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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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der Behörden, und in politischen Dingen sind alle Duplicate vom Uebel. --
Um die einzelnen Punkte zu prüfen, halte ich mich vorzugsweise an den sehr
ausführlichen Bericht des Negierungscommissarius.

Was zuerst die Stellung der Beamten zur Verfassung betrifft, so behaup¬
tete er, es handle sich hier um einen Conflict nicht zwischen Pflichten und
Pflichten, sondern zwischen Pflichten und Rechten. ^Als Staatsbürger hätten
die Beamten das Recht, nach freier Ueberzeugung zu wählen, als Be¬
amte hätten sie die Pflicht, der Regierung zu gehorchen. Auf den Ein¬
wand, daß der Diensteid die Beamten nicht zur Treue gegen das Ministerium,
sondern nur zur Treue gegen den König verpflichtete, erwiderte er, daß eine
solche Trennung sich nur aus pseudoconstitutionellen Begriffen herschreibe und
für Preußen unstatthaft sei, da hier nicht der Wille des Ministeriums, sondern
der Wille des Königs Geltung habe; das Ministerium sei nur ein dienendes
Werkzeug des königlichen Willens und wer königlich iroyalistisch) gesinnt sei,
müsse nothwendigerweise auch ministeriell gesinnt sein.

Die Nichtigkeit dieser Behauptung zu prüfen, hat man nicht nöthig, sich
aus den Unterschied des konstitutionellen und des streng monarchischen Staats
einzulassen. Wir können beim streng monarchischen Staat, wir können bei
dem preußischen Leben und der preußischen Geschichte stehen bleiben.

Der Unterthan überhaupt hat die Pflicht der Treue gegen den Herrscher;
der Beamte hat außerdem noch die Pflicht des Gehorsams, sowol gegen das
Staatsoberhaupt als gegen seine Vorgesetzten, so weit das , waS sie ihm aus¬
tragen, in sein Ressort gehört und mit seinem Gewissen übereinstimmt.

Aber der Beamte wie jeder andere Unterthan hat das Recht und die Ver¬
pflichtung, gegen Maßregeln der Negierung, welche ihm unheilvoll erscheinen,
auf dem gesetzlich ihm offenstehenden Wege sowol seine Borgesetzten, als das
Staatsoberhaupt zu warnen. Als der Freiherr von Stein den König vor
den falschen Maßregeln seiner Cabinetsregierung, als er ihn vor Haugwitz,
Lombard u. f. w. warnte, erregte er zwar den Zorn des Monarchen, aber er
übte einen Act der Treue aus, und so finden sich hundert Beispiele in
der preußischen Geschichte, wo, die Loyalität ganz andre Pflichten auferlegte,
als die des maschinenmäßiger bureaukratischen Gehorsams. Es gab Zeiten,
wo jeder Patriot, der überhaupt im Stande war, das Ohr des Monarchen zu
erreichen, die heilige Verpflichtung hatte, denselben vor Maßregeln zu warnen,
die Schmach 'und Verderben über, das Vaterland bringen mußten. Hätte es
im Jahre 1806 keine andern Patrioten gegeben, als die Anhänger von Haug¬
witz und Lombard, so hätten wir heute, im Jahre 1836, überhaupt keine Ge¬
legenheit mehr, uns über den preußischen Staat zu unterhalten.-- So lange
nun der Staat keine gesetzlich festgestellte Verfassung hatte, gab es keinen an¬
dern Weg für diese Patrioten, als den unmittelbaren Zutritt zum König.


der Behörden, und in politischen Dingen sind alle Duplicate vom Uebel. —
Um die einzelnen Punkte zu prüfen, halte ich mich vorzugsweise an den sehr
ausführlichen Bericht des Negierungscommissarius.

Was zuerst die Stellung der Beamten zur Verfassung betrifft, so behaup¬
tete er, es handle sich hier um einen Conflict nicht zwischen Pflichten und
Pflichten, sondern zwischen Pflichten und Rechten. ^Als Staatsbürger hätten
die Beamten das Recht, nach freier Ueberzeugung zu wählen, als Be¬
amte hätten sie die Pflicht, der Regierung zu gehorchen. Auf den Ein¬
wand, daß der Diensteid die Beamten nicht zur Treue gegen das Ministerium,
sondern nur zur Treue gegen den König verpflichtete, erwiderte er, daß eine
solche Trennung sich nur aus pseudoconstitutionellen Begriffen herschreibe und
für Preußen unstatthaft sei, da hier nicht der Wille des Ministeriums, sondern
der Wille des Königs Geltung habe; das Ministerium sei nur ein dienendes
Werkzeug des königlichen Willens und wer königlich iroyalistisch) gesinnt sei,
müsse nothwendigerweise auch ministeriell gesinnt sein.

Die Nichtigkeit dieser Behauptung zu prüfen, hat man nicht nöthig, sich
aus den Unterschied des konstitutionellen und des streng monarchischen Staats
einzulassen. Wir können beim streng monarchischen Staat, wir können bei
dem preußischen Leben und der preußischen Geschichte stehen bleiben.

