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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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immer weiter ausgedehnt wird; aber in Beziehung auf die Doctrin geht die
Färbung allerdings lediglich von der äußersten Rechten aus. Selbst der Re-
gierungscommissarius sprach im Sinn der Gerlach'schen Theorie, wenn er auch
die grellsten Stichwörter vermied; und das ist für das parlamentarische Leben
ein großer Uebelstand, denn es macht die Verständigung schwer, ja unmöglich.

Der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung, der sich beiläufig einmal zu
dem Geständnis? herbeiließ, er habe sich allerdings zur Zeit seiner Redaction
manche Sünden zu Schulden kommen lassen und bereue dieselben, ist uner¬
müdlich, so wie er selbst seine Ansichten aus einem bestimmten Princip her¬
leitet, die Ansichten seiner Gegner aus einem bestimmten Princip zu entwickeln.
Sein Ideal ist nach seiner Erklärung der ständische Staat, das seiner Gegner
der industrielle. Es lohnt nicht der Mühe, sich auf Wortstreitigkeiten einzu¬
lassen, wenn man nur den Sinn feststellt. Die Industrie ist eine wesentliche
Thätigkeit des Bürgerthums, und infofern die Linke allerdings das Bürger-
thum zur Grundlage des Staats zu erheben strebt, kann sie es sich wol ge¬
fallen lassen, mit dem Princip der Industrie identificirt zu werden. Der ge¬
läufigste Ausdruck für die beiden Gegensätze ist nicht Ständethum und Jn-
dustrialiomus, sondern Aristokratie und Demokratie. Die rechte Seite des
Hauses, soweit sie überhaupt selbstständig ist, sucht den Adel zum Mittelpunkt
deS Staats zu machen, die Linke das Bürgerthum. Zunächst sind dabei die
Interessen im Spiel, da jeder das Siaatsleben aus dem Gesichtspunkt seines
Standes ansieht; dann kommt aber die Theorie dazu. Die rechte Seite des
Hauses gebt nicht so weit, wie einer ihrer frühern Redner, den Adel zum aus¬
schließlichen Träger des Staatslebens zu machen und zu diesem.Zweck allen¬
falls die großen Städte vom Erdboden zu vertilgen, sie will im Gegentheil
die Vorzüge ihres Standes auch den andern Ständen im verkleinerten Ma߬
stabe zu Theil werden lassen. Sie weiß, daß die wichtigste Stütze des Adels
der Corpsgeist ist, sie will deshalb auch das Bürgerthum in Korporationen
vereinigen, wobei sich von selbst versteht, daß diese eine untergeordnete Stellung
im Staatsleben einnehmen, und daß die eigentliche Regierung in öffentlichen,
wie in localen Angelegenheiten Sache des Adels ist. Die linke Seite dagegen,
die von dem Grundsatz ausgeht, daß bei jedem bürgerlichen Betrieb Selbstthä¬
tigkeit die Hauptsache ist, will den Einzelnen zur freien Selbstthätigkeit erziehen
und zu diesem Zweck die künstlichen Schranken entfernen, die ihn daran hin¬
dern, seine Kraft nach Gutdünken zu entfalten. Sie will keineswegs dem
Edelmann seine persönlichen Vorzüge nehmen, sie will ihn aber dem allgemei¬
nen bürgerlichen Recht unterordnen. -- So schroff sich dem Anschein nach
diese beiden Principien entgegenstehen, so wird sich in praktischen Fragen doch
meistens eine Ausgleichung finden lassen, wenn man mit gutem ehrlichen
Willen daran geht und sein Auge vor den Thatsachen nicht verschließt. Es


immer weiter ausgedehnt wird; aber in Beziehung auf die Doctrin geht die
Färbung allerdings lediglich von der äußersten Rechten aus. Selbst der Re-
gierungscommissarius sprach im Sinn der Gerlach'schen Theorie, wenn er auch
die grellsten Stichwörter vermied; und das ist für das parlamentarische Leben
ein großer Uebelstand, denn es macht die Verständigung schwer, ja unmöglich.

