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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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zu Gegenständen der Wißbegier, des Interesses, selbst der Bewunderung wurden.
Kaum waren die Häuptlinge in bloße Grundherrn verwandelt worden, als es
Mode ward, gehässige Vergleiche zwischen der Habgier des Grundherrn und
der Nachsicht des Häuptlings anzustellen. Die Menschen schienen vergessen zu
haben, baß das alte galische Staatswesen unverträglich mit der Autorität des
Gesetzes befunden worden war, den Fortschritt der Civilisaiion gehindert, mehr
als einmal den Fluch des Bürgerkriegs über das Reich gebracht hatte. Wie
sie früher nur die gehässige Seite jenes Staatswesens gesehen hatten, so konn¬
ten sie jetzt nur die gefällige Seite sehen. Das alte Band, sagten sie, sei vä¬
terlich gewesen; das neue Band wäre lediglich mereantiiisch. Was könnte be-
klagenswerther sein, als wenn das Haupt eines Stammes wegen eines arm¬
seligen Zinsrückstandes, Pächter austreibe, die sein eignes Fleisch und Blut
wären, Pächter, deren Vorväter oftmals mit ihren Leibern seine Vorväter auf
dem Schlachtfelde gedeckt hätten? Solange es noch galische Räuber gab, wa¬
ren sie von der sächsischen Bevölkerung als verhaßtes Ungeziefer betrachtet wor¬
den, das ohne Gnade ausgerottet werden müsse. Sobald die Ausrottung durch¬
geführt war, sobald das Vieh in den Perthshirepässen so sicher war, wie auf
dem Smithfieldmarkte, wurde der Freibeuter zu einem romantischen Helden em¬
porgehoben. So lange die galische Tracht getragen wurde, hatten die Sachsen
sie für häßlich, lächerlich, ja für gröblich unanständig erklärt. Bald nachdem
sie verboten worden war, entdeckten sie, daß sie die reizendste Bekleidung in
Europa wäre. Die Mischen Denkmäler, die galischen Gebräuche, der galische
Aberglaube, die galischen Verse, viele Jahrhunderte hindurch geringschätzig über¬
sehen , begannen, von dem Augenblicke an, die Aufmerksamkeit der Gelehrten
auf sich zu ziehen, wo die Eigenthümlichkeiten des galischen Stammes zu ver¬
schwinden anfingen. So stark war dieser Impuls, daß, wo es den Hochlanden
galt, verständige Männer unbewiesenen Erzählungen bereitwilligen Glauben,
und geschmackvolle Männer verdienstlosen Arbeiten entzückten Beifall zollten.
Epische Gedichte, welche jeder geschickte und unbefangene Kritiker aus den ersten
Blick als fast gänzlich modern erkannt haben würde, und die, wenn sie als
moderne veröffentlicht worden wären, sofort ihren angemessenen Platz neben
Blackmores Alfred und Willich Epigomade gefunden haben würden, wurden
für -1500 Jahr alt erklärt und ernsthaft der Jliade zur Seite gestellt. Schrift¬
steller von ganz anderer Art, als die Betrüger, die jene Fälschungen fabricir-
ten, sahen, welcher ergreifende Eindruck durch geschickte Gemälde deS alten hoch¬
ländischen Lebens hervorgebracht werden könne. Alles was abstoßend war,
wurde abgemildert; alles, was reizend und edel war, wurde vortretend aus
Licht gestellt. Einige dieser Werke waren mit so bewundernswürdiger Kunst
ausgeführt, daß ^sie, wie die historischen Stücke Shakespeares an die Stelle
der Geschichte traten. Die Gesichte des Dichters wurden sür seine Leser Wirt-


zu Gegenständen der Wißbegier, des Interesses, selbst der Bewunderung wurden.
Kaum waren die Häuptlinge in bloße Grundherrn verwandelt worden, als es
Mode ward, gehässige Vergleiche zwischen der Habgier des Grundherrn und
der Nachsicht des Häuptlings anzustellen. Die Menschen schienen vergessen zu
haben, baß das alte galische Staatswesen unverträglich mit der Autorität des
Gesetzes befunden worden war, den Fortschritt der Civilisaiion gehindert, mehr
als einmal den Fluch des Bürgerkriegs über das Reich gebracht hatte. Wie
sie früher nur die gehässige Seite jenes Staatswesens gesehen hatten, so konn¬
ten sie jetzt nur die gefällige Seite sehen. Das alte Band, sagten sie, sei vä¬
terlich gewesen; das neue Band wäre lediglich mereantiiisch. Was könnte be-
klagenswerther sein, als wenn das Haupt eines Stammes wegen eines arm¬
seligen Zinsrückstandes, Pächter austreibe, die sein eignes Fleisch und Blut
wären, Pächter, deren Vorväter oftmals mit ihren Leibern seine Vorväter auf
dem Schlachtfelde gedeckt hätten? Solange es noch galische Räuber gab, wa¬
ren sie von der sächsischen Bevölkerung als verhaßtes Ungeziefer betrachtet wor¬
den, das ohne Gnade ausgerottet werden müsse. Sobald die Ausrottung durch¬
geführt war, sobald das Vieh in den Perthshirepässen so sicher war, wie auf
dem Smithfieldmarkte, wurde der Freibeuter zu einem romantischen Helden em¬
porgehoben. So lange die galische Tracht getragen wurde, hatten die Sachsen
sie für häßlich, lächerlich, ja für gröblich unanständig erklärt. Bald nachdem
sie verboten worden war, entdeckten sie, daß sie die reizendste Bekleidung in
Europa wäre. Die Mischen Denkmäler, die galischen Gebräuche, der galische
Aberglaube, die galischen Verse, viele Jahrhunderte hindurch geringschätzig über¬
sehen , begannen, von dem Augenblicke an, die Aufmerksamkeit der Gelehrten
auf sich zu ziehen, wo die Eigenthümlichkeiten des galischen Stammes zu ver¬
schwinden anfingen. So stark war dieser Impuls, daß, wo es den Hochlanden
galt, verständige Männer unbewiesenen Erzählungen bereitwilligen Glauben,
und geschmackvolle Männer verdienstlosen Arbeiten entzückten Beifall zollten.
Epische Gedichte, welche jeder geschickte und unbefangene Kritiker aus den ersten
Blick als fast gänzlich modern erkannt haben würde, und die, wenn sie als
moderne veröffentlicht worden wären, sofort ihren angemessenen Platz neben
Blackmores Alfred und Willich Epigomade gefunden haben würden, wurden
für -1500 Jahr alt erklärt und ernsthaft der Jliade zur Seite gestellt. Schrift¬
steller von ganz anderer Art, als die Betrüger, die jene Fälschungen fabricir-
ten, sahen, welcher ergreifende Eindruck durch geschickte Gemälde deS alten hoch¬
ländischen Lebens hervorgebracht werden könne. Alles was abstoßend war,
wurde abgemildert; alles, was reizend und edel war, wurde vortretend aus
Licht gestellt. Einige dieser Werke waren mit so bewundernswürdiger Kunst
ausgeführt, daß ^sie, wie die historischen Stücke Shakespeares an die Stelle
der Geschichte traten. Die Gesichte des Dichters wurden sür seine Leser Wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/397>, abgerufen am 23.07.2024.