Der Unterthan überhaupt hat die Pflicht der Treue gegen den Herrscher;
der Beamte hat außerdem noch die Pflicht des Gehorsams, sowol gegen das
Staatsoberhaupt als gegen seine Vorgesetzten, so weit das , waS sie ihm aus¬
tragen, in sein Ressort gehört und mit seinem Gewissen übereinstimmt.

Aber der Beamte wie jeder andere Unterthan hat das Recht und die Ver¬
pflichtung, gegen Maßregeln der Negierung, welche ihm unheilvoll erscheinen,
auf dem gesetzlich ihm offenstehenden Wege sowol seine Borgesetzten, als das
Staatsoberhaupt zu warnen. Als der Freiherr von Stein den König vor
den falschen Maßregeln seiner Cabinetsregierung, als er ihn vor Haugwitz,
Lombard u. f. w. warnte, erregte er zwar den Zorn des Monarchen, aber er
übte einen Act der Treue aus, und so finden sich hundert Beispiele in
der preußischen Geschichte, wo, die Loyalität ganz andre Pflichten auferlegte,
als die des maschinenmäßiger bureaukratischen Gehorsams. Es gab Zeiten,
wo jeder Patriot, der überhaupt im Stande war, das Ohr des Monarchen zu
erreichen, die heilige Verpflichtung hatte, denselben vor Maßregeln zu warnen,
die Schmach 'und Verderben über, das Vaterland bringen mußten. Hätte es
im Jahre 1806 keine andern Patrioten gegeben, als die Anhänger von Haug¬
witz und Lombard, so hätten wir heute, im Jahre 1836, überhaupt keine Ge¬
legenheit mehr, uns über den preußischen Staat zu unterhalten.— So lange
nun der Staat keine gesetzlich festgestellte Verfassung hatte, gab es keinen an¬
dern Weg für diese Patrioten, als den unmittelbaren Zutritt zum König.


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[0372] der Behörden, und in politischen Dingen sind alle Duplicate vom Uebel. — Um die einzelnen Punkte zu prüfen, halte ich mich vorzugsweise an den sehr ausführlichen Bericht des Negierungscommissarius. Was zuerst die Stellung der Beamten zur Verfassung betrifft, so behaup¬ tete er, es handle sich hier um einen Conflict nicht zwischen Pflichten und Pflichten, sondern zwischen Pflichten und Rechten. ^Als Staatsbürger hätten die Beamten das Recht, nach freier Ueberzeugung zu wählen, als Be¬ amte hätten sie die Pflicht, der Regierung zu gehorchen. Auf den Ein¬ wand, daß der Diensteid die Beamten nicht zur Treue gegen das Ministerium, sondern nur zur Treue gegen den König verpflichtete, erwiderte er, daß eine solche Trennung sich nur aus pseudoconstitutionellen Begriffen herschreibe und für Preußen unstatthaft sei, da hier nicht der Wille des Ministeriums, sondern der Wille des Königs Geltung habe; das Ministerium sei nur ein dienendes Werkzeug des königlichen Willens und wer königlich iroyalistisch) gesinnt sei, müsse nothwendigerweise auch ministeriell gesinnt sein. Die Nichtigkeit dieser Behauptung zu prüfen, hat man nicht nöthig, sich aus den Unterschied des konstitutionellen und des streng monarchischen Staats einzulassen. Wir können beim streng monarchischen Staat, wir können bei dem preußischen Leben und der preußischen Geschichte stehen bleiben. Der Unterthan überhaupt hat die Pflicht der Treue gegen den Herrscher; der Beamte hat außerdem noch die Pflicht des Gehorsams, sowol gegen das Staatsoberhaupt als gegen seine Vorgesetzten, so weit das , waS sie ihm aus¬ tragen, in sein Ressort gehört und mit seinem Gewissen übereinstimmt. Aber der Beamte wie jeder andere Unterthan hat das Recht und die Ver¬ pflichtung, gegen Maßregeln der Negierung, welche ihm unheilvoll erscheinen, auf dem gesetzlich ihm offenstehenden Wege sowol seine Borgesetzten, als das Staatsoberhaupt zu warnen. Als der Freiherr von Stein den König vor den falschen Maßregeln seiner Cabinetsregierung, als er ihn vor Haugwitz, Lombard u. f. w. warnte, erregte er zwar den Zorn des Monarchen, aber er übte einen Act der Treue aus, und so finden sich hundert Beispiele in der preußischen Geschichte, wo, die Loyalität ganz andre Pflichten auferlegte, als die des maschinenmäßiger bureaukratischen Gehorsams. Es gab Zeiten, wo jeder Patriot, der überhaupt im Stande war, das Ohr des Monarchen zu erreichen, die heilige Verpflichtung hatte, denselben vor Maßregeln zu warnen, die Schmach 'und Verderben über, das Vaterland bringen mußten. Hätte es im Jahre 1806 keine andern Patrioten gegeben, als die Anhänger von Haug¬ witz und Lombard, so hätten wir heute, im Jahre 1836, überhaupt keine Ge¬ legenheit mehr, uns über den preußischen Staat zu unterhalten.— So lange nun der Staat keine gesetzlich festgestellte Verfassung hatte, gab es keinen an¬ dern Weg für diese Patrioten, als den unmittelbaren Zutritt zum König.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/372>, abgerufen am 23.07.2024.