Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

, Zahlreiche Bücher wurden gedruckt, welche die Gesetze, die abergläubischen Vor¬
stellungen, die Hütten, die'Mahlzeiten, die Trachten, die Hochzeiten, die
Leichenbegängnisse von Lappländern und Hottentotten , Mohawks und Ma-
layen beschrieben. Die Theaterstücke und Gedichte jenes Zeitalters sind voll
von Anspielungen auf die Gebräuche der schwarzen Menschen Afrikas und der
rothen Menschen Amerikas. Der einzige Barbar, über den einige Kunde zu be¬
sitzen kein Wunsch bestand, war der Hochländer. Fünf oder sechs Jahre nach
der Revolution veröffentlichte ein unermüdlicher Angler einen Bericht über
Schottland. Er rühmte sich, daß er in dem Laufe seiner Wanderungen von
See zu See und von Bach zu Bach kaum einen Winkel des Königreichs un¬
erforscht gelassen habe. Wenn wir aber seine Erzählung untersuchen , so finden
wir, daß er sich niemals über den äußersten SauM der celtischen Gegend ge¬
wagt hat. Er erzählt uns, daß er selbst von den Leuten, die dicht an den
Pässen wohnten, wenig oder nichts über die gallische Bevölkerung habe er¬
fahren können. Wenige Engländer, sagt er, hätten jemals Jnvcrary gesehen.
Jenseits Jnvcrary sei alles Chaos. Unter der Regierung Georg I. erschien
ein Werk, das einen höchst genauen Bericht über Schottland zu geben
versicherte und in diesem aus mehr als 300 Seiten bestehenden Werke wurden
zwei geringschätzige Paragraphen für hinreichend für die Hochlande und die
Hochländer erachtet. Wir dürfen wol zweifeln, ob im Jahre 1689 einer von
zwanzig der wohlbelesenen Gentlemen, die in Wilts Kaffeehause zusammen¬
kamen, wußte, daß innerhalb der vier Meere und in einer Entfernung von
weniger als S00 Meilen von London viele Miniaturhöfe waren, in deren jedem
ein kleiner Fürst, von Garden,, von Waffenträgern, von Musikern, von einem
erblichen Redner, von einem erblichen Hofdichter umgeben, einen rohen Staat
hielt, eine rohe Justiz verwaltete, Kriege führte und Verträge schloß. So lange
die alten galischen Institutionen in voller Kraft waren, ist kein Bericht über
sie von irgend einem zu richtiger Beurtheilung derselben befähigten Beobachter
gegeben worden. Hätte ein solcher Beobachter den Charakter der Hochländer
studirt, so würde er unstreitig in demselben die guten und die schlechten Eigen¬
schaften einer uncivilisirten Nation gemischt gefunden haben. Er würde gefunden
haben, daß daS Volk keine Liebe zu sei.nem Vaterlande oder zu seinem König
hatte, daß es keine Anhänglichkeit an irgend ein größeres Gcsneinwesen,
als den Clan, oder an irgend eine höhere Obrigkeit, als den Häuptling,
kannte. Er würde gefunden haben, daß daS Leben durch einen Coder der
Sittlichkeit und Ehre beherrscht wurde, weit verschieden von dem, der in fried¬
lichen und blühenden Gesellschaften eingeführt ist. Er würde erfahren haben,
daß ein Stich in den Rücken, oder ein Schuß hinter dem Bruchstück eines
Felsens hervor, gebilligte Wege waren, für Beleidigungen Genugthuung zu
nehmen. Er würde Leute rühmend haben erzählen hören, wie sie oder ihre


Grenzbvte". I. ->3ö6. j9

, Zahlreiche Bücher wurden gedruckt, welche die Gesetze, die abergläubischen Vor¬
stellungen, die Hütten, die'Mahlzeiten, die Trachten, die Hochzeiten, die
Leichenbegängnisse von Lappländern und Hottentotten , Mohawks und Ma-
layen beschrieben. Die Theaterstücke und Gedichte jenes Zeitalters sind voll
von Anspielungen auf die Gebräuche der schwarzen Menschen Afrikas und der
rothen Menschen Amerikas. Der einzige Barbar, über den einige Kunde zu be¬
sitzen kein Wunsch bestand, war der Hochländer. Fünf oder sechs Jahre nach
der Revolution veröffentlichte ein unermüdlicher Angler einen Bericht über
Schottland. Er rühmte sich, daß er in dem Laufe seiner Wanderungen von
See zu See und von Bach zu Bach kaum einen Winkel des Königreichs un¬
erforscht gelassen habe. Wenn wir aber seine Erzählung untersuchen , so finden
wir, daß er sich niemals über den äußersten SauM der celtischen Gegend ge¬
wagt hat. Er erzählt uns, daß er selbst von den Leuten, die dicht an den
Pässen wohnten, wenig oder nichts über die gallische Bevölkerung habe er¬
fahren können. Wenige Engländer, sagt er, hätten jemals Jnvcrary gesehen.
