Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinnengenuß und raffinirte Bildung des absterbenden Heidenthums, rohe
Heldenkraft germanischer Seekönige, dazwischen die begeisterte Resignation einer
jungen Christengemeinde. Die Heiden beginnen ein Fest zu Ehren der Aphrodite,
unter ihnen Phalanthos; weintrunken stürmen sie in den Tempel der Göttin
und feiern dort eine Orgie; ihr Bachanal wird unterbrochen durch die Schreckens¬
nachricht, daß die fremden Barbaren nicht von der Insel verjagt sind, sondern
siegreich landen. In einer Felsengrotte singt unterdeß ein Christenchor fromme
Hvmnen; bei ihm ist Theano, die Schwester Phalanths, eine edle, noch
zweifelnde Jungfrau. Ein Haufe Trabanten naht, um die Christen einzufangen,
denn Phalanth hat im Taumel beschlossen, sie zu einem lustigen Circusgefecht
zu verwenden. Die Christen wissen nichts zu thun, als betend zu sterben.
Theano ruft uach einem Manne -- ihrem Ruf antwortet der Sachsenherzog
Harald, welcher mit seiner Schar soeben gelandet ist,, imponirende Begegnung,
zarte Annäherung. Er verjagt mühelos die Soldaten des Phalanth, läßt den
Christcnhaufen zum Schutz auf seine Schiffe bringen und entläßt in ritterlicher
Bewegung Theano nach der Stadt. -- Hier schon wird der Leser ein anspruchs¬
loses Bedenken nicht unterdrücken. Die Heldin Theano ist die Schwester
Phalanths und süddeutsch zu reden: kaiserliche Beamtenschwester. Hat sie so
wenig Einfluß auf den Bruder, daß sie ihre Freunde, die Christen, gar nicht
zu schützen vermag? und kann sie, die Griechin, die züchtige Jungfrau, die Ge¬
fährdeten sofort dem eindringenden Barbaren, dem Todfeind ihres Landes und
ihres Bruders, zum freundlichen Schutz empfehlen? Wenn sie aber ihrem Bruder
so wenig traut, wie ist dann das Folgende möglich? -- Sachsenkrieger erstür¬
men die Stadt, Phalanth, in der Citadelle eingeschlossen, ersinnt eine tückische
List, er erklärt seiner Schwester, nach Andeutungen, die er über ihr und Haralds
Zusammentreffen erhalten hat, sie müsse, um sich und ihn zu retten, den Bar-
barcnherzog heirathen. Theano gesteht ihm, daß das auch ihr Wunsch sei,
schlüpft bei Nacht herunter in die eroberte Stadt, trifft dort den Herzog Harald
und verlobt sich mit ihm. Er soll am Morgen ohne Waffen, allein auf die
Citadelle kommen, die Braut abzuholen. Trotz böser Prophezeiungen eines
alten Waffengenossen geht Harald am Morgen allein, ohne Waffen auf die
Citadelle. -- Sollten in diesem Theil der Erzählung nicht wieder zahlreiche
Unwahrscheinlichkciten sein? Daß Theano der Griechenlist des Bruders so
schnell glaubt, daß sie bei Nacht ohne Schutz in die eroberte Stadt, zu dem
fremden Manne schleicht, und daß dieser ein so großer Thor ist, in solcher Weise
zu seinen Feinden zu gehen? Sehr bedenklich! -- In der Burg wird Theano ein¬
gesperrt, Phaläne empfängt den ankommenden Harald und sucht, ihn durch einen
Becher Wein zu vergiften, Harald aber merkt die Tücke und erschlägt den schlechten
Mann sofort, kämpft heldenmüthig gegen die Griechen und wird in dem Augen¬
blick getödtet, wo die vor einem Ueberfall gewärmten Sachsen das Thor der Burg


Sinnengenuß und raffinirte Bildung des absterbenden Heidenthums, rohe
Heldenkraft germanischer Seekönige, dazwischen die begeisterte Resignation einer
jungen Christengemeinde. Die Heiden beginnen ein Fest zu Ehren der Aphrodite,
unter ihnen Phalanthos; weintrunken stürmen sie in den Tempel der Göttin
und feiern dort eine Orgie; ihr Bachanal wird unterbrochen durch die Schreckens¬
nachricht, daß die fremden Barbaren nicht von der Insel verjagt sind, sondern
siegreich landen. In einer Felsengrotte singt unterdeß ein Christenchor fromme
Hvmnen; bei ihm ist Theano, die Schwester Phalanths, eine edle, noch
zweifelnde Jungfrau. Ein Haufe Trabanten naht, um die Christen einzufangen,
denn Phalanth hat im Taumel beschlossen, sie zu einem lustigen Circusgefecht
zu verwenden. Die Christen wissen nichts zu thun, als betend zu sterben.
