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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Reichenspergers Reden sehr aufmerksam verfolgt und finde in der Tendenz wie
in den Motiven derselben ein ziemlich vollständiges System des Liberalismus.
Wollte er nun etwa sagen, daß, wenn die Rechte seine katholischen Forderungen
begünstigt, er statt dessen in seinen Reden ein System der Reaction entwickelt
haben würde? Das wäre ja der alte jesuitische Grundsatz: der Zweck heiligt
die Mittel. Ich bin weit entfernt, anzunehmen, daß das wirklich der Fall
sein sollte; aber es zeigt sich doch, daß der Redner in einer falschen Position
ist. Die Bildung der katholischen Partei ist ein Unglück für den Staat, aber
auch ein Unglück für die katholische Kirche, denn über kurz oder lang wird sie
die Bildung einer protestantischen Partei hervorrufen, und diese dürfte dann
doch in Preußen daS Uebergewicht erlangen. Daß gegen die katholische Kirche
Recht geübt wird, muß jeder Liberale wollen, aber an ein dauerndes Bünd-
niß mit einer Partei, die eingeständig von ihren Bischöfen geleitet wird, kann
kein Liberaler denken.

So zeigten sich bei dieser Verhandlung alle Verwirrungen, an denen daS
gegenwärtige preußische Staatsleben leidet; sie traten auch bei der Untersuchung
des dritten Vorwurfs hervor, welcher dem Ministerium gemacht war, in Be¬
ziehung auf die Beeinflussung der Presse. Diesen Vorwurf wies die Regierung
zurück, und ich gehe hier gleichfalls nicht darauf ein, weil ich nur darstellen
will, was ich in der Kammer gehört habe. Die Opposition schien sich auf
diesen Punkt nicht vorbereitet zu haben; nur der ehemalige Redacteur der
Kreuzzeitung gab die Erklärung ab, er halte es allerdings für kein passendes
Mittel, jemand zu überzeugen, wenn man ihm den Mund verstopft! Indeß
sprach sich bei dieser Gelegenheit der RegicrungscommissariuS über die öffent¬
liche Meinung aus, und diese Erklärung verdient, wohl aufbewahrt zu werden.
Er behauptete, es gebe nur in zwei Punkten eine öffentliche Meinung: die
Liebe zum Königshause und der Dank gegen das Ministerium wegen Erhaltung
des Friedens. Diese öffentliche Meinung sei sich nur nicht völlig klar gewor¬
den, und das Ministerium habe eS daher für seine Aufgabe gehalten, sie ge¬
wissermaßen zu redigiren. Es habe nämlich der öffentlichen Meinung gezeigt,
auf welche Weise die Liebe zum Königshause und der Dank gegen das
Ministerium zu bethätigen sei. Ueber die Thatsache selbst will ich nicht reden,
ich will nur mit Herrn Wagener daran erinnern, daß es kein zweckmäßiges
Mittel ist, die öffentliche Meinung zu redigiren, wenn man ihr den Mund
zustopft, und mit Herrn von Gerlach darauf aufmerksam machen, daß zwar
ein jeder Friede unmittelbar segensreiche Folgen nach sich zieht, Hebung des
Friedens, Steigerung des Verkehrs u. f. w,, daß damit aber noch keineswegs
ausgemacht ist, er sei an sich gut und segensreich. Jeder Krieg ist ein Uebel,
aber mitunter kann dieses Uebel dem scheinbaren Vortheil eines schlechten Frie¬
dens vorzuziehen sein.


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Reichenspergers Reden sehr aufmerksam verfolgt und finde in der Tendenz wie
in den Motiven derselben ein ziemlich vollständiges System des Liberalismus.
Wollte er nun etwa sagen, daß, wenn die Rechte seine katholischen Forderungen
begünstigt, er statt dessen in seinen Reden ein System der Reaction entwickelt
haben würde? Das wäre ja der alte jesuitische Grundsatz: der Zweck heiligt
die Mittel. Ich bin weit entfernt, anzunehmen, daß das wirklich der Fall
sein sollte; aber es zeigt sich doch, daß der Redner in einer falschen Position
ist. Die Bildung der katholischen Partei ist ein Unglück für den Staat, aber
auch ein Unglück für die katholische Kirche, denn über kurz oder lang wird sie
die Bildung einer protestantischen Partei hervorrufen, und diese dürfte dann
doch in Preußen daS Uebergewicht erlangen. Daß gegen die katholische Kirche
Recht geübt wird, muß jeder Liberale wollen, aber an ein dauerndes Bünd-
niß mit einer Partei, die eingeständig von ihren Bischöfen geleitet wird, kann
kein Liberaler denken.