Der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung, der sich beiläufig einmal zu
dem Geständnis? herbeiließ, er habe sich allerdings zur Zeit seiner Redaction
manche Sünden zu Schulden kommen lassen und bereue dieselben, ist uner¬
müdlich, so wie er selbst seine Ansichten aus einem bestimmten Princip her¬
leitet, die Ansichten seiner Gegner aus einem bestimmten Princip zu entwickeln.
Sein Ideal ist nach seiner Erklärung der ständische Staat, das seiner Gegner
der industrielle. Es lohnt nicht der Mühe, sich auf Wortstreitigkeiten einzu¬
lassen, wenn man nur den Sinn feststellt. Die Industrie ist eine wesentliche
Thätigkeit des Bürgerthums, und infofern die Linke allerdings das Bürger-
thum zur Grundlage des Staats zu erheben strebt, kann sie es sich wol ge¬
fallen lassen, mit dem Princip der Industrie identificirt zu werden. Der ge¬
läufigste Ausdruck für die beiden Gegensätze ist nicht Ständethum und Jn-
dustrialiomus, sondern Aristokratie und Demokratie. Die rechte Seite des
Hauses, soweit sie überhaupt selbstständig ist, sucht den Adel zum Mittelpunkt
deS Staats zu machen, die Linke das Bürgerthum. Zunächst sind dabei die
Interessen im Spiel, da jeder das Siaatsleben aus dem Gesichtspunkt seines
Standes ansieht; dann kommt aber die Theorie dazu. Die rechte Seite des
Hauses gebt nicht so weit, wie einer ihrer frühern Redner, den Adel zum aus¬
schließlichen Träger des Staatslebens zu machen und zu diesem.Zweck allen¬
falls die großen Städte vom Erdboden zu vertilgen, sie will im Gegentheil
die Vorzüge ihres Standes auch den andern Ständen im verkleinerten Ma߬
stabe zu Theil werden lassen. Sie weiß, daß die wichtigste Stütze des Adels
der Corpsgeist ist, sie will deshalb auch das Bürgerthum in Korporationen
vereinigen, wobei sich von selbst versteht, daß diese eine untergeordnete Stellung
im Staatsleben einnehmen, und daß die eigentliche Regierung in öffentlichen,
wie in localen Angelegenheiten Sache des Adels ist. Die linke Seite dagegen,
die von dem Grundsatz ausgeht, daß bei jedem bürgerlichen Betrieb Selbstthä¬
tigkeit die Hauptsache ist, will den Einzelnen zur freien Selbstthätigkeit erziehen
und zu diesem Zweck die künstlichen Schranken entfernen, die ihn daran hin¬
dern, seine Kraft nach Gutdünken zu entfalten. Sie will keineswegs dem
Edelmann seine persönlichen Vorzüge nehmen, sie will ihn aber dem allgemei¬
nen bürgerlichen Recht unterordnen. — So schroff sich dem Anschein nach
diese beiden Principien entgegenstehen, so wird sich in praktischen Fragen doch
meistens eine Ausgleichung finden lassen, wenn man mit gutem ehrlichen
Willen daran geht und sein Auge vor den Thatsachen nicht verschließt. Es


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[0381] immer weiter ausgedehnt wird; aber in Beziehung auf die Doctrin geht die Färbung allerdings lediglich von der äußersten Rechten aus. Selbst der Re- gierungscommissarius sprach im Sinn der Gerlach'schen Theorie, wenn er auch die grellsten Stichwörter vermied; und das ist für das parlamentarische Leben ein großer Uebelstand, denn es macht die Verständigung schwer, ja unmöglich. Der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung, der sich beiläufig einmal zu dem Geständnis? herbeiließ, er habe sich allerdings zur Zeit seiner Redaction manche Sünden zu Schulden kommen lassen und bereue dieselben, ist uner¬ müdlich, so wie er selbst seine Ansichten aus einem bestimmten Princip her¬ leitet, die Ansichten seiner Gegner aus einem bestimmten Princip zu entwickeln. Sein Ideal ist nach seiner Erklärung der ständische Staat, das seiner Gegner der industrielle. Es lohnt nicht der Mühe, sich auf Wortstreitigkeiten einzu¬ lassen, wenn man nur den Sinn feststellt. Die Industrie ist eine wesentliche Thätigkeit des Bürgerthums, und infofern die Linke allerdings das Bürger- thum zur Grundlage des Staats zu erheben strebt, kann sie es sich wol ge¬ fallen lassen, mit dem Princip der Industrie identificirt zu werden. Der ge¬ läufigste Ausdruck für die beiden Gegensätze ist nicht Ständethum und Jn- dustrialiomus, sondern Aristokratie und Demokratie. Die rechte Seite des Hauses, soweit sie überhaupt selbstständig ist, sucht den Adel zum Mittelpunkt deS Staats zu machen, die Linke das Bürgerthum. Zunächst sind dabei die Interessen im Spiel, da jeder das Siaatsleben aus dem Gesichtspunkt seines Standes ansieht; dann kommt aber die Theorie dazu. Die rechte Seite des Hauses gebt nicht so weit, wie einer ihrer frühern Redner, den Adel zum aus¬ schließlichen Träger des Staatslebens zu machen und zu diesem.Zweck allen¬ falls die großen Städte vom Erdboden zu vertilgen, sie will im Gegentheil die Vorzüge ihres Standes auch den andern Ständen im verkleinerten Ma߬ stabe zu Theil werden lassen. Sie weiß, daß die wichtigste Stütze des Adels der Corpsgeist ist, sie will deshalb auch das Bürgerthum in Korporationen vereinigen, wobei sich von selbst versteht, daß diese eine untergeordnete Stellung im Staatsleben einnehmen, und daß die eigentliche Regierung in öffentlichen, wie in localen Angelegenheiten Sache des Adels ist. Die linke Seite dagegen, die von dem Grundsatz ausgeht, daß bei jedem bürgerlichen Betrieb Selbstthä¬ tigkeit die Hauptsache ist, will den Einzelnen zur freien Selbstthätigkeit erziehen und zu diesem Zweck die künstlichen Schranken entfernen, die ihn daran hin¬ dern, seine Kraft nach Gutdünken zu entfalten. Sie will keineswegs dem Edelmann seine persönlichen Vorzüge nehmen, sie will ihn aber dem allgemei¬ nen bürgerlichen Recht unterordnen. — So schroff sich dem Anschein nach diese beiden Principien entgegenstehen, so wird sich in praktischen Fragen doch meistens eine Ausgleichung finden lassen, wenn man mit gutem ehrlichen Willen daran geht und sein Auge vor den Thatsachen nicht verschließt. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/381>, abgerufen am 23.07.2024.