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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Landräthe zwar nur einiges mitgetheilt, aber dies reicht hin, um nachzuweisen,
daß die Landräthe nicht als ständische, sondern als ministerielle, durchaus ab¬
hängige Beamte betrachtet werden. Auch hier erkennt man wieder die nach¬
theilige Vermischung von zwei entgegengesetzten Doctrinen: entweder sind die
Landräthe ständische Beamte, und dann muß man ihnen eine möglichst große
Unabhängigkeit dem Ministerium gegenüber einräumen; oder sie sind bloße
Organe der Negierung, dann eignen sie sich wieder nicht zu Landesvertretern.
Es ist das ein Streit, der in Preußen schon sehr lange spielt, der in der
Stein'schen Zeit durch das sogenannte Gendarmerie-Edict nach der einen Seite
hin entschieden wurde, und nun zwischen beiden beständig schwankt. Im con-
servativen Interesse wird es nothwendig sein, daß man sich rückhaltlos für die
eine oder für die andere Seite entscheidet.

Ich gehe jetzt zu dem zweiten Vorwurf über, der vom Grafen Schwerin
dem Ministerium gemacht wurde: die willkürliche Zusammenlegung von Wahl¬
bezirken aus Gründen politischer OpportuKität. Ein Mitglied der Bethmann-
Hollwegschen Fraction, Herr von Bardeleben, ehemaliger Polizeipräsident, von
Berlin, hatte es übernommen, diesen Vorwurf ausführlicher zu motiviren.
Sein Vortrag war sehr gründlich ausgearbeitet, aber er verfehlte leider seine
Wirkung, weil der Redner nicht das Talent besaß, die leitenden Gesichtspunkte
scharf und prägnant hervorzuheben. Desto mehr Eindruck machte die Rede
eines Polen, des Herrn von Morawski, dessen außerordentliche dramatische
Anlage selbst den Gegnern Bewunderung abnöthigte. Er beschränkte sich mit
seiner Darstellung auf seine Provinz und wies auf der Karte nach, daß hier
überall, wo eine polnische Bevölkerung zusammengedrängt saß, durch eine künst¬
liche Zusammenlegung der Wahlbezirke derselben unmöglich gemacht war-, ihre
Stimme abzugeben. Die Kreise waren außerordentlich groß gemacht und zum
Wahlort die entlegenste Stadt ausgesucht, so daß die Wähler zuweilen fünf¬
zehn Meilen zu machen hatten, um an Ort und Stelle zu gelangen.

Der NegicrungscommissariuS gab diese Anklagen zu; er erklärte, daß
namentlich in den Gegenden, wo eine geschlossene nationale oder confesstonelle
Opposition, d. h. eine polnische oder katholische, der Regierung gegenüber¬
stand, diese es für ihre Pflicht gehalten habe, den Einfluß derselben durch
Zerstücklung oder Erweiterung der Wahlbezirke zu Paralysiren. Das Recht da¬
zu leitet die Regierung aus dem Buchstaben der Verfassung her, der es voll¬
kommen ihrer Willkür anheimstellt, die Wahlbezirke anzuordnen, nur mit der
einzigen Bedingung, diese so groß zu machen, daß wenigstens zwei Abgeordnete
gewählt werden könnten.

Gegen das formelle Recht der Negierung ist in der That nichts einzu¬
wenden; die Verfassungsurkunde ist in diesem Punkt ebenso unklar, wie in
vielen andern/ Auch darin möchte ich ihm beistimmen, daß es unstatthaft ist,


Landräthe zwar nur einiges mitgetheilt, aber dies reicht hin, um nachzuweisen,
daß die Landräthe nicht als ständische, sondern als ministerielle, durchaus ab¬
hängige Beamte betrachtet werden. Auch hier erkennt man wieder die nach¬
theilige Vermischung von zwei entgegengesetzten Doctrinen: entweder sind die
Landräthe ständische Beamte, und dann muß man ihnen eine möglichst große
Unabhängigkeit dem Ministerium gegenüber einräumen; oder sie sind bloße
Organe der Negierung, dann eignen sie sich wieder nicht zu Landesvertretern.
Es ist das ein Streit, der in Preußen schon sehr lange spielt, der in der
Stein'schen Zeit durch das sogenannte Gendarmerie-Edict nach der einen Seite
hin entschieden wurde, und nun zwischen beiden beständig schwankt. Im con-
servativen Interesse wird es nothwendig sein, daß man sich rückhaltlos für die
eine oder für die andere Seite entscheidet.