So zeigten sich bei dieser Verhandlung alle Verwirrungen, an denen daS
gegenwärtige preußische Staatsleben leidet; sie traten auch bei der Untersuchung
des dritten Vorwurfs hervor, welcher dem Ministerium gemacht war, in Be¬
ziehung auf die Beeinflussung der Presse. Diesen Vorwurf wies die Regierung
zurück, und ich gehe hier gleichfalls nicht darauf ein, weil ich nur darstellen
will, was ich in der Kammer gehört habe. Die Opposition schien sich auf
diesen Punkt nicht vorbereitet zu haben; nur der ehemalige Redacteur der
Kreuzzeitung gab die Erklärung ab, er halte es allerdings für kein passendes
Mittel, jemand zu überzeugen, wenn man ihm den Mund verstopft! Indeß
sprach sich bei dieser Gelegenheit der RegicrungscommissariuS über die öffent¬
liche Meinung aus, und diese Erklärung verdient, wohl aufbewahrt zu werden.
Er behauptete, es gebe nur in zwei Punkten eine öffentliche Meinung: die
Liebe zum Königshause und der Dank gegen das Ministerium wegen Erhaltung
des Friedens. Diese öffentliche Meinung sei sich nur nicht völlig klar gewor¬
den, und das Ministerium habe eS daher für seine Aufgabe gehalten, sie ge¬
wissermaßen zu redigiren. Es habe nämlich der öffentlichen Meinung gezeigt,
auf welche Weise die Liebe zum Königshause und der Dank gegen das
Ministerium zu bethätigen sei. Ueber die Thatsache selbst will ich nicht reden,
ich will nur mit Herrn Wagener daran erinnern, daß es kein zweckmäßiges
Mittel ist, die öffentliche Meinung zu redigiren, wenn man ihr den Mund
zustopft, und mit Herrn von Gerlach darauf aufmerksam machen, daß zwar
ein jeder Friede unmittelbar segensreiche Folgen nach sich zieht, Hebung des
Friedens, Steigerung des Verkehrs u. f. w,, daß damit aber noch keineswegs
ausgemacht ist, er sei an sich gut und segensreich. Jeder Krieg ist ein Uebel,
aber mitunter kann dieses Uebel dem scheinbaren Vortheil eines schlechten Frie¬
dens vorzuziehen sein.


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[0379] Reichenspergers Reden sehr aufmerksam verfolgt und finde in der Tendenz wie in den Motiven derselben ein ziemlich vollständiges System des Liberalismus. Wollte er nun etwa sagen, daß, wenn die Rechte seine katholischen Forderungen begünstigt, er statt dessen in seinen Reden ein System der Reaction entwickelt haben würde? Das wäre ja der alte jesuitische Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel. Ich bin weit entfernt, anzunehmen, daß das wirklich der Fall sein sollte; aber es zeigt sich doch, daß der Redner in einer falschen Position ist. Die Bildung der katholischen Partei ist ein Unglück für den Staat, aber auch ein Unglück für die katholische Kirche, denn über kurz oder lang wird sie die Bildung einer protestantischen Partei hervorrufen, und diese dürfte dann doch in Preußen daS Uebergewicht erlangen. Daß gegen die katholische Kirche Recht geübt wird, muß jeder Liberale wollen, aber an ein dauerndes Bünd- niß mit einer Partei, die eingeständig von ihren Bischöfen geleitet wird, kann kein Liberaler denken. So zeigten sich bei dieser Verhandlung alle Verwirrungen, an denen daS gegenwärtige preußische Staatsleben leidet; sie traten auch bei der Untersuchung des dritten Vorwurfs hervor, welcher dem Ministerium gemacht war, in Be¬ ziehung auf die Beeinflussung der Presse. Diesen Vorwurf wies die Regierung zurück, und ich gehe hier gleichfalls nicht darauf ein, weil ich nur darstellen will, was ich in der Kammer gehört habe. Die Opposition schien sich auf diesen Punkt nicht vorbereitet zu haben; nur der ehemalige Redacteur der Kreuzzeitung gab die Erklärung ab, er halte es allerdings für kein passendes Mittel, jemand zu überzeugen, wenn man ihm den Mund verstopft! Indeß sprach sich bei dieser Gelegenheit der RegicrungscommissariuS über die öffent¬ liche Meinung aus, und diese Erklärung verdient, wohl aufbewahrt zu werden. Er behauptete, es gebe nur in zwei Punkten eine öffentliche Meinung: die Liebe zum Königshause und der Dank gegen das Ministerium wegen Erhaltung des Friedens. Diese öffentliche Meinung sei sich nur nicht völlig klar gewor¬ den, und das Ministerium habe eS daher für seine Aufgabe gehalten, sie ge¬ wissermaßen zu redigiren. Es habe nämlich der öffentlichen Meinung gezeigt, auf welche Weise die Liebe zum Königshause und der Dank gegen das Ministerium zu bethätigen sei. Ueber die Thatsache selbst will ich nicht reden, ich will nur mit Herrn Wagener daran erinnern, daß es kein zweckmäßiges Mittel ist, die öffentliche Meinung zu redigiren, wenn man ihr den Mund zustopft, und mit Herrn von Gerlach darauf aufmerksam machen, daß zwar ein jeder Friede unmittelbar segensreiche Folgen nach sich zieht, Hebung des Friedens, Steigerung des Verkehrs u. f. w,, daß damit aber noch keineswegs ausgemacht ist, er sei an sich gut und segensreich. Jeder Krieg ist ein Uebel, aber mitunter kann dieses Uebel dem scheinbaren Vortheil eines schlechten Frie¬ dens vorzuziehen sein. 47 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/379>, abgerufen am 23.07.2024.