Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Papste einige Erfrischungen vorgesetzt, von denen er jedoch nur wenig ge¬
noß. Dann, nach der Rückkunft der Processton vom Balkon wurde in der
Kapelle eine zweite Adoration vollzogen, dies Mal jedoch nur mit dem Kusse
auf die linke Hand. Nach dieser letzten Conclaveceremonie ging die große Pro¬
cession vor sich, in welcher der Papst auf einex Tragbahre (anscheinend in
kniender Stellung -- in Wahrheit sitzt er jedoch) in den Se. Peter getragen
und zum ersten Mal dem Volke vorgeführt wird. Am Haupteingange des
Doms wurde er von den Canonicis empfangen und in feierlicher Procession und
unter Absingung des "Lcco saesrcZus im^nus" an den Hauptaltar geführt.
Neben demselben war ein prächtiger Thron hergerichtet, auf welchem der Papst
jetzt die dritte Adoration -- dies Mal wieder mit dem Fußkusse -- entgegen¬
nahm.

Mit dieser letzten und größten Ceremonie ist die Papstwahl beendet und
der Papst fährt unter-großer Escorte und begleitet von den höchsten Würden¬
trägern der Kirche zu seinem Palast in der Stadt. Sieben oder mehr Tage
später erfolgt die Krönung und dem allgemeinen Gebrauche gemäß enthalten
sich bis dahin die Päpste der bedeutender" Regierungshandlungen und deö
öffentlichen Erscheinens. Doch Sirius hatte andere Gedanken. Noch in der¬
selben Stunde, in welcher er den Thron bestiegen hatte, wollte er sein Herr¬
scheramt wirklich ausüben. "Laßt uns die Krone bringen," rief er, als man
ihn zur Karosse führen wollte, "Wir wollen Uns jetzt gleich krönen, ohne einen
Augenblick zu verlieren! Denn Wir haben beschlossen, noch an diesem Tage
Unsre Regierung zu beginnen und die Bedürfnisse des Volks zu untersuchen,
das eines guten Regiments nur allzubedürftig ist!" Mit Mühe brachten ihn
die Cardinäle und Ceremonienmeister von dieser Idee ab. Erst als sie ihm
vorstellten und durch Citate aus verschiedenen Bullen bewiesen, daß ein Papst
auch vor der Krönung jede Regierungshandlung vornehmen könne, fügte er
sich dem Brauche. In seinem Palast angekommen, nahm er etwas Wein und
Biscuit zu sich und ruhte dann kurze Zeit aus von den Anstrengungen so
vieler Ceremonien und so starker Gemüthserregungen.-- Nach der Ruhe blieb
ihm bis zur Abendmahlzeit noch eine Stunde Zeit. Diese Stunde benutzte er, um
in einem Buche zu blättern, in welchem er seit vielen Jahren Register geführt
hatte über alle wichtigen Begegnisse seines Lebens, über alle Ungerechtigkeiten,
alle Gutthaten, die ihm widerfahren waren, über alle Vergehen und Verbrechen,
die zu seiner Kenntniß gekommen, theils im Beichtstuhle, theils auf andern
Wegen, die entweder gar nicht oder doch nur leicht geahndet worden waren.
Da standen die Richter aufgezeichnet, die sich ihre ungerechten Aussprüche
hatten abkaufen lassen -- die Gouverneure, die sich durch Erpressungen be¬
reichert hatten -- die Großen, die sich an kein Gesetz gekehrt/hatten und Ban¬
diten in ihrem Solde hielten, um jeder Gewalt trotzen zu können -- die hohen


dem Papste einige Erfrischungen vorgesetzt, von denen er jedoch nur wenig ge¬
noß. Dann, nach der Rückkunft der Processton vom Balkon wurde in der
Kapelle eine zweite Adoration vollzogen, dies Mal jedoch nur mit dem Kusse
auf die linke Hand. Nach dieser letzten Conclaveceremonie ging die große Pro¬
cession vor sich, in welcher der Papst auf einex Tragbahre (anscheinend in
kniender Stellung — in Wahrheit sitzt er jedoch) in den Se. Peter getragen
und zum ersten Mal dem Volke vorgeführt wird. Am Haupteingange des
Doms wurde er von den Canonicis empfangen und in feierlicher Procession und
unter Absingung des „Lcco saesrcZus im^nus" an den Hauptaltar geführt.
Neben demselben war ein prächtiger Thron hergerichtet, auf welchem der Papst
jetzt die dritte Adoration — dies Mal wieder mit dem Fußkusse — entgegen¬
nahm.