Ich gehe jetzt zu dem zweiten Vorwurf über, der vom Grafen Schwerin
dem Ministerium gemacht wurde: die willkürliche Zusammenlegung von Wahl¬
bezirken aus Gründen politischer OpportuKität. Ein Mitglied der Bethmann-
Hollwegschen Fraction, Herr von Bardeleben, ehemaliger Polizeipräsident, von
Berlin, hatte es übernommen, diesen Vorwurf ausführlicher zu motiviren.
Sein Vortrag war sehr gründlich ausgearbeitet, aber er verfehlte leider seine
Wirkung, weil der Redner nicht das Talent besaß, die leitenden Gesichtspunkte
scharf und prägnant hervorzuheben. Desto mehr Eindruck machte die Rede
eines Polen, des Herrn von Morawski, dessen außerordentliche dramatische
Anlage selbst den Gegnern Bewunderung abnöthigte. Er beschränkte sich mit
seiner Darstellung auf seine Provinz und wies auf der Karte nach, daß hier
überall, wo eine polnische Bevölkerung zusammengedrängt saß, durch eine künst¬
liche Zusammenlegung der Wahlbezirke derselben unmöglich gemacht war-, ihre
Stimme abzugeben. Die Kreise waren außerordentlich groß gemacht und zum
Wahlort die entlegenste Stadt ausgesucht, so daß die Wähler zuweilen fünf¬
zehn Meilen zu machen hatten, um an Ort und Stelle zu gelangen.

Der NegicrungscommissariuS gab diese Anklagen zu; er erklärte, daß
namentlich in den Gegenden, wo eine geschlossene nationale oder confesstonelle
Opposition, d. h. eine polnische oder katholische, der Regierung gegenüber¬
stand, diese es für ihre Pflicht gehalten habe, den Einfluß derselben durch
Zerstücklung oder Erweiterung der Wahlbezirke zu Paralysiren. Das Recht da¬
zu leitet die Regierung aus dem Buchstaben der Verfassung her, der es voll¬
kommen ihrer Willkür anheimstellt, die Wahlbezirke anzuordnen, nur mit der
einzigen Bedingung, diese so groß zu machen, daß wenigstens zwei Abgeordnete
gewählt werden könnten.

Gegen das formelle Recht der Negierung ist in der That nichts einzu¬
wenden; die Verfassungsurkunde ist in diesem Punkt ebenso unklar, wie in
vielen andern/ Auch darin möchte ich ihm beistimmen, daß es unstatthaft ist,


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[0376] Landräthe zwar nur einiges mitgetheilt, aber dies reicht hin, um nachzuweisen, daß die Landräthe nicht als ständische, sondern als ministerielle, durchaus ab¬ hängige Beamte betrachtet werden. Auch hier erkennt man wieder die nach¬ theilige Vermischung von zwei entgegengesetzten Doctrinen: entweder sind die Landräthe ständische Beamte, und dann muß man ihnen eine möglichst große Unabhängigkeit dem Ministerium gegenüber einräumen; oder sie sind bloße Organe der Negierung, dann eignen sie sich wieder nicht zu Landesvertretern. Es ist das ein Streit, der in Preußen schon sehr lange spielt, der in der Stein'schen Zeit durch das sogenannte Gendarmerie-Edict nach der einen Seite hin entschieden wurde, und nun zwischen beiden beständig schwankt. Im con- servativen Interesse wird es nothwendig sein, daß man sich rückhaltlos für die eine oder für die andere Seite entscheidet. Ich gehe jetzt zu dem zweiten Vorwurf über, der vom Grafen Schwerin dem Ministerium gemacht wurde: die willkürliche Zusammenlegung von Wahl¬ bezirken aus Gründen politischer OpportuKität. Ein Mitglied der Bethmann- Hollwegschen Fraction, Herr von Bardeleben, ehemaliger Polizeipräsident, von Berlin, hatte es übernommen, diesen Vorwurf ausführlicher zu motiviren. Sein Vortrag war sehr gründlich ausgearbeitet, aber er verfehlte leider seine Wirkung, weil der Redner nicht das Talent besaß, die leitenden Gesichtspunkte scharf und prägnant hervorzuheben. Desto mehr Eindruck machte die Rede eines Polen, des Herrn von Morawski, dessen außerordentliche dramatische Anlage selbst den Gegnern Bewunderung abnöthigte. Er beschränkte sich mit seiner Darstellung auf seine Provinz und wies auf der Karte nach, daß hier überall, wo eine polnische Bevölkerung zusammengedrängt saß, durch eine künst¬ liche Zusammenlegung der Wahlbezirke derselben unmöglich gemacht war-, ihre Stimme abzugeben. Die Kreise waren außerordentlich groß gemacht und zum Wahlort die entlegenste Stadt ausgesucht, so daß die Wähler zuweilen fünf¬ zehn Meilen zu machen hatten, um an Ort und Stelle zu gelangen. Der NegicrungscommissariuS gab diese Anklagen zu; er erklärte, daß namentlich in den Gegenden, wo eine geschlossene nationale oder confesstonelle Opposition, d. h. eine polnische oder katholische, der Regierung gegenüber¬ stand, diese es für ihre Pflicht gehalten habe, den Einfluß derselben durch Zerstücklung oder Erweiterung der Wahlbezirke zu Paralysiren. Das Recht da¬ zu leitet die Regierung aus dem Buchstaben der Verfassung her, der es voll¬ kommen ihrer Willkür anheimstellt, die Wahlbezirke anzuordnen, nur mit der einzigen Bedingung, diese so groß zu machen, daß wenigstens zwei Abgeordnete gewählt werden könnten. Gegen das formelle Recht der Negierung ist in der That nichts einzu¬ wenden; die Verfassungsurkunde ist in diesem Punkt ebenso unklar, wie in vielen andern/ Auch darin möchte ich ihm beistimmen, daß es unstatthaft ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/376>, abgerufen am 23.07.2024.