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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Philosophie auf die Probe gestellt haben. Er würde zuweilen in einer Hütte
gewohnt habe", wo jeder Winkel von Ungeziefer gewimmelt haben würde. Er
würde eine von Torfrauch verdickte und von hundert widerlichen Ausdünstungen
verdorbene Atmosphäre eingeathmet haben. Zur Abendmahlzeit würde ihm
nur für Pferde passendes Korn vorgesetzt worden sein, von einem Kuchen aus
von lebenden Kühen gezogenem Blute begleitet. Einige von der Gesellschaft,
mit der er geschmaust haben würde, würden mit Hautausschlägen bedeckt, und
andere würden mit Theer beschmiert gewesen sein,, wie Schafe. Sein Lager
würde die bloße Erde gewesen sein, trocken oder naß, je wie das Wetter sein
mochte, und von diesem Lager würde er halb vergiftet von Gestank, halb
blind von dem Torfrauch und halb wahnsinnig von Jucken aufgestanden sein.

Das ist kein anziehendes Gemälde. Und doch würde ein erleuchteter und
leidenschaftsloser Beobachter in dem Charakter und den Sitten dieser rohen
Leute etwas gefunden haben, das wol Bewunderung und gute Hoffnung
erregen konnte. Ihr Muth war so, wie ihn in alle den vier Theilen des
Erdkreises vollbrachte Großthaten seitdem erprobt haben. Ihre innige An¬
hänglichkeit an ihren eignen Stamm und an ihren eignen Patriarchen war
zwar politisch ein großes Uebel, hatte aber etwas von dem Wesen einer
Tugend. Die Gesinnung war irregeleitet und übelgeordnet; aber immerhin
war sie heroisch. Es muß eine gewisse Erhebung der Seele in einem Menschen
sein, der die Gesellschaft, deren Mitglied er ist, der den Führer, dem er
folgt, mit einer stärkern Liebe liebt, als die Liebe zum Leben. Es war wahr,
daß der Hochländer sich wenig Bedenken machte, das Blut eines Feindes zu
vergießen; aber es, war nicht weniger wahr, daß er hohe Begriffe von der
Pflicht hatte, Bundesgenossen Treue und Gästen Gastfreundschaft zu beweisen.
Es war wahr, daß seine räuberischen Gewohnheiten dem Gemeinwesen höchst
nachrheilig waren. Gleichwol irrten diejenigen sehr, die da wähnten, er habe
irgend eine Ähnlichkeit mit Bösewichtern gehabt, die in reichen und gut regierten
Gemeinwesen vom Diebstahl leben. Wenn er die Herden der Niederlands¬
pächter vor sich her den Paß hinaustrieb, der zu seiner heimischen Schlucht
führte, so sah er sich so wenig für einen Dieb an, wie die Naleighs und
Drakes sich für Diebe ansahen, wenn sie die Ladungen der spanischen Galleo¬
nen theilten. Er war ein Krieger, welcher rechtmäßige Beute des Krieges er¬
griff, eines Krieges, welcher während der 35 Menschenalter, die vorübergegangen
waren, seit die teutonischen Eroberer die Kinder des Bodens in die Gebirge
getrieben halten, nicht einmal unterbrochen worden war. Daß, wenn er er¬
griffen ward, während er nach solchen Grundsätzen raubte, er, zum Schutze
der friedlichen Gewerbsamkeit, mit der äußersten Strenge des Gesetzes bestraft
ward, war vollkommen gerecht. Aber es war nicht gerecht, ihn moralisch in
eine Classe mit den Taschendieben, die das Drurylanetheater heimsuchten, oder


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Philosophie auf die Probe gestellt haben. Er würde zuweilen in einer Hütte
gewohnt habe», wo jeder Winkel von Ungeziefer gewimmelt haben würde. Er
würde eine von Torfrauch verdickte und von hundert widerlichen Ausdünstungen
verdorbene Atmosphäre eingeathmet haben. Zur Abendmahlzeit würde ihm
nur für Pferde passendes Korn vorgesetzt worden sein, von einem Kuchen aus
von lebenden Kühen gezogenem Blute begleitet. Einige von der Gesellschaft,
mit der er geschmaust haben würde, würden mit Hautausschlägen bedeckt, und
andere würden mit Theer beschmiert gewesen sein,, wie Schafe. Sein Lager
würde die bloße Erde gewesen sein, trocken oder naß, je wie das Wetter sein
mochte, und von diesem Lager würde er halb vergiftet von Gestank, halb
blind von dem Torfrauch und halb wahnsinnig von Jucken aufgestanden sein.