Mit dieser letzten und größten Ceremonie ist die Papstwahl beendet und
der Papst fährt unter-großer Escorte und begleitet von den höchsten Würden¬
trägern der Kirche zu seinem Palast in der Stadt. Sieben oder mehr Tage
später erfolgt die Krönung und dem allgemeinen Gebrauche gemäß enthalten
sich bis dahin die Päpste der bedeutender» Regierungshandlungen und deö
öffentlichen Erscheinens. Doch Sirius hatte andere Gedanken. Noch in der¬
selben Stunde, in welcher er den Thron bestiegen hatte, wollte er sein Herr¬
scheramt wirklich ausüben. „Laßt uns die Krone bringen," rief er, als man
ihn zur Karosse führen wollte, „Wir wollen Uns jetzt gleich krönen, ohne einen
Augenblick zu verlieren! Denn Wir haben beschlossen, noch an diesem Tage
Unsre Regierung zu beginnen und die Bedürfnisse des Volks zu untersuchen,
das eines guten Regiments nur allzubedürftig ist!" Mit Mühe brachten ihn
die Cardinäle und Ceremonienmeister von dieser Idee ab. Erst als sie ihm
vorstellten und durch Citate aus verschiedenen Bullen bewiesen, daß ein Papst
auch vor der Krönung jede Regierungshandlung vornehmen könne, fügte er
sich dem Brauche. In seinem Palast angekommen, nahm er etwas Wein und
Biscuit zu sich und ruhte dann kurze Zeit aus von den Anstrengungen so
vieler Ceremonien und so starker Gemüthserregungen.— Nach der Ruhe blieb
ihm bis zur Abendmahlzeit noch eine Stunde Zeit. Diese Stunde benutzte er, um
in einem Buche zu blättern, in welchem er seit vielen Jahren Register geführt
hatte über alle wichtigen Begegnisse seines Lebens, über alle Ungerechtigkeiten,
alle Gutthaten, die ihm widerfahren waren, über alle Vergehen und Verbrechen,
die zu seiner Kenntniß gekommen, theils im Beichtstuhle, theils auf andern
Wegen, die entweder gar nicht oder doch nur leicht geahndet worden waren.
Da standen die Richter aufgezeichnet, die sich ihre ungerechten Aussprüche
hatten abkaufen lassen — die Gouverneure, die sich durch Erpressungen be¬
reichert hatten — die Großen, die sich an kein Gesetz gekehrt/hatten und Ban¬
diten in ihrem Solde hielten, um jeder Gewalt trotzen zu können — die hohen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101303"/>
          <p xml:id="ID_929" prev="#ID_928"> dem Papste einige Erfrischungen vorgesetzt, von denen er jedoch nur wenig ge¬<lb/>
noß. Dann, nach der Rückkunft der Processton vom Balkon wurde in der<lb/>
Kapelle eine zweite Adoration vollzogen, dies Mal jedoch nur mit dem Kusse<lb/>
auf die linke Hand. Nach dieser letzten Conclaveceremonie ging die große Pro¬<lb/>
cession vor sich, in welcher der Papst auf einex Tragbahre (anscheinend in<lb/>
kniender Stellung &#x2014; in Wahrheit sitzt er jedoch) in den Se. Peter getragen<lb/>
und zum ersten Mal dem Volke vorgeführt wird. Am Haupteingange des<lb/>
Doms wurde er von den Canonicis empfangen und in feierlicher Procession und<lb/>
unter Absingung des &#x201E;Lcco saesrcZus im^nus" an den Hauptaltar geführt.<lb/>
Neben demselben war ein prächtiger Thron hergerichtet, auf welchem der Papst<lb/>
jetzt die dritte Adoration &#x2014; dies Mal wieder mit dem Fußkusse &#x2014; entgegen¬<lb/>
nahm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_930" next="#ID_931"> Mit dieser letzten und größten Ceremonie ist die Papstwahl beendet und<lb/>
der Papst fährt unter-großer Escorte und begleitet von den höchsten Würden¬<lb/>
trägern der Kirche zu seinem Palast in der Stadt. Sieben oder mehr Tage<lb/>
später erfolgt die Krönung und dem allgemeinen Gebrauche gemäß enthalten<lb/>
sich bis dahin die Päpste der bedeutender» Regierungshandlungen und deö<lb/>
öffentlichen Erscheinens. Doch Sirius hatte andere Gedanken. Noch in der¬<lb/>
selben Stunde, in welcher er den Thron bestiegen hatte, wollte er sein Herr¬<lb/>
scheramt wirklich ausüben. &#x201E;Laßt uns die Krone bringen," rief er, als man<lb/>
ihn zur Karosse führen wollte, &#x201E;Wir wollen Uns jetzt gleich krönen, ohne einen<lb/>
Augenblick zu verlieren! Denn Wir haben beschlossen, noch an diesem Tage<lb/>
Unsre Regierung zu beginnen und die Bedürfnisse des Volks zu untersuchen,<lb/>
das eines guten Regiments nur allzubedürftig ist!" Mit Mühe brachten ihn<lb/>
die Cardinäle und Ceremonienmeister von dieser Idee ab. Erst als sie ihm<lb/>
