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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Was die Darstellung betrifft, so ist sie einfach, klar und sachgemäß. Die
schlichte Sprache, das unbefangene gesunde Urtheil, und die Unparteilichkeit,
mit welcher der Verfasser sich davon fern hält, Toll zum Helden seines gro߬
artigen Gemäldes zu erheben, machen einen höchst wohlthuenden Eindruck, zu¬
mal da man häusig veranlaßt wird, an Müfflings Mittl/eilungen und dessen
widerwärtig gespreiztes Wesen zu denken. Wir fühlen es überall, daß ein
Mann von schlichtem, zuverlässigem Charakter zu uns spricht, der nur der
Wahrheit die Ehre geben will. Der zweite Band, der den Rückzug bis Mos¬
kau und das Unglück der französischen Armee behandelt, wird, wie wir glauben,
ein noch höheres Interesse beanspruchen dürfen.




Planeten- und Mondmenschen.
'
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Einem Gelehrten von durchaus anderm Schlage begegnen wir in Whewell,
dem Verfasser der von Brewster angegriffenen Broschüre. Er sucht sich an
das zu halten, was wir wissen, kann freilich auch in seinen Schlüssen hastige
Folgerungen nicht ganz vermeiden; das Ganze macht aber den Eindruck, mit
Mäßigung und Strenge gegen die anmaßende Phantasie geschrieben zu sein.
Sei es, daß er zu wenig zugesteht, im Bereiche des Ungewissen ist es weiser, zu
wenig, als zu viel sehen zu wollen.

Whewell beginnt damit, daß er darauf hinweist, wie die Erde Myriaden
von Menschenaltern und abermals Myriaden hindurch nur eine Stätte vege¬
tabilischen und thierischen Lebens gewesen,', und daß sie vor dieser Zeit ohne
das, was wir Leben nennen, gewesen ist. War also unser Planet eine lange
Zeit hindurch ohne intelligente Wesen und eine noch längere sogar ohne Leben,
so ist es möglich, daß die andern Planeten noch gegenwärtig keine höhern Ge¬
schöpfe als Thiere oder gar kein Leben tragen und daß es deshalb keine Mehr¬
heit bewohnter Welten gibt. Diese Möglichkeit erhebt er zur Wahrscheinlichkeit
durch ein Argument, gegründet auf die wechselseitige Beziehung eines Atoms
von Zeit zu einem Atom von Raum. Er theilt die große Periode der Erd¬
bildung in vier Zeitabschnitte und den uns bekannten Himmelsraum in vier
Raumlängen und nimmt an, daß die Zahlen, welche das Alter der vier geo¬
logischen Perioden ausdrücken, den Zahlen entsprechen, welche die vier astro¬
nomischen Größen oder Raumlängen darstellen. Er stellt erstens die gegen¬
wärtige organische Beschaffenheit der Erde, der Größe der Erde, zweitens die
tertiäre Periode der Geologen, welche jener vorherging, der Größe des Sonnen¬
systems verglichen mit der Erde, drittens die secundäre Periode der Entfernung


Was die Darstellung betrifft, so ist sie einfach, klar und sachgemäß. Die
schlichte Sprache, das unbefangene gesunde Urtheil, und die Unparteilichkeit,
mit welcher der Verfasser sich davon fern hält, Toll zum Helden seines gro߬
artigen Gemäldes zu erheben, machen einen höchst wohlthuenden Eindruck, zu¬
mal da man häusig veranlaßt wird, an Müfflings Mittl/eilungen und dessen
widerwärtig gespreiztes Wesen zu denken. Wir fühlen es überall, daß ein
Mann von schlichtem, zuverlässigem Charakter zu uns spricht, der nur der
Wahrheit die Ehre geben will. Der zweite Band, der den Rückzug bis Mos¬
kau und das Unglück der französischen Armee behandelt, wird, wie wir glauben,
ein noch höheres Interesse beanspruchen dürfen.




Planeten- und Mondmenschen.
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"-

Einem Gelehrten von durchaus anderm Schlage begegnen wir in Whewell,
dem Verfasser der von Brewster angegriffenen Broschüre. Er sucht sich an
das zu halten, was wir wissen, kann freilich auch in seinen Schlüssen hastige
Folgerungen nicht ganz vermeiden; das Ganze macht aber den Eindruck, mit
Mäßigung und Strenge gegen die anmaßende Phantasie geschrieben zu sein.
Sei es, daß er zu wenig zugesteht, im Bereiche des Ungewissen ist es weiser, zu
wenig, als zu viel sehen zu wollen.