Theano ruft uach einem Manne — ihrem Ruf antwortet der Sachsenherzog
Harald, welcher mit seiner Schar soeben gelandet ist,, imponirende Begegnung,
zarte Annäherung. Er verjagt mühelos die Soldaten des Phalanth, läßt den
Christcnhaufen zum Schutz auf seine Schiffe bringen und entläßt in ritterlicher
Bewegung Theano nach der Stadt. — Hier schon wird der Leser ein anspruchs¬
loses Bedenken nicht unterdrücken. Die Heldin Theano ist die Schwester
Phalanths und süddeutsch zu reden: kaiserliche Beamtenschwester. Hat sie so
wenig Einfluß auf den Bruder, daß sie ihre Freunde, die Christen, gar nicht
zu schützen vermag? und kann sie, die Griechin, die züchtige Jungfrau, die Ge¬
fährdeten sofort dem eindringenden Barbaren, dem Todfeind ihres Landes und
ihres Bruders, zum freundlichen Schutz empfehlen? Wenn sie aber ihrem Bruder
so wenig traut, wie ist dann das Folgende möglich? — Sachsenkrieger erstür¬
men die Stadt, Phalanth, in der Citadelle eingeschlossen, ersinnt eine tückische
List, er erklärt seiner Schwester, nach Andeutungen, die er über ihr und Haralds
Zusammentreffen erhalten hat, sie müsse, um sich und ihn zu retten, den Bar-
barcnherzog heirathen. Theano gesteht ihm, daß das auch ihr Wunsch sei,
schlüpft bei Nacht herunter in die eroberte Stadt, trifft dort den Herzog Harald
und verlobt sich mit ihm. Er soll am Morgen ohne Waffen, allein auf die
Citadelle kommen, die Braut abzuholen. Trotz böser Prophezeiungen eines
alten Waffengenossen geht Harald am Morgen allein, ohne Waffen auf die
Citadelle. — Sollten in diesem Theil der Erzählung nicht wieder zahlreiche
Unwahrscheinlichkciten sein? Daß Theano der Griechenlist des Bruders so
schnell glaubt, daß sie bei Nacht ohne Schutz in die eroberte Stadt, zu dem
fremden Manne schleicht, und daß dieser ein so großer Thor ist, in solcher Weise
zu seinen Feinden zu gehen? Sehr bedenklich! — In der Burg wird Theano ein¬
gesperrt, Phaläne empfängt den ankommenden Harald und sucht, ihn durch einen
Becher Wein zu vergiften, Harald aber merkt die Tücke und erschlägt den schlechten
Mann sofort, kämpft heldenmüthig gegen die Griechen und wird in dem Augen¬
blick getödtet, wo die vor einem Ueberfall gewärmten Sachsen das Thor der Burg


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101287"/>
            <p xml:id="ID_880" prev="#ID_879" next="#ID_881"> Sinnengenuß und raffinirte Bildung des absterbenden Heidenthums, rohe<lb/>
Heldenkraft germanischer Seekönige, dazwischen die begeisterte Resignation einer<lb/>
jungen Christengemeinde. Die Heiden beginnen ein Fest zu Ehren der Aphrodite,<lb/>
unter ihnen Phalanthos; weintrunken stürmen sie in den Tempel der Göttin<lb/>
und feiern dort eine Orgie; ihr Bachanal wird unterbrochen durch die Schreckens¬<lb/>
nachricht, daß die fremden Barbaren nicht von der Insel verjagt sind, sondern<lb/>
siegreich landen. In einer Felsengrotte singt unterdeß ein Christenchor fromme<lb/>
Hvmnen; bei ihm ist Theano, die Schwester Phalanths, eine edle, noch<lb/>
zweifelnde Jungfrau. Ein Haufe Trabanten naht, um die Christen einzufangen,<lb/>
denn Phalanth hat im Taumel beschlossen, sie zu einem lustigen Circusgefecht<lb/>
zu verwenden. Die Christen wissen nichts zu thun, als betend zu sterben.<lb/>
Theano ruft uach einem Manne &#x2014; ihrem Ruf antwortet der Sachsenherzog<lb/>
Harald, welcher mit seiner Schar soeben gelandet ist,, imponirende Begegnung,<lb/>
zarte Annäherung. Er verjagt mühelos die Soldaten des Phalanth, läßt den<lb/>
Christcnhaufen zum Schutz auf seine Schiffe bringen und entläßt in ritterlicher<lb/>
