Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

anging, wurden in willkürlichster-Weise weggegeben, wie eine Herde Schafe.
Ein fremder Fürst verschacherte sie gegen alles Recht, und der große Friedrich
forderte und nahm sie als Löwenantheil an der Beute.

Solcher Art war das öffentliche Recht, die Bildung und das Treiben in
Deutschland in dem Jahrhundert, welches von Thoren die gute alte Zeit
genannt wird.




Briefe ans Schleswig-Holstein.
Die Angeln, ihr Haus und der Hausgeist Riß Puck.

Das Land, welches im Volksmunde Angeln heißt, gehört zum Theil
unter das Amt Gottorf, zum größeren Theil unter das Amt Flensburg und
umfaßt gegen 1ö Ouadratmeilen. Die Bodenverhältnisse sind dieselben wie im
südöstlichen Schleswig und wie auf der Ostküste Holsteins. Seen von Be¬
deutung, erwähnenswerthe Berge, Flüsse von einiger Länge und Tiefe hat
das Ländchen nicht aufzuweisen, Landschaftsbilder ^ von besonderer Schönheit
ebensowenig.

Um vieles interessanter als das Land sind seine Bewohner, die Angler
oder Angliter, welche in ihrem gegenwärtigen Zustande in erfreulichster Weise
zeigen, welch ein herrlicher Kern im deutschen Bauernstande liegt, und welcher
Entwicklung derselbe fähig ist.*)

Der Druck, den die deutschen Edelleute im Mittelalter auf das Landvolk
Angelus ausübten, muß sehr schwer gewesen sein, wenn auch gewiß nicht
schwerer, als der, welcher auf den Leibeigenen Führers und Seelands lastete.
Die Sage erinnert sich Mit Vorliebe an Beispiele hochmüthiger und grau¬
samer Gutsherrn.

In der strurdorfer Kirche durften Prediger und Küster den Gottesdienst
nicht eher beginnen, als bis die Edelsinn von Tollgaard in der Kirche einge¬
troffen war, und sie ließ oft lange auf sich warten.

Frau Jda von Rumohr auf dem Gute Roese ließ den leibeignen Mägden,
wenn sie nicht gut genug gesponnen hatten, Garnfäden um die Finger wickeln
und zündete diese dann an. Eine Kammerjungfer, die ein Versehen begangen,
gebot sie an den Ofen zu binden, der sodann stark geheizt wurde. Die Dame
fuhr hieraus mit der Seelenruhe eines guten Gewissens im Schlitten nach der
Kirche. Als sie zurückkehrte, war die arme Dirne verbrannt, und die Lippen
waren so zusammengedorrt, daß die Zähne fletschend hervorragten. "Was, du
Hündin! Weisest du mir noch die Zähne?" rief die Gräßliche, als sie in das



") Ueber das Verhältniß der dänischen Nationalität in Angeln im nächste" Brief.
4*

anging, wurden in willkürlichster-Weise weggegeben, wie eine Herde Schafe.
Ein fremder Fürst verschacherte sie gegen alles Recht, und der große Friedrich
forderte und nahm sie als Löwenantheil an der Beute.

Solcher Art war das öffentliche Recht, die Bildung und das Treiben in
Deutschland in dem Jahrhundert, welches von Thoren die gute alte Zeit
genannt wird.




Briefe ans Schleswig-Holstein.
Die Angeln, ihr Haus und der Hausgeist Riß Puck.

Das Land, welches im Volksmunde Angeln heißt, gehört zum Theil
unter das Amt Gottorf, zum größeren Theil unter das Amt Flensburg und
umfaßt gegen 1ö Ouadratmeilen. Die Bodenverhältnisse sind dieselben wie im
südöstlichen Schleswig und wie auf der Ostküste Holsteins. Seen von Be¬
deutung, erwähnenswerthe Berge, Flüsse von einiger Länge und Tiefe hat
das Ländchen nicht aufzuweisen, Landschaftsbilder ^ von besonderer Schönheit
ebensowenig.

