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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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tasten wagte und es ist nicht weise gehandelt, diese dem Staate zu Grunde
liegende Gesinnung von einer bestimmten Ansicht in untergeordneten Fragen
abhängig zu machen.

Wie durchgreifend aber der Einfluß auf die Beamten gewesen ist, kann
man daraus entnehmen, daß er sich bis aus die Schulzen und Dorfschulmeister
erstreckte; ja ein Landrath in Oberschlesien hat sogar fünf Gebirgssührern die
Legitimation entzogen, weil sie einem oppositionellen Wahlmann ihre Stimme
gaben. -- Die sogenannte äußerste Rechte, d. h. die Fraction Gerlach-Wa¬
gener, behauptet stets, die wahre Freiheit und das individuelle Recht gegen
den bureaukratischen Absolutismus zu vertreten. Hier hatte sie nun die beste
Gelegenheit, zu zeigen, daß ihre Thaten mit ihren Worten übereinstimmen.
Theoretisch wird sie wol nicht daran zweifeln, daß ein Staat, wo alle Beamten
bis auf die Schulzen und Schulmeister herab ihre Gesinnung nach der Ge¬
sinnung des Ministeriums richten müssen, ihrem Ideal nicht entspricht; aber
praktisch findet sie es sehr bequem, auf diese Weise in der Kammer die Majo¬
rität erreicht zu haben und so ihre weitergehenden Pläne durchsetzen zu können.
Wenn sie sich darin nur nicht verrechnet! Das Mittel, welches sie um ihres
leitenden Zwecks willen gelten läßt, könnte sich leicht als die Hauptsache her¬
ausstellen und ein durchgreifender bureaukratischer Minister könnte die Zügel,
die sie ihm in die Hände gegeben hat, leicht so, straff anziehen, daß sie ihren
übergroßen Diensteifer bereute.

Die wichtigste Classe der Beamten, die hier in Frage kommt, sind die
Landräthe. Nach der Gerlach'schen Theorie sind sie am geeignetsten, das Land
zu vertreten, weil sie aus freier Wahl hervorgegangen sind und mit allen
Classen des Volks in die unmittelbarste geschäftliche Berührung kommen. Es
ließe sich dafür manches sagen, wenn die Partei nicht einige wesentliche Um¬
stände übersähe. Einmal schreibt sich ein großer Theil der gegenwärtigen
Landräthe aus jener Uebergangszeit her, wo die Landräthe nicht erwählt,
sondern von der Negierung ernannt wurden. Zweitens hat sich das Amt in
seinen Functionen geändert; früher waren es angesehene Gutsbesitzer, die ihre
einfachen Geschäfte nebenbei betrieben, im Ganzen auf eine ziemlich patriarcha¬
lische Weise, jetzt haben sich die Geschäfte so gehäuft, daß die Landräthe Beamte
im vollsten Sinn des Wortes geworden sind, und daß, wenn nicht in der
Regel, doch in den meisten Fällen, der Grundbesitz eine ganz secundäre Rolle
dabei spielt. Sehr häufig wird das Landrathsamt von einem jungen Beamten,
dessen Familie in dem Kreise angesehen ist, nur angenommen, um eine schnellere
Carriere zu machen, als es die herkömmliche Anciennetät verstattet. Drittens
sollen ja grade nach der neuen Theorie die Landräthe die unbedingtesten Werk¬
zeuge des Ministeriums sein.

Der Regierungscommissarius hat aus dem ministeriellen Rescript an die


tasten wagte und es ist nicht weise gehandelt, diese dem Staate zu Grunde
liegende Gesinnung von einer bestimmten Ansicht in untergeordneten Fragen
abhängig zu machen.

Wie durchgreifend aber der Einfluß auf die Beamten gewesen ist, kann
man daraus entnehmen, daß er sich bis aus die Schulzen und Dorfschulmeister
erstreckte; ja ein Landrath in Oberschlesien hat sogar fünf Gebirgssührern die
Legitimation entzogen, weil sie einem oppositionellen Wahlmann ihre Stimme
gaben. — Die sogenannte äußerste Rechte, d. h. die Fraction Gerlach-Wa¬
gener, behauptet stets, die wahre Freiheit und das individuelle Recht gegen
den bureaukratischen Absolutismus zu vertreten. Hier hatte sie nun die beste
Gelegenheit, zu zeigen, daß ihre Thaten mit ihren Worten übereinstimmen.
Theoretisch wird sie wol nicht daran zweifeln, daß ein Staat, wo alle Beamten
bis auf die Schulzen und Schulmeister herab ihre Gesinnung nach der Ge¬
sinnung des Ministeriums richten müssen, ihrem Ideal nicht entspricht; aber
praktisch findet sie es sehr bequem, auf diese Weise in der Kammer die Majo¬
rität erreicht zu haben und so ihre weitergehenden Pläne durchsetzen zu können.
Wenn sie sich darin nur nicht verrechnet! Das Mittel, welches sie um ihres
leitenden Zwecks willen gelten läßt, könnte sich leicht als die Hauptsache her¬
ausstellen und ein durchgreifender bureaukratischer Minister könnte die Zügel,
die sie ihm in die Hände gegeben hat, leicht so, straff anziehen, daß sie ihren
übergroßen Diensteifer bereute.

Die wichtigste Classe der Beamten, die hier in Frage kommt, sind die
Landräthe. Nach der Gerlach'schen Theorie sind sie am geeignetsten, das Land
zu vertreten, weil sie aus freier Wahl hervorgegangen sind und mit allen
Classen des Volks in die unmittelbarste geschäftliche Berührung kommen. Es
ließe sich dafür manches sagen, wenn die Partei nicht einige wesentliche Um¬
stände übersähe. Einmal schreibt sich ein großer Theil der gegenwärtigen
Landräthe aus jener Uebergangszeit her, wo die Landräthe nicht erwählt,
sondern von der Negierung ernannt wurden. Zweitens hat sich das Amt in
seinen Functionen geändert; früher waren es angesehene Gutsbesitzer, die ihre
einfachen Geschäfte nebenbei betrieben, im Ganzen auf eine ziemlich patriarcha¬
lische Weise, jetzt haben sich die Geschäfte so gehäuft, daß die Landräthe Beamte
im vollsten Sinn des Wortes geworden sind, und daß, wenn nicht in der
Regel, doch in den meisten Fällen, der Grundbesitz eine ganz secundäre Rolle
dabei spielt. Sehr häufig wird das Landrathsamt von einem jungen Beamten,
dessen Familie in dem Kreise angesehen ist, nur angenommen, um eine schnellere
Carriere zu machen, als es die herkömmliche Anciennetät verstattet. Drittens
sollen ja grade nach der neuen Theorie die Landräthe die unbedingtesten Werk¬
zeuge des Ministeriums sein.

Der Regierungscommissarius hat aus dem ministeriellen Rescript an die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/375>, abgerufen am 23.07.2024.