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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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litem und die Hochländer, beide dem celtischen Stamm angehörig, beide in
einem Zustand der Wildheit, der an die Indianer erinnert. Die Schilderungen
der Kämpfe in Irland und Schottland sind mit einer Meisterschaft aus¬
geführt, wie sie selten ein Geschichtschreiber erreicht hat. Sie sind ein völlig
ebenbürtiges Seitenstück zu der Schilderung der englischen Zustände von 4683
im ersten Bande. Es ist nicht blos die helle Localfarbe, nicht blos l>le kühne
Bewegung, was diese Schilderungen so anziehend macht, es ist vor allen
Dingen der große Sinn, in dem sie angelegt sind. So empfänglich die Phan¬
tasie des Geschichtschreibers ist, so lebhaft sie alles Poetische in den Zuständen
aufnimmt, so wenig läßt sich der Verstand und das Gewissen Macaulays von
ihr bestechen. Wir sehen mit Freude, wie die ernste Arbeit und das gesunde
sittliche Verhalten über diese Nalurwüchsigkeit trümiphiren, die eine Schande
sür den Staat war. Die Unterwerfung der Hochlande hat Blut gekostet, aber
sie war segensreich für die Unterworfenen selbst, und wenn in Irland nicht
ein gleiches Resultat erzielt wurde, so war der König nicht daran schuld.

Diese verwirrten Zustände muß man sich vergegenwärtigen, wenn man
die Sympathie Macaulays für König Wilhelm, die so großen Anstoß erregt
hat, richtig würdigen will. Wilhelm war keine liebenswürdige, er war im
Grund auch keine heroische Natur; er war gegen seine englischen Unterthanen
höchst ungemüthlich; zurückstoßend gegen die Vornehmen, die sich an ihn dräng¬
ten, gleichgiltig gegen das Volk, daS ihn auf den Thron gehoben. Er kannte
die Menschen seiner Zeit gut genug, um sie gründlich zu verachten, so gründ¬
lich, daß er es in den meisten Fällen gar nicht sür nöthig fand, ihre Ver¬
brechen zu bestrafen. Großen, kühnen Entschlüssen war er abgeneigt; die kluge
Berechnung und Erwägung aller Umstände war sein leitendes Princip. --
Aber in seiner Persönlichkeit hätte das Bedürfniß der Zeit sich verkörpert.
Sein Wille war fest und unbeugsam, von einer Zähigkeit, die sich von keinen
Hindernissen abschrecken ließ; sein Verstand scharf und durchdringend, von
keinem der damals herrschenden Vorurtheile getrübt. Seine frühere Zeit ist
nicht frei von Schuld, aber er machte sie später durch eine Ehrlichkeit in seinen
Mitteln und Zwecken gut, die zum Theil freilich mit der Klarheit seines Ver¬
standes zusammenhing. Er, der einzige unter einer verderbten und schwächlichen
Gesellschaft, wußte klar waS er wollte, verfolgte es mit unerbittlicher Aus¬
dauer, und das, waS er wollte, war mit dem Gesammtwohl seines Staats
identisch. Sein Triumph war also zugleich ein Fortschritt der menschlichen
Entwicklung, und wir treten entschieden auf Macaulays Seite, wenn er ihn
als seinen Helden feiert.

Die Phantasie wird in diesen beiden neuen Bänden im Ganzen weniger
beschäftigt, als in den ersten; für die politisch-historische Einsicht aber sind
sie noch ungleich wichtiger, und wir nehmen keinen Anstand, sie in Widerspruch


litem und die Hochländer, beide dem celtischen Stamm angehörig, beide in
einem Zustand der Wildheit, der an die Indianer erinnert. Die Schilderungen
der Kämpfe in Irland und Schottland sind mit einer Meisterschaft aus¬
geführt, wie sie selten ein Geschichtschreiber erreicht hat. Sie sind ein völlig
ebenbürtiges Seitenstück zu der Schilderung der englischen Zustände von 4683
im ersten Bande. Es ist nicht blos die helle Localfarbe, nicht blos l>le kühne
Bewegung, was diese Schilderungen so anziehend macht, es ist vor allen
Dingen der große Sinn, in dem sie angelegt sind. So empfänglich die Phan¬
tasie des Geschichtschreibers ist, so lebhaft sie alles Poetische in den Zuständen
aufnimmt, so wenig läßt sich der Verstand und das Gewissen Macaulays von
ihr bestechen. Wir sehen mit Freude, wie die ernste Arbeit und das gesunde
sittliche Verhalten über diese Nalurwüchsigkeit trümiphiren, die eine Schande
sür den Staat war. Die Unterwerfung der Hochlande hat Blut gekostet, aber
sie war segensreich für die Unterworfenen selbst, und wenn in Irland nicht
ein gleiches Resultat erzielt wurde, so war der König nicht daran schuld.

