich. Er sagt, die Mondbewohner müssen der Beschaffenheit des Mondes ent¬
sprechen. So wie der Bau, , die Kräfte, die Lebensweise des Menschen der
Schwere, der Wärme, der Dichtheit u. s. w. des Erdballs entsprechen, so müssen
nach teleologischer Analogie die etwaigen Bewohner jedes Weltkörpers den
Eigenschaften desselben angepaßt sein. Gibt es eine Mondatmosphäre, so ist
sie sicher viel dünner als die der Erde. Athmungsproceß und hiermit Stoffwechsel
und mit diesem wieder Kraftentwicklung stehen folglich unter weit ungünstigern
Bedingungen als auf der Erde. Dafür ist die Schwere sechsmal so gering
als an der Erdoberfläche, und so bedürfen die etwaigen Mondmenschen weniger
Kraft zur Tragung von Lasten und ihres eignen Körpers. An beides knüpfen
sich gewisse allgemeine Bedingungen in Betreff des.Körperbaus der Seleniten.
Tages- und Jahreswechsel ferner fallen auf dem Monde in dem einfachen
Monatswechsel zusammen; die Hauptperiodicität des Lebens ist hierdurch für
die Mondbewohner einfacher als für uns bestimmt. Alle Aenderungen und
Gegensätze auf dem Monde drängen sich überhaupt nach den Verhältnissen der
Jahreszeit und der selenographischen Länge und Breite enger zusammen und
gleichen sich darum rascher aus, haben einen beschränkteren Spielraum, aber
ein lebhafteres Spiel. Die meteorologischen Verhältnisse endlich sind wegen
der Kleinheit des Mondes, wegen seiner geringern Schwere, der dünnen Luft,
der anders geordneten Wasservertheilung u. s. w. sehr andere als bei uns.
Alles dies trägt bei, andere äußere Lebensbedingungen zu stellen, denen die
innern angepaßt sein müssen.

Die Mondbewohner sind demnach kleiner, schlanker und zarter gebaut als
die Menschen. Sie haben kein warmes Blut, keine große Energie des Lebens¬
processes, keine starke Kraftentwicklung, sind von leicht erregbaren, wechselndem
Sinne, lebhaft, flink, beweglich, doch nur so lange der Mond scheint d. h. so
lange die Sonne ihn bescheint und es aus ihm Tag ist. Die übrige Zeit
schlafen sie. Ihre Vernunft ist nicht hoch entwickelt. Sie studiren nicht, sie
kochen nicht, alle Künste und Gewerbe, wozu es Feuer bedarf, sind ihnen


andern Halbkugel anzutreffen sein, die sich zu jener wie das Flachland zum
Gebirge verhielte. Anstatt aber einen Theil der Erdmasse zu verschieben, braucht
man sich nur ihren Schwerpunkt so vom Mittelpunkte verrückt zu denken, daß
er der einen Seite näher liegt als der andern. Und dies ist nach Hansen
eben beim Monde der Fall. Die uns zugewandte Seite desselben ist ohne At¬
mosphäre, ohne Wasser und ohne Leben, weil sie die Bergseite ist; die ent¬
gegengesetzte kann, als die Thalseite, eine Atmosphäre, Wasser und infolge
dessen auch organisches Leben haben.

Wäre damit bewiesen, daß es Mondmenschen geben kann, so dürfte man
nun vielleicht auch fragen, wie man sich dieselben zu denken habe. Fechner
wirft diese Frage wirklich auf und beantwortet sie, wie uns scheint, recht glück¬
lich. Er sagt, die Mondbewohner müssen der Beschaffenheit des Mondes ent¬
sprechen. So wie der Bau, , die Kräfte, die Lebensweise des Menschen der
Schwere, der Wärme, der Dichtheit u. s. w. des Erdballs entsprechen, so müssen
nach teleologischer Analogie die etwaigen Bewohner jedes Weltkörpers den
Eigenschaften desselben angepaßt sein. Gibt es eine Mondatmosphäre, so ist
sie sicher viel dünner als die der Erde. Athmungsproceß und hiermit Stoffwechsel
und mit diesem wieder Kraftentwicklung stehen folglich unter weit ungünstigern
Bedingungen als auf der Erde. Dafür ist die Schwere sechsmal so gering
als an der Erdoberfläche, und so bedürfen die etwaigen Mondmenschen weniger
Kraft zur Tragung von Lasten und ihres eignen Körpers. An beides knüpfen
sich gewisse allgemeine Bedingungen in Betreff des.Körperbaus der Seleniten.
Tages- und Jahreswechsel ferner fallen auf dem Monde in dem einfachen
Monatswechsel zusammen; die Hauptperiodicität des Lebens ist hierdurch für
die Mondbewohner einfacher als für uns bestimmt. Alle Aenderungen und
Gegensätze auf dem Monde drängen sich überhaupt nach den Verhältnissen der
Jahreszeit und der selenographischen Länge und Breite enger zusammen und
gleichen sich darum rascher aus, haben einen beschränkteren Spielraum, aber
ein lebhafteres Spiel. Die meteorologischen Verhältnisse endlich sind wegen
der Kleinheit des Mondes, wegen seiner geringern Schwere, der dünnen Luft,
der anders geordneten Wasservertheilung u. s. w. sehr andere als bei uns.
Alles dies trägt bei, andere äußere Lebensbedingungen zu stellen, denen die
innern angepaßt sein müssen.

