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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Major, der sich unsrer annehmen sollte, der ist mit dem Major von S . . .
zum Teufel; wir sind verlassene Leute, aber hole mich der Teufel, ich will mit
den paar Mann, die ich hier habe, gerade nach Gotha marschiren. Ich fragte
ihn, wo denn die andern Grenadiers wären, aber er wußte nicht, ob sie vor¬
aus oder zurück waren. Einen Offizier, sagte er, haben wir nicht, und es
nimmt sich auch keiner unsrer an, und so ging ein jeder hin, wohin er
wollte. -- Er wußte nicht, daß die Majors im Wirthshause waren. Hatte
aber der alte Corpora! ein loses Maul gehabt, so hatten es die Grenadiere
noch viel ärger.

Hier hatte ich nun genug zu thun, die Grenadiers zu besänftigen, und
das ging so fort, alle viertel- oder halbe Stunden ein Trüppchen, und hatten
die erstern gelärmt, waren die andern noch viel schlimmer. Endlich kam auch,
ganz zuletzt, die Artillerie an, da es sonsten gebräuchlich, die Artillerie, in was
für Umständen man auch marschire, entweder vorn oder in der Mitte zu be¬
wahren, sowie ein Mensch seine Seele bewahrt. Hier konnte man sehen, daß
dieser Commandant noch nie Artillerie bei einem Corps oder einer Armee
hatte marschiren sehen, die doch nach Kriegsgebrauch jedes Mal bedeckt werden
mußte.

Das Volk wurde aber immer wilder, und ich mußte ihm zureden, daß es
sich vor den Bauern scheue, die zu ihren Bodenfenstern heraufschauten, uns zu¬
hörten und ihr Gespött darüber hatten.--

Endlich fügte es Gott, daß es mit regnen aufhörte. Ein Dragoner hatte
uns auf eine'Wiese geführt, welche hart am Wege lag, worauf ich den rechten
Flügel an denselben stellte und daS Kommando.richteie und nachgehends.in
Züge und halbe Divisionen eintheilte. Als ich im Abtheilen war, kamen einige
Pferde, die ich von weilen wohl hörte, gejagt, so denke ich: es kömmt der
Feind daher; ich rief und schrie sogleich nach dem rechten Flügel, es sollten
einige Mann ausrücken und anrufen, und lies selbst zu und riß einem Grena¬
dier sein Gewehr aus der Hand, weil ich meines während des Abtheilens
weggegeben, und setze mich mit einigen Grenadieren mitten in den Weg und
rief: Wer da? -- Darauf antwortete mir eine wohlbekannte Stimme, welche ich
sogleich für die des Herrn Majors von Benkendorff erkannt hatte, wie er denn
meine Stimme auch beim Anrufen gleich erkannt hatte, und rief: kennt Ihr
mich nicht? Ja, lieber Gott! an der Stimme erkannte ich ihn, aber in der
Finsterniß war das früher unmöglich. Hier sendete Gott den Jacob zu den
Kindern in der Wüste; hier traf das Wort ein: keinen hat Gott verlassen, der
ihm vertraut allezeit.

Sein erstes Wort war: Kinder, was macht Ihr da? Ich erwiederte: Herr
Major, das weiß unser Herr Gott, aber ich nicht; wir sind herausgeführt
worden, daß wir nicht wissen, wie wir herausgekommen sind. Er fragte weiter:


Gr-lizboten. I. 4

Major, der sich unsrer annehmen sollte, der ist mit dem Major von S . . .
zum Teufel; wir sind verlassene Leute, aber hole mich der Teufel, ich will mit
den paar Mann, die ich hier habe, gerade nach Gotha marschiren. Ich fragte
ihn, wo denn die andern Grenadiers wären, aber er wußte nicht, ob sie vor¬
aus oder zurück waren. Einen Offizier, sagte er, haben wir nicht, und es
nimmt sich auch keiner unsrer an, und so ging ein jeder hin, wohin er
wollte. — Er wußte nicht, daß die Majors im Wirthshause waren. Hatte
aber der alte Corpora! ein loses Maul gehabt, so hatten es die Grenadiere
noch viel ärger.

Hier hatte ich nun genug zu thun, die Grenadiers zu besänftigen, und
das ging so fort, alle viertel- oder halbe Stunden ein Trüppchen, und hatten
die erstern gelärmt, waren die andern noch viel schlimmer. Endlich kam auch,
ganz zuletzt, die Artillerie an, da es sonsten gebräuchlich, die Artillerie, in was
für Umständen man auch marschire, entweder vorn oder in der Mitte zu be¬
wahren, sowie ein Mensch seine Seele bewahrt. Hier konnte man sehen, daß
dieser Commandant noch nie Artillerie bei einem Corps oder einer Armee
hatte marschiren sehen, die doch nach Kriegsgebrauch jedes Mal bedeckt werden
mußte.

Das Volk wurde aber immer wilder, und ich mußte ihm zureden, daß es
sich vor den Bauern scheue, die zu ihren Bodenfenstern heraufschauten, uns zu¬
hörten und ihr Gespött darüber hatten.—

Endlich fügte es Gott, daß es mit regnen aufhörte. Ein Dragoner hatte
uns auf eine'Wiese geführt, welche hart am Wege lag, worauf ich den rechten
Flügel an denselben stellte und daS Kommando.richteie und nachgehends.in
Züge und halbe Divisionen eintheilte. Als ich im Abtheilen war, kamen einige
Pferde, die ich von weilen wohl hörte, gejagt, so denke ich: es kömmt der
Feind daher; ich rief und schrie sogleich nach dem rechten Flügel, es sollten
einige Mann ausrücken und anrufen, und lies selbst zu und riß einem Grena¬
dier sein Gewehr aus der Hand, weil ich meines während des Abtheilens
weggegeben, und setze mich mit einigen Grenadieren mitten in den Weg und
rief: Wer da? — Darauf antwortete mir eine wohlbekannte Stimme, welche ich
sogleich für die des Herrn Majors von Benkendorff erkannt hatte, wie er denn
meine Stimme auch beim Anrufen gleich erkannt hatte, und rief: kennt Ihr
mich nicht? Ja, lieber Gott! an der Stimme erkannte ich ihn, aber in der
Finsterniß war das früher unmöglich. Hier sendete Gott den Jacob zu den
Kindern in der Wüste; hier traf das Wort ein: keinen hat Gott verlassen, der
ihm vertraut allezeit.

Sein erstes Wort war: Kinder, was macht Ihr da? Ich erwiederte: Herr
Major, das weiß unser Herr Gott, aber ich nicht; wir sind herausgeführt
worden, daß wir nicht wissen, wie wir herausgekommen sind. Er fragte weiter:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/33>, abgerufen am 23.07.2024.