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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Stimmzettel die Zahl der für Montcilto lautenden der vorgeschriebenen Majori¬
tät näherte, sah man diesen sich regen und wenden, sich erheben und wieder
setzen; mühsam, und doch heftig stieß er den Athem aus, nicht anders als ob
ein gewaltiges Feuer in seiner Brust brenne und sich einen Ausgang suche.
Bei dem letzten Namen, der die Majorität für ihn entschied, stand er aufrecht
da, an Gestalt einen halben Fuß großer, als vorher; mit kräftigem Wurfe
schleuderte er seinen Krückstock weit von sich und mit honorer Stimme erscholl
eS aus seinem Munde: Halleluja!

Wie erstarrt sahen die Cardinäle einander ins Gesicht bei diesem Aus¬
bruch einer länger als fünfzehn Jahre verhaltenen Kraft und Leidenschaft.
-- Am ehesten kam Farnese zur Besinnung und zum schnellen Entschlüsse.
Zu Este und San Sisto hinübersehend, glaubte er aus beider Gesichtern
Unruhe und Neue über ihr Handeln zu lesen, und in der Ueberzeugung,
von ihnen unterstützt zu werden, rief er plötzlich: Halt! das Scrutinium kann
nicht fortgesetzt werden, da ein Irrthum vorgefallen ist! Doch Montalto, ent¬
schlossenen und furchtlosen Geistes, sah ihm fest ins Gesicht. Es ist kein Irr¬
thum vorgefallen, das Scrutinium ist gut, rief er. Mit klingender Stimme,
daß es in der ganzen Kapelle wiederhallte, stimmte er das Tedeum an, und
wie fortgerissen von seiner Entschlossenheit und Willensstärke, stimmten alle
Uebrigen mit ein.

Bei dem kurzen Gebete, das dem Tedeum folgte, warf er sich am Altare
nieder; kein Wort kam über seine fast krampfhaft geschlossenen Lippen; nur die
Augen schlug er aus zum Crucifix, so leidenschaftlich, daß eine Zeitlang nnr
das Weiße davon zu sehen war.

Wunderbare Macht des Genies und der Willensstärke! Der Fürstcardinal
Farnese, mächtig durch viele und hohe Verbindungen -- von erprobter Autori¬
tät und Kühnheit der Entschlüsse -- der Decan und Leiter von vier Con-
claven -- schickt sich zum Widerstand an und steht dann plötzlich still! So
viele Parteihäupter und papstfähige Cardinäle, die noch alle ihr Glück ver¬
suchen konnten, stehen fassungslos und stumm, lassen Farnese ohne Unter¬
stützung, und unterwerfen sich willenlos dem Factum, das rückgängig zu machen,
noch in ihrer Gewalt stand! Doch: alumen est, contra stimnluin L-rleilrariZ!
Montalto war Papst!

Fünfzehn Jahre lang hatte er seine, Leidenschaft sest in der Brust ver¬
schlossen -- seine Neigungen unterdrückt -- seiner ganzen Natur Gewalt an¬
gethan -- Spott und Demüthigungen ertragen-- seinen Feinden, geschmeichelt
und ihre Güte gepriesen -- Unfähigkeit und Dummheit sich über ihn erheben
-- Verbrechen und Schandthaten ungestraft verüben -- das Ansehn des
päpstlichen Stuhles sinken, und den Kirchenstaat verfallen gesehn! -- Jetzt
konnte er gebieten -- herrschen, Fürsten entgegentreten -- seinen Feinden seine


Stimmzettel die Zahl der für Montcilto lautenden der vorgeschriebenen Majori¬
tät näherte, sah man diesen sich regen und wenden, sich erheben und wieder
setzen; mühsam, und doch heftig stieß er den Athem aus, nicht anders als ob
ein gewaltiges Feuer in seiner Brust brenne und sich einen Ausgang suche.
Bei dem letzten Namen, der die Majorität für ihn entschied, stand er aufrecht
da, an Gestalt einen halben Fuß großer, als vorher; mit kräftigem Wurfe
schleuderte er seinen Krückstock weit von sich und mit honorer Stimme erscholl
eS aus seinem Munde: Halleluja!

Wie erstarrt sahen die Cardinäle einander ins Gesicht bei diesem Aus¬
bruch einer länger als fünfzehn Jahre verhaltenen Kraft und Leidenschaft.
— Am ehesten kam Farnese zur Besinnung und zum schnellen Entschlüsse.
Zu Este und San Sisto hinübersehend, glaubte er aus beider Gesichtern
Unruhe und Neue über ihr Handeln zu lesen, und in der Ueberzeugung,
von ihnen unterstützt zu werden, rief er plötzlich: Halt! das Scrutinium kann
nicht fortgesetzt werden, da ein Irrthum vorgefallen ist! Doch Montalto, ent¬
schlossenen und furchtlosen Geistes, sah ihm fest ins Gesicht. Es ist kein Irr¬
thum vorgefallen, das Scrutinium ist gut, rief er. Mit klingender Stimme,
daß es in der ganzen Kapelle wiederhallte, stimmte er das Tedeum an, und
wie fortgerissen von seiner Entschlossenheit und Willensstärke, stimmten alle
Uebrigen mit ein.

Bei dem kurzen Gebete, das dem Tedeum folgte, warf er sich am Altare
nieder; kein Wort kam über seine fast krampfhaft geschlossenen Lippen; nur die
Augen schlug er aus zum Crucifix, so leidenschaftlich, daß eine Zeitlang nnr
das Weiße davon zu sehen war.

Wunderbare Macht des Genies und der Willensstärke! Der Fürstcardinal
Farnese, mächtig durch viele und hohe Verbindungen — von erprobter Autori¬
tät und Kühnheit der Entschlüsse — der Decan und Leiter von vier Con-
claven — schickt sich zum Widerstand an und steht dann plötzlich still! So
viele Parteihäupter und papstfähige Cardinäle, die noch alle ihr Glück ver¬
suchen konnten, stehen fassungslos und stumm, lassen Farnese ohne Unter¬
stützung, und unterwerfen sich willenlos dem Factum, das rückgängig zu machen,
noch in ihrer Gewalt stand! Doch: alumen est, contra stimnluin L-rleilrariZ!
Montalto war Papst!

Fünfzehn Jahre lang hatte er seine, Leidenschaft sest in der Brust ver¬
schlossen — seine Neigungen unterdrückt — seiner ganzen Natur Gewalt an¬
gethan — Spott und Demüthigungen ertragen— seinen Feinden, geschmeichelt
und ihre Güte gepriesen — Unfähigkeit und Dummheit sich über ihn erheben
— Verbrechen und Schandthaten ungestraft verüben — das Ansehn des
päpstlichen Stuhles sinken, und den Kirchenstaat verfallen gesehn! — Jetzt
konnte er gebieten — herrschen, Fürsten entgegentreten — seinen Feinden seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/308>, abgerufen am 23.07.2024.