Um vieles interessanter als das Land sind seine Bewohner, die Angler
oder Angliter, welche in ihrem gegenwärtigen Zustande in erfreulichster Weise
zeigen, welch ein herrlicher Kern im deutschen Bauernstande liegt, und welcher
Entwicklung derselbe fähig ist.*)

Der Druck, den die deutschen Edelleute im Mittelalter auf das Landvolk
Angelus ausübten, muß sehr schwer gewesen sein, wenn auch gewiß nicht
schwerer, als der, welcher auf den Leibeigenen Führers und Seelands lastete.
Die Sage erinnert sich Mit Vorliebe an Beispiele hochmüthiger und grau¬
samer Gutsherrn.

In der strurdorfer Kirche durften Prediger und Küster den Gottesdienst
nicht eher beginnen, als bis die Edelsinn von Tollgaard in der Kirche einge¬
troffen war, und sie ließ oft lange auf sich warten.

Frau Jda von Rumohr auf dem Gute Roese ließ den leibeignen Mägden,
wenn sie nicht gut genug gesponnen hatten, Garnfäden um die Finger wickeln
und zündete diese dann an. Eine Kammerjungfer, die ein Versehen begangen,
gebot sie an den Ofen zu binden, der sodann stark geheizt wurde. Die Dame
fuhr hieraus mit der Seelenruhe eines guten Gewissens im Schlitten nach der
Kirche. Als sie zurückkehrte, war die arme Dirne verbrannt, und die Lippen
waren so zusammengedorrt, daß die Zähne fletschend hervorragten. „Was, du
Hündin! Weisest du mir noch die Zähne?" rief die Gräßliche, als sie in das



