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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Die grobkörnige, häufig auch vollkommen grobe Biederkeit deS Holsteiners
ist infolge dessen selten in Angeln. Oefter begegnet man duldsamer, wenig¬
stens scheinbar rücksichtsvollen, bisweilen geschliffenen, um nicht zu sagen ge¬
riebenen Charakteren. Ist das Vertrauen aber einmal gewonnen, so hat man
auf Treue und Ehrlichkeit und auf volle Kundgebung dessen zu rechnen, was
die Herzen bewegt.

Die Hartnäckigkeit der Angeln, die sie mit ihren südlichen Nachbarn ge¬
mein haben, zu tadeln, finde ich in diesen schweren Zeiten keine Veranlassung.
Harte Nacken beugen sich schwer vor dem Unrechte. Man erzählte mir, bei
Berathungen über Gemeindeangelegenheiten hätten halsstarrige Köpfe die Ge¬
wohnheit, nicht eher von ihrer Meinung zu lassen, bis "ihnen flau ge¬
worden" sei d. h. bis sie vor Hunger matt geworden seien. Hoffen wir, daß
sie ihren Widerstand gegen das Dänenthum nicht eher aufgeben, als bis
ihnen flau wird. Wir haben allen Grund, zu glauben, daß letzteres nim¬
mer geschieht; denn für den Magen und seinen vornehmeren Vetter, den
Geldbeutel, ist in einem Lande, wo man im dritten Jahre eines schweren
Krieges an Errichtung von Sparkassen denken konnte, wol hinreichend
gesorgt.

Der Hochmuth der Großbauern, gegenüber dem "kleinen Manne", ein
Hochmuth, der selbst in der Kirche sich breit machte, den Vortritt an Gottes
Tische beanspruchte und den wackern Pastor in Grundhof einst bewog, einen
Todtenkopf mit auf die Kanzel zu bringen und die andächtige Gemeinde (ich
meine sogar in gebundener Rede) zu fragen, ob es ein Bohlsmann oder ein
Juste gewesen, muß sehr abgenommen haben, da nirgend mehr über ihn ge¬
klagt wird. Das Hängen am Hergebrachten kann nicht sehr allgemein ge¬
wesen sein oder nicht auf alles Alte sich bezogen haben, da der Angle eine
Menge von Neuerungen im Betrieb der Landwirthschaft bereitwillig anerkannt
und eingeführt, da er seine alte Tracht schon längst mit mehr oder minder
modischen Kleidern vertauscht und da er, wo die Umstände es gestatteten, sein
Haus bequemer und stolzer gebaut und eingerichtet hat, wie seine Väter. Ist
er, wie alle Bauern, ein eifriger Anbeter Gott Mammons, so hat er sich des¬
halb noch nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, ein Filz zu sein. Für Ver¬
theidigung ihrer Rechte ist den Angeln kein Opfer zu groß gewesen, den Ar¬
men wird überall geholfen, die Gastfreundschaft ist namentlich bei Besuchen
aus dem Süden fast unbegrenzt, der Lurus endlich, der mit schönem Vieh,
schönen Wagen, schönen Möbeln, Häusern und Kleidern getrieben wird, dürfte
sich ebensowenig mit dem Vorwurfe des Geizes vertragen, als die dreihundert
und vierhundert Gäste, die zu großen Hochzeiten geladen werden und der
Noth-und Weißwein, der bei solchen Gelegenheiten in Strömen fließt.

Die Edelhofe in Angeln sind meist von sehr bescheidener Art. Es sind


Die grobkörnige, häufig auch vollkommen grobe Biederkeit deS Holsteiners
ist infolge dessen selten in Angeln. Oefter begegnet man duldsamer, wenig¬
stens scheinbar rücksichtsvollen, bisweilen geschliffenen, um nicht zu sagen ge¬
riebenen Charakteren. Ist das Vertrauen aber einmal gewonnen, so hat man
auf Treue und Ehrlichkeit und auf volle Kundgebung dessen zu rechnen, was
die Herzen bewegt.

Die Hartnäckigkeit der Angeln, die sie mit ihren südlichen Nachbarn ge¬
mein haben, zu tadeln, finde ich in diesen schweren Zeiten keine Veranlassung.
Harte Nacken beugen sich schwer vor dem Unrechte. Man erzählte mir, bei
Berathungen über Gemeindeangelegenheiten hätten halsstarrige Köpfe die Ge¬
wohnheit, nicht eher von ihrer Meinung zu lassen, bis „ihnen flau ge¬
worden" sei d. h. bis sie vor Hunger matt geworden seien. Hoffen wir, daß
sie ihren Widerstand gegen das Dänenthum nicht eher aufgeben, als bis
ihnen flau wird. Wir haben allen Grund, zu glauben, daß letzteres nim¬
mer geschieht; denn für den Magen und seinen vornehmeren Vetter, den
Geldbeutel, ist in einem Lande, wo man im dritten Jahre eines schweren
Krieges an Errichtung von Sparkassen denken konnte, wol hinreichend
gesorgt.

Der Hochmuth der Großbauern, gegenüber dem „kleinen Manne", ein
Hochmuth, der selbst in der Kirche sich breit machte, den Vortritt an Gottes
Tische beanspruchte und den wackern Pastor in Grundhof einst bewog, einen
Todtenkopf mit auf die Kanzel zu bringen und die andächtige Gemeinde (ich
meine sogar in gebundener Rede) zu fragen, ob es ein Bohlsmann oder ein
Juste gewesen, muß sehr abgenommen haben, da nirgend mehr über ihn ge¬
klagt wird. Das Hängen am Hergebrachten kann nicht sehr allgemein ge¬
wesen sein oder nicht auf alles Alte sich bezogen haben, da der Angle eine
Menge von Neuerungen im Betrieb der Landwirthschaft bereitwillig anerkannt
und eingeführt, da er seine alte Tracht schon längst mit mehr oder minder
modischen Kleidern vertauscht und da er, wo die Umstände es gestatteten, sein
Haus bequemer und stolzer gebaut und eingerichtet hat, wie seine Väter. Ist
er, wie alle Bauern, ein eifriger Anbeter Gott Mammons, so hat er sich des¬
halb noch nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, ein Filz zu sein. Für Ver¬
theidigung ihrer Rechte ist den Angeln kein Opfer zu groß gewesen, den Ar¬
men wird überall geholfen, die Gastfreundschaft ist namentlich bei Besuchen
aus dem Süden fast unbegrenzt, der Lurus endlich, der mit schönem Vieh,
schönen Wagen, schönen Möbeln, Häusern und Kleidern getrieben wird, dürfte
sich ebensowenig mit dem Vorwurfe des Geizes vertragen, als die dreihundert
und vierhundert Gäste, die zu großen Hochzeiten geladen werden und der
Noth-und Weißwein, der bei solchen Gelegenheiten in Strömen fließt.

Die Edelhofe in Angeln sind meist von sehr bescheidener Art. Es sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/40>, abgerufen am 23.07.2024.