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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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dieses innern Sinnes ist es gekommen, daß jene anscheinend kleinlichen In¬
triguen, Balgereien u. s. w. eine ewige Folge für die Entwicklung der Nation
gehabt haben, daß sie fortleben in dem Gedächtniß der Menschen, wie in den
wirklichen Zuständen; und weil Macaulay den großen politischen Sinn besaß,
diesen innern ideellen Zusammenhang vollkommen zu durchschauen und die
Kraft, ihn in großen Zügen wiederzugeben, darum ist auch für uns Deutsche
feine Geschichte lebendige Gegenwart und wir können an den kleinen Intriguen
zwischen Halifax und Dandy einen ebenso lebhaften Antheil nehmen, als an
den Schlachten zwischen Berrihard von Weimar und den Kaiserlichen, die zwar
an sich die Phantasie viel lebhafter beschäftigen, die aber ohne Folge geblieben
sind und die daher aufgehört haben, für uns Gegenwart zu sein.

So bedeutend Macaulay an Talent die meisten seiner Vorgänger überragt,
so tritt er doch keineswegs aus der Methode der alten englischen Geschichtschrei¬
bung heraus. Die Engländer haben niemals vergessen, was in Deutschland
häufig von den geistvollsten Männern außer Acht gelassen ist, daß nämlich der
Geschichtschreiber zwei Aufgaben hat: einmal klar, übersichtlich und vollständig
zu erzählen, sodann die Begebenheiten nach einem bestimmten, sittlich-politischen
Maßstabe zu messen, um ihren innern Sinn zu begreifen und sie fruchtbar für
die Gegenwart zu machen. Jene Methode, die wir bei den Deutschen so
häusig antreffen, von den Begebenheiten nur den Schaum abzuschöpfen und
statt der Geschichte Reflexionen über die Geschichte zu geben, würde den Eng¬
ländern ebenso unverständlich sein, als jene sogenannte Objectivität, die in der
Geschichte nichts sieht, als ein Schauspiel, und ihr nur ein müßiges ästhetisches
Wohlbehagen entgegenbringt. Jetzt ist es Gott sei Dank auch in Deutschland
damit anders geworden, und wir haben bereits bei der Charakteristik Sybcls
darauf aufmerksam gemacht, daß wir grade aus diesem Fortschritt der Wissenschaft
auch die besten Hoffnungen für den Fortschritt in unserm nationalen Be¬
wußtsein schöpfen.

Macaulay gehört der alten pragmatischen Schule an, aber in seiner Art ist
allerdings gegen Hume ein großer Fortschritt. Er erzählt nicht blos deutlich
und ausführlich, sondern er stellt lebendig und plastisch dar. Bei keinem
Schriftsteller zeigt sich der Einfluß des historischen Romans in einem so günsti¬
gen Licht. Macaulay steht zu W. Scott in einem eigenthümlichen Verhält¬
niß. Wenn er ehrlich sein wollte, so müßte er zugestehen, daß er erst von
ihm gelernt hat, wie man historische Ereignisse dramatisch auseinanderlegt. ES
fehlt auch nicht an einzelnen Stellen, wo er deS großen Dichters rühmlichst
gedenkt, aber im Ganzen vermeidet er es, von ihm zu sprechen; wo er auf ihn
hindeuten maß, verschweigt er seinen Namen, ja während z. B. Lord Mahon
bei jedem Ereigniß, welches bereits durch den Pinsel W. Scotts verherrlicht
ist, mit Freude und Stolz auf seinen großen Landsmann hinweist, liebt es


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dieses innern Sinnes ist es gekommen, daß jene anscheinend kleinlichen In¬
triguen, Balgereien u. s. w. eine ewige Folge für die Entwicklung der Nation
gehabt haben, daß sie fortleben in dem Gedächtniß der Menschen, wie in den
wirklichen Zuständen; und weil Macaulay den großen politischen Sinn besaß,
diesen innern ideellen Zusammenhang vollkommen zu durchschauen und die
Kraft, ihn in großen Zügen wiederzugeben, darum ist auch für uns Deutsche
feine Geschichte lebendige Gegenwart und wir können an den kleinen Intriguen
zwischen Halifax und Dandy einen ebenso lebhaften Antheil nehmen, als an
den Schlachten zwischen Berrihard von Weimar und den Kaiserlichen, die zwar
an sich die Phantasie viel lebhafter beschäftigen, die aber ohne Folge geblieben
sind und die daher aufgehört haben, für uns Gegenwart zu sein.

So bedeutend Macaulay an Talent die meisten seiner Vorgänger überragt,
so tritt er doch keineswegs aus der Methode der alten englischen Geschichtschrei¬
bung heraus. Die Engländer haben niemals vergessen, was in Deutschland
häufig von den geistvollsten Männern außer Acht gelassen ist, daß nämlich der
Geschichtschreiber zwei Aufgaben hat: einmal klar, übersichtlich und vollständig
zu erzählen, sodann die Begebenheiten nach einem bestimmten, sittlich-politischen
Maßstabe zu messen, um ihren innern Sinn zu begreifen und sie fruchtbar für
die Gegenwart zu machen. Jene Methode, die wir bei den Deutschen so
häusig antreffen, von den Begebenheiten nur den Schaum abzuschöpfen und
statt der Geschichte Reflexionen über die Geschichte zu geben, würde den Eng¬
ländern ebenso unverständlich sein, als jene sogenannte Objectivität, die in der
Geschichte nichts sieht, als ein Schauspiel, und ihr nur ein müßiges ästhetisches
Wohlbehagen entgegenbringt. Jetzt ist es Gott sei Dank auch in Deutschland
damit anders geworden, und wir haben bereits bei der Charakteristik Sybcls
darauf aufmerksam gemacht, daß wir grade aus diesem Fortschritt der Wissenschaft
auch die besten Hoffnungen für den Fortschritt in unserm nationalen Be¬
wußtsein schöpfen.