") Ueber das Verhältniß der dänischen Nationalität in Angeln im nächste» Brief.
4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101028"/>
            <p xml:id="ID_85" prev="#ID_84"> anging, wurden in willkürlichster-Weise weggegeben, wie eine Herde Schafe.<lb/>
Ein fremder Fürst verschacherte sie gegen alles Recht, und der große Friedrich<lb/>
forderte und nahm sie als Löwenantheil an der Beute.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_86"> Solcher Art war das öffentliche Recht, die Bildung und das Treiben in<lb/>
Deutschland in dem Jahrhundert, welches von Thoren die gute alte Zeit<lb/>
genannt wird.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe ans Schleswig-Holstein.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die Angeln, ihr Haus und der Hausgeist Riß Puck.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_87"> Das Land, welches im Volksmunde Angeln heißt, gehört zum Theil<lb/>
unter das Amt Gottorf, zum größeren Theil unter das Amt Flensburg und<lb/>
umfaßt gegen 1ö Ouadratmeilen. Die Bodenverhältnisse sind dieselben wie im<lb/>
südöstlichen Schleswig und wie auf der Ostküste Holsteins. Seen von Be¬<lb/>
deutung, erwähnenswerthe Berge, Flüsse von einiger Länge und Tiefe hat<lb/>
das Ländchen nicht aufzuweisen, Landschaftsbilder ^ von besonderer Schönheit<lb/>
ebensowenig.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_88"> Um vieles interessanter als das Land sind seine Bewohner, die Angler<lb/>
oder Angliter, welche in ihrem gegenwärtigen Zustande in erfreulichster Weise<lb/>
zeigen, welch ein herrlicher Kern im deutschen Bauernstande liegt, und welcher<lb/>
Entwicklung derselbe fähig ist.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_89"> Der Druck, den die deutschen Edelleute im Mittelalter auf das Landvolk<lb/>
Angelus ausübten, muß sehr schwer gewesen sein, wenn auch gewiß nicht<lb/>
schwerer, als der, welcher auf den Leibeigenen Führers und Seelands lastete.<lb/>
Die Sage erinnert sich Mit Vorliebe an Beispiele hochmüthiger und grau¬<lb/>
samer Gutsherrn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_90"> In der strurdorfer Kirche durften Prediger und Küster den Gottesdienst<lb/>
nicht eher beginnen, als bis die Edelsinn von Tollgaard in der Kirche einge¬<lb/>
troffen war, und sie ließ oft lange auf sich warten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Frau Jda von Rumohr auf dem Gute Roese ließ den leibeignen Mägden,<lb/>
wenn sie nicht gut genug gesponnen hatten, Garnfäden um die Finger wickeln<lb/>
und zündete diese dann an. Eine Kammerjungfer, die ein Versehen begangen,<lb/>
gebot sie an den Ofen zu binden, der sodann stark geheizt wurde. Die Dame<lb/>
fuhr hieraus mit der Seelenruhe eines guten Gewissens im Schlitten nach der<lb/>
Kirche. Als sie zurückkehrte, war die arme Dirne verbrannt, und die Lippen<lb/>
waren so zusammengedorrt, daß die Zähne fletschend hervorragten. &#x201E;Was, du<lb/>
Hündin! Weisest du mir noch die Zähne?" rief die Gräßliche, als sie in das</p><lb/>
            <note xml:id="FID_2" place="foot"> ") Ueber das Verhältniß der dänischen Nationalität in Angeln im nächste» Brief.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 4*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] anging, wurden in willkürlichster-Weise weggegeben, wie eine Herde Schafe. Ein fremder Fürst verschacherte sie gegen alles Recht, und der große Friedrich forderte und nahm sie als Löwenantheil an der Beute. Solcher Art war das öffentliche Recht, die Bildung und das Treiben in Deutschland in dem Jahrhundert, welches von Thoren die gute alte Zeit genannt wird. Briefe ans Schleswig-Holstein. Die Angeln, ihr Haus und der Hausgeist Riß Puck. Das Land, welches im Volksmunde Angeln heißt, gehört zum Theil unter das Amt Gottorf, zum größeren Theil unter das Amt Flensburg und umfaßt gegen 1ö Ouadratmeilen. Die Bodenverhältnisse sind dieselben wie im südöstlichen Schleswig und wie auf der Ostküste Holsteins. Seen von Be¬ deutung, erwähnenswerthe Berge, Flüsse von einiger Länge und Tiefe hat das Ländchen nicht aufzuweisen, Landschaftsbilder ^ von besonderer Schönheit ebensowenig. Um vieles interessanter als das Land sind seine Bewohner, die Angler oder Angliter, welche in ihrem gegenwärtigen Zustande in erfreulichster Weise zeigen, welch ein herrlicher Kern im deutschen Bauernstande liegt, und welcher Entwicklung derselbe fähig ist.*) Der Druck, den die deutschen Edelleute im Mittelalter auf das Landvolk Angelus ausübten, muß sehr schwer gewesen sein, wenn auch gewiß nicht schwerer, als der, welcher auf den Leibeigenen Führers und Seelands lastete. Die Sage erinnert sich Mit Vorliebe an Beispiele hochmüthiger und grau¬ samer Gutsherrn. In der strurdorfer Kirche durften Prediger und Küster den Gottesdienst nicht eher beginnen, als bis die Edelsinn von Tollgaard in der Kirche einge¬ troffen war, und sie ließ oft lange auf sich warten. Frau Jda von Rumohr auf dem Gute Roese ließ den leibeignen Mägden, wenn sie nicht gut genug gesponnen hatten, Garnfäden um die Finger wickeln und zündete diese dann an. Eine Kammerjungfer, die ein Versehen begangen, gebot sie an den Ofen zu binden, der sodann stark geheizt wurde. Die Dame fuhr hieraus mit der Seelenruhe eines guten Gewissens im Schlitten nach der Kirche. Als sie zurückkehrte, war die arme Dirne verbrannt, und die Lippen waren so zusammengedorrt, daß die Zähne fletschend hervorragten. „Was, du Hündin! Weisest du mir noch die Zähne?" rief die Gräßliche, als sie in das ") Ueber das Verhältniß der dänischen Nationalität in Angeln im nächste» Brief. 4*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/35>, abgerufen am 23.07.2024.