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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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gleichen Versicherungen von Seiten Riarios und Guastavillanoö, vollendeten
San Sistos Rathlosigkeit. Er vergaß sein dem Farnese gegebenes Wort, seine
eigne Hoffnung, eine seiner Creaturen zum Papste zu machen, seine Pflichten
als mächtiges Parteihaupt -- seine ganze unter der Regierung seines Oheims
erworbene Praris. Er berief seine Anhänger zu sich heraus, eröffnete ihnen,
daß es sich jetzt darum handle, Montalto zum Papste zu machen, und daß er
ihre Meinung darüber anhören wolle. Die sieben schon für Montalto Ge¬
wonnenen ergriffen zuerst das Wort in lebhaft zustimmender Weise. Ihre
Rede, und San Sistos Schwanken benahmen den andern den Muth, ihre An¬
sichten frei zu äußern; sie erklärten, daß San Sistos Meinung und Beschlüsse
auch die ihrigen sein würden.

Das Verlassen der Kapelle -- zuerst von Seiten Alessandrinos und dann
San Sistos und dessen ganzem Anhange -- setzte die Cardinäle in Erstaunen
und ganz besonders den Farnese, der bis jetzt gewohnt gewesen war, die Päpste
nach seinem Willen und seiner.Weise zu machen. Nach kurzer Abwesenheit
kehrten Alcssandrino und San Sisto in die Kapelle zurück. "Nicht mehr um
Verlesung von Bullen handelt es sich jetzt," rief Alessandrino mit lauter Stimme,
"der Papst ist gemacht!" Bei diesem Losungsworte erhoben sich alle im Ein¬
verständnisse befindlichen Cardinäle, traten vor Montalto hin und küßten seine
Hand, zum Zeichen ihres Glückwunsches.

Montalto war Papst! Aber noch schwebte sein Glück auf der feinen Linie
zwischen Hoffnung und Wirklichkeit. Die Wahl konnte noch bestritten werden
-- das Scrutinium fehlte noch. Mit demüthig ergebener, fast weinerlicher
Miene, als ob ihm ein Mißgeschick widerführe, nahm er die Glückwünsche auf.
Doch dem Farnese waren endlich die Augen vollständig aufgegangen. Er ge¬
bot, daß jeder sich aus seinen Platz begäbe, und daß das Scrutinium vor¬
genommen werde. Montalto blieb noch immer derselbe, aber ein erster ver-
rätherischer Strahl schoß unter der Decke hervor, mit der er bis jetzt seine
Herrschbegier verhüllt hatte. Er flüsterte dem neben ihm sitzenden San Sisto
die Worte zu: Monstgnore, tragen Sie darauf an, daß das Scrutinium geschehe
ohne jedes Präjudiz der Adoration. San Sisto traute kaum seinen Ohren,
als er einen Cardinal, der sich bis jetzt so unwissend in allen Dingen und so
widerwillig gegen seine Erhebung gezeigt hatte, aus einmal so erfahren und
gewiegt -- und zwar in einem der zartesten Punkte des Wahlceremoniels --
und plötzlich so begierig sah, die Macht in Händen zu behalten. Nichtsdesto¬
weniger kam er dem Wunsche nach. Doch noch ganz andere Wunderdinge
waren diesem Conclave vorbehalten; von hier ab bis zum Schlüsse desselben
sollten die Freunde und Begünstiger Montaltos aus einer Ueberraschung in
die andre, aus einem Verdruß in den andern fallen.

Das Scrutinium begann. In dem Maße, als sich beim Oeffnen der


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gleichen Versicherungen von Seiten Riarios und Guastavillanoö, vollendeten
San Sistos Rathlosigkeit. Er vergaß sein dem Farnese gegebenes Wort, seine
eigne Hoffnung, eine seiner Creaturen zum Papste zu machen, seine Pflichten
als mächtiges Parteihaupt — seine ganze unter der Regierung seines Oheims
erworbene Praris. Er berief seine Anhänger zu sich heraus, eröffnete ihnen,
daß es sich jetzt darum handle, Montalto zum Papste zu machen, und daß er
ihre Meinung darüber anhören wolle. Die sieben schon für Montalto Ge¬
wonnenen ergriffen zuerst das Wort in lebhaft zustimmender Weise. Ihre
Rede, und San Sistos Schwanken benahmen den andern den Muth, ihre An¬
sichten frei zu äußern; sie erklärten, daß San Sistos Meinung und Beschlüsse
auch die ihrigen sein würden.

Das Verlassen der Kapelle — zuerst von Seiten Alessandrinos und dann
San Sistos und dessen ganzem Anhange — setzte die Cardinäle in Erstaunen
und ganz besonders den Farnese, der bis jetzt gewohnt gewesen war, die Päpste
nach seinem Willen und seiner.Weise zu machen. Nach kurzer Abwesenheit
kehrten Alcssandrino und San Sisto in die Kapelle zurück. „Nicht mehr um
Verlesung von Bullen handelt es sich jetzt," rief Alessandrino mit lauter Stimme,
„der Papst ist gemacht!" Bei diesem Losungsworte erhoben sich alle im Ein¬
verständnisse befindlichen Cardinäle, traten vor Montalto hin und küßten seine
Hand, zum Zeichen ihres Glückwunsches.

Montalto war Papst! Aber noch schwebte sein Glück auf der feinen Linie
zwischen Hoffnung und Wirklichkeit. Die Wahl konnte noch bestritten werden
— das Scrutinium fehlte noch. Mit demüthig ergebener, fast weinerlicher
Miene, als ob ihm ein Mißgeschick widerführe, nahm er die Glückwünsche auf.
Doch dem Farnese waren endlich die Augen vollständig aufgegangen. Er ge¬
bot, daß jeder sich aus seinen Platz begäbe, und daß das Scrutinium vor¬
genommen werde. Montalto blieb noch immer derselbe, aber ein erster ver-
rätherischer Strahl schoß unter der Decke hervor, mit der er bis jetzt seine
Herrschbegier verhüllt hatte. Er flüsterte dem neben ihm sitzenden San Sisto
die Worte zu: Monstgnore, tragen Sie darauf an, daß das Scrutinium geschehe
ohne jedes Präjudiz der Adoration. San Sisto traute kaum seinen Ohren,
als er einen Cardinal, der sich bis jetzt so unwissend in allen Dingen und so
widerwillig gegen seine Erhebung gezeigt hatte, aus einmal so erfahren und
gewiegt — und zwar in einem der zartesten Punkte des Wahlceremoniels —
und plötzlich so begierig sah, die Macht in Händen zu behalten. Nichtsdesto¬
weniger kam er dem Wunsche nach. Doch noch ganz andere Wunderdinge
waren diesem Conclave vorbehalten; von hier ab bis zum Schlüsse desselben
sollten die Freunde und Begünstiger Montaltos aus einer Ueberraschung in
die andre, aus einem Verdruß in den andern fallen.

Das Scrutinium begann. In dem Maße, als sich beim Oeffnen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/307>, abgerufen am 23.07.2024.