Die Mondbewohner sind demnach kleiner, schlanker und zarter gebaut als
die Menschen. Sie haben kein warmes Blut, keine große Energie des Lebens¬
processes, keine starke Kraftentwicklung, sind von leicht erregbaren, wechselndem
Sinne, lebhaft, flink, beweglich, doch nur so lange der Mond scheint d. h. so
lange die Sonne ihn bescheint und es aus ihm Tag ist. Die übrige Zeit
schlafen sie. Ihre Vernunft ist nicht hoch entwickelt. Sie studiren nicht, sie
kochen nicht, alle Künste und Gewerbe, wozu es Feuer bedarf, sind ihnen


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[0404] andern Halbkugel anzutreffen sein, die sich zu jener wie das Flachland zum Gebirge verhielte. Anstatt aber einen Theil der Erdmasse zu verschieben, braucht man sich nur ihren Schwerpunkt so vom Mittelpunkte verrückt zu denken, daß er der einen Seite näher liegt als der andern. Und dies ist nach Hansen eben beim Monde der Fall. Die uns zugewandte Seite desselben ist ohne At¬ mosphäre, ohne Wasser und ohne Leben, weil sie die Bergseite ist; die ent¬ gegengesetzte kann, als die Thalseite, eine Atmosphäre, Wasser und infolge dessen auch organisches Leben haben. Wäre damit bewiesen, daß es Mondmenschen geben kann, so dürfte man nun vielleicht auch fragen, wie man sich dieselben zu denken habe. Fechner wirft diese Frage wirklich auf und beantwortet sie, wie uns scheint, recht glück¬ lich. Er sagt, die Mondbewohner müssen der Beschaffenheit des Mondes ent¬ sprechen. So wie der Bau, , die Kräfte, die Lebensweise des Menschen der Schwere, der Wärme, der Dichtheit u. s. w. des Erdballs entsprechen, so müssen nach teleologischer Analogie die etwaigen Bewohner jedes Weltkörpers den Eigenschaften desselben angepaßt sein. Gibt es eine Mondatmosphäre, so ist sie sicher viel dünner als die der Erde. Athmungsproceß und hiermit Stoffwechsel und mit diesem wieder Kraftentwicklung stehen folglich unter weit ungünstigern Bedingungen als auf der Erde. Dafür ist die Schwere sechsmal so gering als an der Erdoberfläche, und so bedürfen die etwaigen Mondmenschen weniger Kraft zur Tragung von Lasten und ihres eignen Körpers. An beides knüpfen sich gewisse allgemeine Bedingungen in Betreff des.Körperbaus der Seleniten. Tages- und Jahreswechsel ferner fallen auf dem Monde in dem einfachen Monatswechsel zusammen; die Hauptperiodicität des Lebens ist hierdurch für die Mondbewohner einfacher als für uns bestimmt. Alle Aenderungen und Gegensätze auf dem Monde drängen sich überhaupt nach den Verhältnissen der Jahreszeit und der selenographischen Länge und Breite enger zusammen und gleichen sich darum rascher aus, haben einen beschränkteren Spielraum, aber ein lebhafteres Spiel. Die meteorologischen Verhältnisse endlich sind wegen der Kleinheit des Mondes, wegen seiner geringern Schwere, der dünnen Luft, der anders geordneten Wasservertheilung u. s. w. sehr andere als bei uns. Alles dies trägt bei, andere äußere Lebensbedingungen zu stellen, denen die innern angepaßt sein müssen. Die Mondbewohner sind demnach kleiner, schlanker und zarter gebaut als die Menschen. Sie haben kein warmes Blut, keine große Energie des Lebens¬ processes, keine starke Kraftentwicklung, sind von leicht erregbaren, wechselndem Sinne, lebhaft, flink, beweglich, doch nur so lange der Mond scheint d. h. so lange die Sonne ihn bescheint und es aus ihm Tag ist. Die übrige Zeit schlafen sie. Ihre Vernunft ist nicht hoch entwickelt. Sie studiren nicht, sie kochen nicht, alle Künste und Gewerbe, wozu es Feuer bedarf, sind ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/404>, abgerufen am 23.07.2024.