vorstellten und durch Citate aus verschiedenen Bullen bewiesen, daß ein Papst<lb/>
auch vor der Krönung jede Regierungshandlung vornehmen könne, fügte er<lb/>
sich dem Brauche. In seinem Palast angekommen, nahm er etwas Wein und<lb/>
Biscuit zu sich und ruhte dann kurze Zeit aus von den Anstrengungen so<lb/>
vieler Ceremonien und so starker Gemüthserregungen.&#x2014; Nach der Ruhe blieb<lb/>
ihm bis zur Abendmahlzeit noch eine Stunde Zeit. Diese Stunde benutzte er, um<lb/>
in einem Buche zu blättern, in welchem er seit vielen Jahren Register geführt<lb/>
hatte über alle wichtigen Begegnisse seines Lebens, über alle Ungerechtigkeiten,<lb/>
alle Gutthaten, die ihm widerfahren waren, über alle Vergehen und Verbrechen,<lb/>
die zu seiner Kenntniß gekommen, theils im Beichtstuhle, theils auf andern<lb/>
Wegen, die entweder gar nicht oder doch nur leicht geahndet worden waren.<lb/>
Da standen die Richter aufgezeichnet, die sich ihre ungerechten Aussprüche<lb/>
hatten abkaufen lassen &#x2014; die Gouverneure, die sich durch Erpressungen be¬<lb/>
reichert hatten &#x2014; die Großen, die sich an kein Gesetz gekehrt/hatten und Ban¬<lb/>
diten in ihrem Solde hielten, um jeder Gewalt trotzen zu können &#x2014; die hohen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] dem Papste einige Erfrischungen vorgesetzt, von denen er jedoch nur wenig ge¬ noß. Dann, nach der Rückkunft der Processton vom Balkon wurde in der Kapelle eine zweite Adoration vollzogen, dies Mal jedoch nur mit dem Kusse auf die linke Hand. Nach dieser letzten Conclaveceremonie ging die große Pro¬ cession vor sich, in welcher der Papst auf einex Tragbahre (anscheinend in kniender Stellung — in Wahrheit sitzt er jedoch) in den Se. Peter getragen und zum ersten Mal dem Volke vorgeführt wird. Am Haupteingange des Doms wurde er von den Canonicis empfangen und in feierlicher Procession und unter Absingung des „Lcco saesrcZus im^nus" an den Hauptaltar geführt. Neben demselben war ein prächtiger Thron hergerichtet, auf welchem der Papst jetzt die dritte Adoration — dies Mal wieder mit dem Fußkusse — entgegen¬ nahm. Mit dieser letzten und größten Ceremonie ist die Papstwahl beendet und der Papst fährt unter-großer Escorte und begleitet von den höchsten Würden¬ trägern der Kirche zu seinem Palast in der Stadt. Sieben oder mehr Tage später erfolgt die Krönung und dem allgemeinen Gebrauche gemäß enthalten sich bis dahin die Päpste der bedeutender» Regierungshandlungen und deö öffentlichen Erscheinens. Doch Sirius hatte andere Gedanken. Noch in der¬ selben Stunde, in welcher er den Thron bestiegen hatte, wollte er sein Herr¬ scheramt wirklich ausüben. „Laßt uns die Krone bringen," rief er, als man ihn zur Karosse führen wollte, „Wir wollen Uns jetzt gleich krönen, ohne einen Augenblick zu verlieren! Denn Wir haben beschlossen, noch an diesem Tage Unsre Regierung zu beginnen und die Bedürfnisse des Volks zu untersuchen, das eines guten Regiments nur allzubedürftig ist!" Mit Mühe brachten ihn die Cardinäle und Ceremonienmeister von dieser Idee ab. Erst als sie ihm vorstellten und durch Citate aus verschiedenen Bullen bewiesen, daß ein Papst auch vor der Krönung jede Regierungshandlung vornehmen könne, fügte er sich dem Brauche. In seinem Palast angekommen, nahm er etwas Wein und Biscuit zu sich und ruhte dann kurze Zeit aus von den Anstrengungen so vieler Ceremonien und so starker Gemüthserregungen.— Nach der Ruhe blieb ihm bis zur Abendmahlzeit noch eine Stunde Zeit. Diese Stunde benutzte er, um in einem Buche zu blättern, in welchem er seit vielen Jahren Register geführt hatte über alle wichtigen Begegnisse seines Lebens, über alle Ungerechtigkeiten, alle Gutthaten, die ihm widerfahren waren, über alle Vergehen und Verbrechen, die zu seiner Kenntniß gekommen, theils im Beichtstuhle, theils auf andern Wegen, die entweder gar nicht oder doch nur leicht geahndet worden waren. Da standen die Richter aufgezeichnet, die sich ihre ungerechten Aussprüche hatten abkaufen lassen — die Gouverneure, die sich durch Erpressungen be¬ reichert hatten — die Großen, die sich an kein Gesetz gekehrt/hatten und Ban¬ diten in ihrem Solde hielten, um jeder Gewalt trotzen zu können — die hohen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/310>, abgerufen am 23.07.2024.