Macaulay gehört der alten pragmatischen Schule an, aber in seiner Art ist
allerdings gegen Hume ein großer Fortschritt. Er erzählt nicht blos deutlich
und ausführlich, sondern er stellt lebendig und plastisch dar. Bei keinem
Schriftsteller zeigt sich der Einfluß des historischen Romans in einem so günsti¬
gen Licht. Macaulay steht zu W. Scott in einem eigenthümlichen Verhält¬
niß. Wenn er ehrlich sein wollte, so müßte er zugestehen, daß er erst von
ihm gelernt hat, wie man historische Ereignisse dramatisch auseinanderlegt. ES
fehlt auch nicht an einzelnen Stellen, wo er deS großen Dichters rühmlichst
gedenkt, aber im Ganzen vermeidet er es, von ihm zu sprechen; wo er auf ihn
hindeuten maß, verschweigt er seinen Namen, ja während z. B. Lord Mahon
bei jedem Ereigniß, welches bereits durch den Pinsel W. Scotts verherrlicht
ist, mit Freude und Stolz auf seinen großen Landsmann hinweist, liebt es


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[0385] dieses innern Sinnes ist es gekommen, daß jene anscheinend kleinlichen In¬ triguen, Balgereien u. s. w. eine ewige Folge für die Entwicklung der Nation gehabt haben, daß sie fortleben in dem Gedächtniß der Menschen, wie in den wirklichen Zuständen; und weil Macaulay den großen politischen Sinn besaß, diesen innern ideellen Zusammenhang vollkommen zu durchschauen und die Kraft, ihn in großen Zügen wiederzugeben, darum ist auch für uns Deutsche feine Geschichte lebendige Gegenwart und wir können an den kleinen Intriguen zwischen Halifax und Dandy einen ebenso lebhaften Antheil nehmen, als an den Schlachten zwischen Berrihard von Weimar und den Kaiserlichen, die zwar an sich die Phantasie viel lebhafter beschäftigen, die aber ohne Folge geblieben sind und die daher aufgehört haben, für uns Gegenwart zu sein. So bedeutend Macaulay an Talent die meisten seiner Vorgänger überragt, so tritt er doch keineswegs aus der Methode der alten englischen Geschichtschrei¬ bung heraus. Die Engländer haben niemals vergessen, was in Deutschland häufig von den geistvollsten Männern außer Acht gelassen ist, daß nämlich der Geschichtschreiber zwei Aufgaben hat: einmal klar, übersichtlich und vollständig zu erzählen, sodann die Begebenheiten nach einem bestimmten, sittlich-politischen Maßstabe zu messen, um ihren innern Sinn zu begreifen und sie fruchtbar für die Gegenwart zu machen. Jene Methode, die wir bei den Deutschen so häusig antreffen, von den Begebenheiten nur den Schaum abzuschöpfen und statt der Geschichte Reflexionen über die Geschichte zu geben, würde den Eng¬ ländern ebenso unverständlich sein, als jene sogenannte Objectivität, die in der Geschichte nichts sieht, als ein Schauspiel, und ihr nur ein müßiges ästhetisches Wohlbehagen entgegenbringt. Jetzt ist es Gott sei Dank auch in Deutschland damit anders geworden, und wir haben bereits bei der Charakteristik Sybcls darauf aufmerksam gemacht, daß wir grade aus diesem Fortschritt der Wissenschaft auch die besten Hoffnungen für den Fortschritt in unserm nationalen Be¬ wußtsein schöpfen. Macaulay gehört der alten pragmatischen Schule an, aber in seiner Art ist allerdings gegen Hume ein großer Fortschritt. Er erzählt nicht blos deutlich und ausführlich, sondern er stellt lebendig und plastisch dar. Bei keinem Schriftsteller zeigt sich der Einfluß des historischen Romans in einem so günsti¬ gen Licht. Macaulay steht zu W. Scott in einem eigenthümlichen Verhält¬ niß. Wenn er ehrlich sein wollte, so müßte er zugestehen, daß er erst von ihm gelernt hat, wie man historische Ereignisse dramatisch auseinanderlegt. ES fehlt auch nicht an einzelnen Stellen, wo er deS großen Dichters rühmlichst gedenkt, aber im Ganzen vermeidet er es, von ihm zu sprechen; wo er auf ihn hindeuten maß, verschweigt er seinen Namen, ja während z. B. Lord Mahon bei jedem Ereigniß, welches bereits durch den Pinsel W. Scotts verherrlicht ist, mit Freude und Stolz auf seinen großen Landsmann hinweist, liebt es Gmizbotc», I. 18-ni> ^ j,8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/385>, abgerufen am 23.07.2024.