Whewell beginnt damit, daß er darauf hinweist, wie die Erde Myriaden
von Menschenaltern und abermals Myriaden hindurch nur eine Stätte vege¬
tabilischen und thierischen Lebens gewesen,', und daß sie vor dieser Zeit ohne
das, was wir Leben nennen, gewesen ist. War also unser Planet eine lange
Zeit hindurch ohne intelligente Wesen und eine noch längere sogar ohne Leben,
so ist es möglich, daß die andern Planeten noch gegenwärtig keine höhern Ge¬
schöpfe als Thiere oder gar kein Leben tragen und daß es deshalb keine Mehr¬
heit bewohnter Welten gibt. Diese Möglichkeit erhebt er zur Wahrscheinlichkeit
durch ein Argument, gegründet auf die wechselseitige Beziehung eines Atoms
von Zeit zu einem Atom von Raum. Er theilt die große Periode der Erd¬
bildung in vier Zeitabschnitte und den uns bekannten Himmelsraum in vier
Raumlängen und nimmt an, daß die Zahlen, welche das Alter der vier geo¬
logischen Perioden ausdrücken, den Zahlen entsprechen, welche die vier astro¬
nomischen Größen oder Raumlängen darstellen. Er stellt erstens die gegen¬
wärtige organische Beschaffenheit der Erde, der Größe der Erde, zweitens die
tertiäre Periode der Geologen, welche jener vorherging, der Größe des Sonnen¬
systems verglichen mit der Erde, drittens die secundäre Periode der Entfernung


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[0350] Was die Darstellung betrifft, so ist sie einfach, klar und sachgemäß. Die schlichte Sprache, das unbefangene gesunde Urtheil, und die Unparteilichkeit, mit welcher der Verfasser sich davon fern hält, Toll zum Helden seines gro߬ artigen Gemäldes zu erheben, machen einen höchst wohlthuenden Eindruck, zu¬ mal da man häusig veranlaßt wird, an Müfflings Mittl/eilungen und dessen widerwärtig gespreiztes Wesen zu denken. Wir fühlen es überall, daß ein Mann von schlichtem, zuverlässigem Charakter zu uns spricht, der nur der Wahrheit die Ehre geben will. Der zweite Band, der den Rückzug bis Mos¬ kau und das Unglück der französischen Armee behandelt, wird, wie wir glauben, ein noch höheres Interesse beanspruchen dürfen. Planeten- und Mondmenschen. ' "- Einem Gelehrten von durchaus anderm Schlage begegnen wir in Whewell, dem Verfasser der von Brewster angegriffenen Broschüre. Er sucht sich an das zu halten, was wir wissen, kann freilich auch in seinen Schlüssen hastige Folgerungen nicht ganz vermeiden; das Ganze macht aber den Eindruck, mit Mäßigung und Strenge gegen die anmaßende Phantasie geschrieben zu sein. Sei es, daß er zu wenig zugesteht, im Bereiche des Ungewissen ist es weiser, zu wenig, als zu viel sehen zu wollen. Whewell beginnt damit, daß er darauf hinweist, wie die Erde Myriaden von Menschenaltern und abermals Myriaden hindurch nur eine Stätte vege¬ tabilischen und thierischen Lebens gewesen,', und daß sie vor dieser Zeit ohne das, was wir Leben nennen, gewesen ist. War also unser Planet eine lange Zeit hindurch ohne intelligente Wesen und eine noch längere sogar ohne Leben, so ist es möglich, daß die andern Planeten noch gegenwärtig keine höhern Ge¬ schöpfe als Thiere oder gar kein Leben tragen und daß es deshalb keine Mehr¬ heit bewohnter Welten gibt. Diese Möglichkeit erhebt er zur Wahrscheinlichkeit durch ein Argument, gegründet auf die wechselseitige Beziehung eines Atoms von Zeit zu einem Atom von Raum. Er theilt die große Periode der Erd¬ bildung in vier Zeitabschnitte und den uns bekannten Himmelsraum in vier Raumlängen und nimmt an, daß die Zahlen, welche das Alter der vier geo¬ logischen Perioden ausdrücken, den Zahlen entsprechen, welche die vier astro¬ nomischen Größen oder Raumlängen darstellen. Er stellt erstens die gegen¬ wärtige organische Beschaffenheit der Erde, der Größe der Erde, zweitens die tertiäre Periode der Geologen, welche jener vorherging, der Größe des Sonnen¬ systems verglichen mit der Erde, drittens die secundäre Periode der Entfernung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/350>, abgerufen am 23.07.2024.