Das ist kein anziehendes Gemälde. Und doch würde ein erleuchteter und
leidenschaftsloser Beobachter in dem Charakter und den Sitten dieser rohen
Leute etwas gefunden haben, das wol Bewunderung und gute Hoffnung
erregen konnte. Ihr Muth war so, wie ihn in alle den vier Theilen des
Erdkreises vollbrachte Großthaten seitdem erprobt haben. Ihre innige An¬
hänglichkeit an ihren eignen Stamm und an ihren eignen Patriarchen war
zwar politisch ein großes Uebel, hatte aber etwas von dem Wesen einer
Tugend. Die Gesinnung war irregeleitet und übelgeordnet; aber immerhin
war sie heroisch. Es muß eine gewisse Erhebung der Seele in einem Menschen
sein, der die Gesellschaft, deren Mitglied er ist, der den Führer, dem er
folgt, mit einer stärkern Liebe liebt, als die Liebe zum Leben. Es war wahr,
daß der Hochländer sich wenig Bedenken machte, das Blut eines Feindes zu
vergießen; aber es, war nicht weniger wahr, daß er hohe Begriffe von der
Pflicht hatte, Bundesgenossen Treue und Gästen Gastfreundschaft zu beweisen.
Es war wahr, daß seine räuberischen Gewohnheiten dem Gemeinwesen höchst
nachrheilig waren. Gleichwol irrten diejenigen sehr, die da wähnten, er habe
irgend eine Ähnlichkeit mit Bösewichtern gehabt, die in reichen und gut regierten
Gemeinwesen vom Diebstahl leben. Wenn er die Herden der Niederlands¬
pächter vor sich her den Paß hinaustrieb, der zu seiner heimischen Schlucht
führte, so sah er sich so wenig für einen Dieb an, wie die Naleighs und
Drakes sich für Diebe ansahen, wenn sie die Ladungen der spanischen Galleo¬
nen theilten. Er war ein Krieger, welcher rechtmäßige Beute des Krieges er¬
griff, eines Krieges, welcher während der 35 Menschenalter, die vorübergegangen
waren, seit die teutonischen Eroberer die Kinder des Bodens in die Gebirge
getrieben halten, nicht einmal unterbrochen worden war. Daß, wenn er er¬
griffen ward, während er nach solchen Grundsätzen raubte, er, zum Schutze
der friedlichen Gewerbsamkeit, mit der äußersten Strenge des Gesetzes bestraft
ward, war vollkommen gerecht. Aber es war nicht gerecht, ihn moralisch in
eine Classe mit den Taschendieben, die das Drurylanetheater heimsuchten, oder


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[0395] Philosophie auf die Probe gestellt haben. Er würde zuweilen in einer Hütte gewohnt habe», wo jeder Winkel von Ungeziefer gewimmelt haben würde. Er würde eine von Torfrauch verdickte und von hundert widerlichen Ausdünstungen verdorbene Atmosphäre eingeathmet haben. Zur Abendmahlzeit würde ihm nur für Pferde passendes Korn vorgesetzt worden sein, von einem Kuchen aus von lebenden Kühen gezogenem Blute begleitet. Einige von der Gesellschaft, mit der er geschmaust haben würde, würden mit Hautausschlägen bedeckt, und andere würden mit Theer beschmiert gewesen sein,, wie Schafe. Sein Lager würde die bloße Erde gewesen sein, trocken oder naß, je wie das Wetter sein mochte, und von diesem Lager würde er halb vergiftet von Gestank, halb blind von dem Torfrauch und halb wahnsinnig von Jucken aufgestanden sein. Das ist kein anziehendes Gemälde. Und doch würde ein erleuchteter und leidenschaftsloser Beobachter in dem Charakter und den Sitten dieser rohen Leute etwas gefunden haben, das wol Bewunderung und gute Hoffnung erregen konnte. Ihr Muth war so, wie ihn in alle den vier Theilen des Erdkreises vollbrachte Großthaten seitdem erprobt haben. Ihre innige An¬ hänglichkeit an ihren eignen Stamm und an ihren eignen Patriarchen war zwar politisch ein großes Uebel, hatte aber etwas von dem Wesen einer Tugend. Die Gesinnung war irregeleitet und übelgeordnet; aber immerhin war sie heroisch. Es muß eine gewisse Erhebung der Seele in einem Menschen sein, der die Gesellschaft, deren Mitglied er ist, der den Führer, dem er folgt, mit einer stärkern Liebe liebt, als die Liebe zum Leben. Es war wahr, daß der Hochländer sich wenig Bedenken machte, das Blut eines Feindes zu vergießen; aber es, war nicht weniger wahr, daß er hohe Begriffe von der Pflicht hatte, Bundesgenossen Treue und Gästen Gastfreundschaft zu beweisen. Es war wahr, daß seine räuberischen Gewohnheiten dem Gemeinwesen höchst nachrheilig waren. Gleichwol irrten diejenigen sehr, die da wähnten, er habe irgend eine Ähnlichkeit mit Bösewichtern gehabt, die in reichen und gut regierten Gemeinwesen vom Diebstahl leben. Wenn er die Herden der Niederlands¬ pächter vor sich her den Paß hinaustrieb, der zu seiner heimischen Schlucht führte, so sah er sich so wenig für einen Dieb an, wie die Naleighs und Drakes sich für Diebe ansahen, wenn sie die Ladungen der spanischen Galleo¬ nen theilten. Er war ein Krieger, welcher rechtmäßige Beute des Krieges er¬ griff, eines Krieges, welcher während der 35 Menschenalter, die vorübergegangen waren, seit die teutonischen Eroberer die Kinder des Bodens in die Gebirge getrieben halten, nicht einmal unterbrochen worden war. Daß, wenn er er¬ griffen ward, während er nach solchen Grundsätzen raubte, er, zum Schutze der friedlichen Gewerbsamkeit, mit der äußersten Strenge des Gesetzes bestraft ward, war vollkommen gerecht. Aber es war nicht gerecht, ihn moralisch in eine Classe mit den Taschendieben, die das Drurylanetheater heimsuchten, oder i9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/395>, abgerufen am 23.07.2024.