Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.stein vorherrscht, ein melancholisches Temperament, und es dürfte nicht zu viel Der Angle ist melancholischen Temperaments. Er gibt sich gern Grübe¬ Der Angle ist serner ein Mann von schnellen Begriffen und großer Lese¬ stein vorherrscht, ein melancholisches Temperament, und es dürfte nicht zu viel Der Angle ist melancholischen Temperaments. Er gibt sich gern Grübe¬ Der Angle ist serner ein Mann von schnellen Begriffen und großer Lese¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101031"/> <p xml:id="ID_100" prev="#ID_99"> stein vorherrscht, ein melancholisches Temperament, und es dürfte nicht zu viel<lb/> behauptet sein, wenn man sagt, er sei eine sinnigere, den geistigen Interessen<lb/> mehr zugewandte Natur als der Niedersachse. Er begreift leicht und lernt<lb/> gern. Er ist ferner zu Mißtrauen und Argwohn geneigt und. wo er im Rechte<lb/> zu sein glaubt, äußerst hartnäckig. Was mau sonst als unterscheidende Merk¬<lb/> male seines Charakters angeführt hat, seinen Stolz gegenüber dem weniger<lb/> Begüterten, seine Liebe zu klingender Münze, sein Hängen am "Hergebrachten<lb/> ist theils in jüngster Zeit verschwunden, theils gilt es von den Bewohnern der<lb/> Marschen in gleichem Grade, theils ist es Kennzeichen des gesammten deutschen<lb/> Bauernstandes.</p><lb/> <p xml:id="ID_101"> Der Angle ist melancholischen Temperaments. Er gibt sich gern Grübe¬<lb/> leien hin, denkt fleißig an das Ende und spricht gern von Gegenständen der<lb/> Religion. Früher war viel Aberglaube im -Lande; doch waren die Gestalten<lb/> desselben nicht so finstrer und grausamer Art als die friesischen Gespenster und<lb/> Hcrensagen. So fröhliche Gesichter und so herzliches Lachen, so lärmende Lust<lb/> und so unermüdliche Tamfreudigkeit wie bei unsern Kirmsen und Erntefesten<lb/> sind in Schleswig-Holstein überhaupt selten anzutreffen. In Angeln scheinen<lb/> sie völlig unmöglich zu sein, und wo sich bei Erntebieren und Ringreiten eine<lb/> Neigung dazu verrieth, hörte ich es als verderbliche Neuerung und unnützen<lb/> Skandal mißbilligen. Selbst bei jüngern Leuten fand ich bisweilen einen<lb/> Hang zu Gedanken an den Tod. Aeltere sollen zuweilen ihren Sarg vor¬<lb/> ausbestellen und als stetes Nemsnlo mori neben ihr Bett setzen. Der Grund<lb/> dieser eigenthümlichen Geistesrichtung ist vielleicht in dem häufigen Vorkommen<lb/> von Fiebern und Schwindsuchtsfällen zu suchen, welche letztere wiederum von<lb/> einigen durch die hohen Knicks, die zu viel Lebensluft ausströmen, von andern<lb/> wol richtiger durch den Umstand erklärt werden, daß die Sitte, womöglich<lb/> in der Familie zu heirathen, ein weniger gesundes Geschlecht erzeuge. Der<lb/> Aberglaube, der ziemlich viele Beispiele von Teuselscrscheinungen, von Pfarrern,<lb/> welche mit Hilfe der Bücher des Cyprianus Zauberkünste übten, von Heren,<lb/> Erdgeistern und Hauskobolden zu erzählen wußte, ist fast ganz ausgerottet,<lb/> doch sind noch hin und wieder Seher anzutreffen, welche die Zukunft schauen,<lb/> und erst vor zwei Jahren erblickte einer derselben am hellen Tage aus der<lb/> Spitze des söruper Kirchthurms eine schwarz-roth-goldene Fahne, die unter den<lb/> jetzigen Verhältnissen niemand anders dort ausgepflanzt haben konnte, als<lb/> die in die traurige Gegenwart auf einen Augenblick hereinragende bessere<lb/> Zukunft.</p><lb/> <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> Der Angle ist serner ein Mann von schnellen Begriffen und großer Lese¬<lb/> lust. Eine Freude soll es gewesen sein, die Leute sich während der Erhebung<lb/> über alles dahin Gehörige rasch orientiren zu sehen und den Versammlungen<lb/> beizuwohnen, in denen sie sich über ihre Angelegenheiten beriethen. Manche</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