Jenseits Jnvcrary sei alles Chaos. Unter der Regierung Georg I. erschien
ein Werk, das einen höchst genauen Bericht über Schottland zu geben
versicherte und in diesem aus mehr als 300 Seiten bestehenden Werke wurden
zwei geringschätzige Paragraphen für hinreichend für die Hochlande und die
Hochländer erachtet. Wir dürfen wol zweifeln, ob im Jahre 1689 einer von
zwanzig der wohlbelesenen Gentlemen, die in Wilts Kaffeehause zusammen¬
kamen, wußte, daß innerhalb der vier Meere und in einer Entfernung von
weniger als S00 Meilen von London viele Miniaturhöfe waren, in deren jedem
ein kleiner Fürst, von Garden,, von Waffenträgern, von Musikern, von einem
erblichen Redner, von einem erblichen Hofdichter umgeben, einen rohen Staat
hielt, eine rohe Justiz verwaltete, Kriege führte und Verträge schloß. So lange
die alten galischen Institutionen in voller Kraft waren, ist kein Bericht über
sie von irgend einem zu richtiger Beurtheilung derselben befähigten Beobachter
gegeben worden. Hätte ein solcher Beobachter den Charakter der Hochländer
studirt, so würde er unstreitig in demselben die guten und die schlechten Eigen¬
schaften einer uncivilisirten Nation gemischt gefunden haben. Er würde gefunden
haben, daß daS Volk keine Liebe zu sei.nem Vaterlande oder zu seinem König
hatte, daß es keine Anhänglichkeit an irgend ein größeres Gcsneinwesen,
als den Clan, oder an irgend eine höhere Obrigkeit, als den Häuptling,
kannte. Er würde gefunden haben, daß daS Leben durch einen Coder der
Sittlichkeit und Ehre beherrscht wurde, weit verschieden von dem, der in fried¬
lichen und blühenden Gesellschaften eingeführt ist. Er würde erfahren haben,
daß ein Stich in den Rücken, oder ein Schuß hinter dem Bruchstück eines
Felsens hervor, gebilligte Wege waren, für Beleidigungen Genugthuung zu
nehmen. Er würde Leute rühmend haben erzählen hören, wie sie oder ihre


Grenzbvte». I. ->3ö6. j9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0393" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101386"/>
          <p xml:id="ID_1185" prev="#ID_1184" next="#ID_1186"> , Zahlreiche Bücher wurden gedruckt, welche die Gesetze, die abergläubischen Vor¬<lb/>
stellungen, die Hütten, die'Mahlzeiten, die Trachten, die Hochzeiten, die<lb/>
Leichenbegängnisse von Lappländern und Hottentotten , Mohawks und Ma-<lb/>
layen beschrieben. Die Theaterstücke und Gedichte jenes Zeitalters sind voll<lb/>
von Anspielungen auf die Gebräuche der schwarzen Menschen Afrikas und der<lb/>
rothen Menschen Amerikas. Der einzige Barbar, über den einige Kunde zu be¬<lb/>
sitzen kein Wunsch bestand, war der Hochländer. Fünf oder sechs Jahre nach<lb/>
der Revolution veröffentlichte ein unermüdlicher Angler einen Bericht über<lb/>
Schottland. Er rühmte sich, daß er in dem Laufe seiner Wanderungen von<lb/>
See zu See und von Bach zu Bach kaum einen Winkel des Königreichs un¬<lb/>
erforscht gelassen habe. Wenn wir aber seine Erzählung untersuchen , so finden<lb/>
wir, daß er sich niemals über den äußersten SauM der celtischen Gegend ge¬<lb/>
wagt hat. Er erzählt uns, daß er selbst von den Leuten, die dicht an den<lb/>
Pässen wohnten, wenig oder nichts über die gallische Bevölkerung habe er¬<lb/>
fahren können. Wenige Engländer, sagt er, hätten jemals Jnvcrary gesehen.<lb/>
Jenseits Jnvcrary sei alles Chaos. Unter der Regierung Georg I. erschien<lb/>
ein Werk, das einen höchst genauen Bericht über Schottland zu geben<lb/>
versicherte und in diesem aus mehr als 300 Seiten bestehenden Werke wurden<lb/>
zwei geringschätzige Paragraphen für hinreichend für die Hochlande und die<lb/>
Hochländer erachtet. Wir dürfen wol zweifeln, ob im Jahre 1689 einer von<lb/>
zwanzig der wohlbelesenen Gentlemen, die in Wilts Kaffeehause zusammen¬<lb/>
kamen, wußte, daß innerhalb der vier Meere und in einer Entfernung von<lb/>
weniger als S00 Meilen von London viele Miniaturhöfe waren, in deren jedem<lb/>
ein kleiner Fürst, von Garden,, von Waffenträgern, von Musikern, von einem<lb/>
erblichen Redner, von einem erblichen Hofdichter umgeben, einen rohen Staat<lb/>
hielt, eine rohe Justiz verwaltete, Kriege führte und Verträge schloß. So lange<lb/>
die alten galischen Institutionen in voller Kraft waren, ist kein Bericht über<lb/>
sie von irgend einem zu richtiger Beurtheilung derselben befähigten Beobachter<lb/>