Diese verwirrten Zustände muß man sich vergegenwärtigen, wenn man
die Sympathie Macaulays für König Wilhelm, die so großen Anstoß erregt
hat, richtig würdigen will. Wilhelm war keine liebenswürdige, er war im
Grund auch keine heroische Natur; er war gegen seine englischen Unterthanen
höchst ungemüthlich; zurückstoßend gegen die Vornehmen, die sich an ihn dräng¬
ten, gleichgiltig gegen das Volk, daS ihn auf den Thron gehoben. Er kannte
die Menschen seiner Zeit gut genug, um sie gründlich zu verachten, so gründ¬
lich, daß er es in den meisten Fällen gar nicht sür nöthig fand, ihre Ver¬
brechen zu bestrafen. Großen, kühnen Entschlüssen war er abgeneigt; die kluge
Berechnung und Erwägung aller Umstände war sein leitendes Princip. —
Aber in seiner Persönlichkeit hätte das Bedürfniß der Zeit sich verkörpert.
Sein Wille war fest und unbeugsam, von einer Zähigkeit, die sich von keinen
Hindernissen abschrecken ließ; sein Verstand scharf und durchdringend, von
keinem der damals herrschenden Vorurtheile getrübt. Seine frühere Zeit ist
nicht frei von Schuld, aber er machte sie später durch eine Ehrlichkeit in seinen
Mitteln und Zwecken gut, die zum Theil freilich mit der Klarheit seines Ver¬
standes zusammenhing. Er, der einzige unter einer verderbten und schwächlichen
Gesellschaft, wußte klar waS er wollte, verfolgte es mit unerbittlicher Aus¬
dauer, und das, waS er wollte, war mit dem Gesammtwohl seines Staats
identisch. Sein Triumph war also zugleich ein Fortschritt der menschlichen
Entwicklung, und wir treten entschieden auf Macaulays Seite, wenn er ihn
als seinen Helden feiert.

Die Phantasie wird in diesen beiden neuen Bänden im Ganzen weniger
beschäftigt, als in den ersten; für die politisch-historische Einsicht aber sind
sie noch ungleich wichtiger, und wir nehmen keinen Anstand, sie in Widerspruch


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[0390] litem und die Hochländer, beide dem celtischen Stamm angehörig, beide in einem Zustand der Wildheit, der an die Indianer erinnert. Die Schilderungen der Kämpfe in Irland und Schottland sind mit einer Meisterschaft aus¬ geführt, wie sie selten ein Geschichtschreiber erreicht hat. Sie sind ein völlig ebenbürtiges Seitenstück zu der Schilderung der englischen Zustände von 4683 im ersten Bande. Es ist nicht blos die helle Localfarbe, nicht blos l>le kühne Bewegung, was diese Schilderungen so anziehend macht, es ist vor allen Dingen der große Sinn, in dem sie angelegt sind. So empfänglich die Phan¬ tasie des Geschichtschreibers ist, so lebhaft sie alles Poetische in den Zuständen aufnimmt, so wenig läßt sich der Verstand und das Gewissen Macaulays von ihr bestechen. Wir sehen mit Freude, wie die ernste Arbeit und das gesunde sittliche Verhalten über diese Nalurwüchsigkeit trümiphiren, die eine Schande sür den Staat war. Die Unterwerfung der Hochlande hat Blut gekostet, aber sie war segensreich für die Unterworfenen selbst, und wenn in Irland nicht ein gleiches Resultat erzielt wurde, so war der König nicht daran schuld. Diese verwirrten Zustände muß man sich vergegenwärtigen, wenn man die Sympathie Macaulays für König Wilhelm, die so großen Anstoß erregt hat, richtig würdigen will. Wilhelm war keine liebenswürdige, er war im Grund auch keine heroische Natur; er war gegen seine englischen Unterthanen höchst ungemüthlich; zurückstoßend gegen die Vornehmen, die sich an ihn dräng¬ ten, gleichgiltig gegen das Volk, daS ihn auf den Thron gehoben. Er kannte die Menschen seiner Zeit gut genug, um sie gründlich zu verachten, so gründ¬ lich, daß er es in den meisten Fällen gar nicht sür nöthig fand, ihre Ver¬ brechen zu bestrafen. Großen, kühnen Entschlüssen war er abgeneigt; die kluge Berechnung und Erwägung aller Umstände war sein leitendes Princip. — Aber in seiner Persönlichkeit hätte das Bedürfniß der Zeit sich verkörpert. Sein Wille war fest und unbeugsam, von einer Zähigkeit, die sich von keinen Hindernissen abschrecken ließ; sein Verstand scharf und durchdringend, von keinem der damals herrschenden Vorurtheile getrübt. Seine frühere Zeit ist nicht frei von Schuld, aber er machte sie später durch eine Ehrlichkeit in seinen Mitteln und Zwecken gut, die zum Theil freilich mit der Klarheit seines Ver¬ standes zusammenhing. Er, der einzige unter einer verderbten und schwächlichen Gesellschaft, wußte klar waS er wollte, verfolgte es mit unerbittlicher Aus¬ dauer, und das, waS er wollte, war mit dem Gesammtwohl seines Staats identisch. Sein Triumph war also zugleich ein Fortschritt der menschlichen Entwicklung, und wir treten entschieden auf Macaulays Seite, wenn er ihn als seinen Helden feiert. Die Phantasie wird in diesen beiden neuen Bänden im Ganzen weniger beschäftigt, als in den ersten; für die politisch-historische Einsicht aber sind sie noch ungleich wichtiger, und wir nehmen keinen Anstand, sie in Widerspruch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/390>, abgerufen am 23.07.2024.