stein vorherrscht, ein melancholisches Temperament, und es dürfte nicht zu viel
behauptet sein, wenn man sagt, er sei eine sinnigere, den geistigen Interessen
mehr zugewandte Natur als der Niedersachse. Er begreift leicht und lernt
gern. Er ist ferner zu Mißtrauen und Argwohn geneigt und. wo er im Rechte
zu sein glaubt, äußerst hartnäckig. Was mau sonst als unterscheidende Merk¬
male seines Charakters angeführt hat, seinen Stolz gegenüber dem weniger
Begüterten, seine Liebe zu klingender Münze, sein Hängen am "Hergebrachten
ist theils in jüngster Zeit verschwunden, theils gilt es von den Bewohnern der
Marschen in gleichem Grade, theils ist es Kennzeichen des gesammten deutschen
Bauernstandes.
Der Angle ist melancholischen Temperaments. Er gibt sich gern Grübe¬
leien hin, denkt fleißig an das Ende und spricht gern von Gegenständen der
Religion. Früher war viel Aberglaube im -Lande; doch waren die Gestalten
desselben nicht so finstrer und grausamer Art als die friesischen Gespenster und
Hcrensagen. So fröhliche Gesichter und so herzliches Lachen, so lärmende Lust
und so unermüdliche Tamfreudigkeit wie bei unsern Kirmsen und Erntefesten
sind in Schleswig-Holstein überhaupt selten anzutreffen. In Angeln scheinen
sie völlig unmöglich zu sein, und wo sich bei Erntebieren und Ringreiten eine
Neigung dazu verrieth, hörte ich es als verderbliche Neuerung und unnützen
Skandal mißbilligen. Selbst bei jüngern Leuten fand ich bisweilen einen
Hang zu Gedanken an den Tod. Aeltere sollen zuweilen ihren Sarg vor¬
ausbestellen und als stetes Nemsnlo mori neben ihr Bett setzen. Der Grund
dieser eigenthümlichen Geistesrichtung ist vielleicht in dem häufigen Vorkommen
von Fiebern und Schwindsuchtsfällen zu suchen, welche letztere wiederum von
einigen durch die hohen Knicks, die zu viel Lebensluft ausströmen, von andern
wol richtiger durch den Umstand erklärt werden, daß die Sitte, womöglich
in der Familie zu heirathen, ein weniger gesundes Geschlecht erzeuge. Der
Aberglaube, der ziemlich viele Beispiele von Teuselscrscheinungen, von Pfarrern,
welche mit Hilfe der Bücher des Cyprianus Zauberkünste übten, von Heren,
Erdgeistern und Hauskobolden zu erzählen wußte, ist fast ganz ausgerottet,
doch sind noch hin und wieder Seher anzutreffen, welche die Zukunft schauen,
und erst vor zwei Jahren erblickte einer derselben am hellen Tage aus der
Spitze des söruper Kirchthurms eine schwarz-roth-goldene Fahne, die unter den
jetzigen Verhältnissen niemand anders dort ausgepflanzt haben konnte, als
die in die traurige Gegenwart auf einen Augenblick hereinragende bessere
Zukunft.
Der Angle ist serner ein Mann von schnellen Begriffen und großer Lese¬
lust. Eine Freude soll es gewesen sein, die Leute sich während der Erhebung
über alles dahin Gehörige rasch orientiren zu sehen und den Versammlungen
beizuwohnen, in denen sie sich über ihre Angelegenheiten beriethen. Manche
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