gegeben worden. Hätte ein solcher Beobachter den Charakter der Hochländer<lb/>
studirt, so würde er unstreitig in demselben die guten und die schlechten Eigen¬<lb/>
schaften einer uncivilisirten Nation gemischt gefunden haben. Er würde gefunden<lb/>
haben, daß daS Volk keine Liebe zu sei.nem Vaterlande oder zu seinem König<lb/>
hatte, daß es keine Anhänglichkeit an irgend ein größeres Gcsneinwesen,<lb/>
als den Clan, oder an irgend eine höhere Obrigkeit, als den Häuptling,<lb/>
kannte. Er würde gefunden haben, daß daS Leben durch einen Coder der<lb/>
Sittlichkeit und Ehre beherrscht wurde, weit verschieden von dem, der in fried¬<lb/>
lichen und blühenden Gesellschaften eingeführt ist. Er würde erfahren haben,<lb/>
daß ein Stich in den Rücken, oder ein Schuß hinter dem Bruchstück eines<lb/>
Felsens hervor, gebilligte Wege waren, für Beleidigungen Genugthuung zu<lb/>
nehmen. Er würde Leute rühmend haben erzählen hören, wie sie oder ihre</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbvte». I. -&gt;3ö6. j9</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0393] , Zahlreiche Bücher wurden gedruckt, welche die Gesetze, die abergläubischen Vor¬ stellungen, die Hütten, die'Mahlzeiten, die Trachten, die Hochzeiten, die Leichenbegängnisse von Lappländern und Hottentotten , Mohawks und Ma- layen beschrieben. Die Theaterstücke und Gedichte jenes Zeitalters sind voll von Anspielungen auf die Gebräuche der schwarzen Menschen Afrikas und der rothen Menschen Amerikas. Der einzige Barbar, über den einige Kunde zu be¬ sitzen kein Wunsch bestand, war der Hochländer. Fünf oder sechs Jahre nach der Revolution veröffentlichte ein unermüdlicher Angler einen Bericht über Schottland. Er rühmte sich, daß er in dem Laufe seiner Wanderungen von See zu See und von Bach zu Bach kaum einen Winkel des Königreichs un¬ erforscht gelassen habe. Wenn wir aber seine Erzählung untersuchen , so finden wir, daß er sich niemals über den äußersten SauM der celtischen Gegend ge¬ wagt hat. Er erzählt uns, daß er selbst von den Leuten, die dicht an den Pässen wohnten, wenig oder nichts über die gallische Bevölkerung habe er¬ fahren können. Wenige Engländer, sagt er, hätten jemals Jnvcrary gesehen. Jenseits Jnvcrary sei alles Chaos. Unter der Regierung Georg I. erschien ein Werk, das einen höchst genauen Bericht über Schottland zu geben versicherte und in diesem aus mehr als 300 Seiten bestehenden Werke wurden zwei geringschätzige Paragraphen für hinreichend für die Hochlande und die Hochländer erachtet. Wir dürfen wol zweifeln, ob im Jahre 1689 einer von zwanzig der wohlbelesenen Gentlemen, die in Wilts Kaffeehause zusammen¬ kamen, wußte, daß innerhalb der vier Meere und in einer Entfernung von weniger als S00 Meilen von London viele Miniaturhöfe waren, in deren jedem ein kleiner Fürst, von Garden,, von Waffenträgern, von Musikern, von einem erblichen Redner, von einem erblichen Hofdichter umgeben, einen rohen Staat hielt, eine rohe Justiz verwaltete, Kriege führte und Verträge schloß. So lange die alten galischen Institutionen in voller Kraft waren, ist kein Bericht über sie von irgend einem zu richtiger Beurtheilung derselben befähigten Beobachter gegeben worden. Hätte ein solcher Beobachter den Charakter der Hochländer studirt, so würde er unstreitig in demselben die guten und die schlechten Eigen¬ schaften einer uncivilisirten Nation gemischt gefunden haben. Er würde gefunden haben, daß daS Volk keine Liebe zu sei.nem Vaterlande oder zu seinem König hatte, daß es keine Anhänglichkeit an irgend ein größeres Gcsneinwesen, als den Clan, oder an irgend eine höhere Obrigkeit, als den Häuptling, kannte. Er würde gefunden haben, daß daS Leben durch einen Coder der Sittlichkeit und Ehre beherrscht wurde, weit verschieden von dem, der in fried¬ lichen und blühenden Gesellschaften eingeführt ist. Er würde erfahren haben, daß ein Stich in den Rücken, oder ein Schuß hinter dem Bruchstück eines Felsens hervor, gebilligte Wege waren, für Beleidigungen Genugthuung zu nehmen. Er würde Leute rühmend haben erzählen hören, wie sie oder ihre Grenzbvte». I. ->3ö6. j9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/393
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/393>, abgerufen am 23.07.2024.