Bewegung Theano nach der Stadt. &#x2014; Hier schon wird der Leser ein anspruchs¬<lb/>
loses Bedenken nicht unterdrücken. Die Heldin Theano ist die Schwester<lb/>
Phalanths und süddeutsch zu reden: kaiserliche Beamtenschwester. Hat sie so<lb/>
wenig Einfluß auf den Bruder, daß sie ihre Freunde, die Christen, gar nicht<lb/>
zu schützen vermag? und kann sie, die Griechin, die züchtige Jungfrau, die Ge¬<lb/>
fährdeten sofort dem eindringenden Barbaren, dem Todfeind ihres Landes und<lb/>
ihres Bruders, zum freundlichen Schutz empfehlen? Wenn sie aber ihrem Bruder<lb/>
so wenig traut, wie ist dann das Folgende möglich? &#x2014; Sachsenkrieger erstür¬<lb/>
men die Stadt, Phalanth, in der Citadelle eingeschlossen, ersinnt eine tückische<lb/>
List, er erklärt seiner Schwester, nach Andeutungen, die er über ihr und Haralds<lb/>
Zusammentreffen erhalten hat, sie müsse, um sich und ihn zu retten, den Bar-<lb/>
barcnherzog heirathen. Theano gesteht ihm, daß das auch ihr Wunsch sei,<lb/>
schlüpft bei Nacht herunter in die eroberte Stadt, trifft dort den Herzog Harald<lb/>
und verlobt sich mit ihm. Er soll am Morgen ohne Waffen, allein auf die<lb/>
Citadelle kommen, die Braut abzuholen. Trotz böser Prophezeiungen eines<lb/>
alten Waffengenossen geht Harald am Morgen allein, ohne Waffen auf die<lb/>
Citadelle. &#x2014; Sollten in diesem Theil der Erzählung nicht wieder zahlreiche<lb/>
Unwahrscheinlichkciten sein? Daß Theano der Griechenlist des Bruders so<lb/>
schnell glaubt, daß sie bei Nacht ohne Schutz in die eroberte Stadt, zu dem<lb/>
fremden Manne schleicht, und daß dieser ein so großer Thor ist, in solcher Weise<lb/>
zu seinen Feinden zu gehen? Sehr bedenklich! &#x2014; In der Burg wird Theano ein¬<lb/>
gesperrt, Phaläne empfängt den ankommenden Harald und sucht, ihn durch einen<lb/>
Becher Wein zu vergiften, Harald aber merkt die Tücke und erschlägt den schlechten<lb/>
Mann sofort, kämpft heldenmüthig gegen die Griechen und wird in dem Augen¬<lb/>
blick getödtet, wo die vor einem Ueberfall gewärmten Sachsen das Thor der Burg</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] Sinnengenuß und raffinirte Bildung des absterbenden Heidenthums, rohe Heldenkraft germanischer Seekönige, dazwischen die begeisterte Resignation einer jungen Christengemeinde. Die Heiden beginnen ein Fest zu Ehren der Aphrodite, unter ihnen Phalanthos; weintrunken stürmen sie in den Tempel der Göttin und feiern dort eine Orgie; ihr Bachanal wird unterbrochen durch die Schreckens¬ nachricht, daß die fremden Barbaren nicht von der Insel verjagt sind, sondern siegreich landen. In einer Felsengrotte singt unterdeß ein Christenchor fromme Hvmnen; bei ihm ist Theano, die Schwester Phalanths, eine edle, noch zweifelnde Jungfrau. Ein Haufe Trabanten naht, um die Christen einzufangen, denn Phalanth hat im Taumel beschlossen, sie zu einem lustigen Circusgefecht zu verwenden. Die Christen wissen nichts zu thun, als betend zu sterben. Theano ruft uach einem Manne — ihrem Ruf antwortet der Sachsenherzog Harald, welcher mit seiner Schar soeben gelandet ist,, imponirende Begegnung, zarte Annäherung. Er verjagt mühelos die Soldaten des Phalanth, läßt den Christcnhaufen zum Schutz auf seine Schiffe bringen und entläßt in ritterlicher Bewegung Theano nach der Stadt. — Hier schon wird der Leser ein anspruchs¬ loses Bedenken nicht unterdrücken. Die Heldin Theano ist die Schwester Phalanths und süddeutsch zu reden: kaiserliche Beamtenschwester. Hat sie so wenig Einfluß auf den Bruder, daß sie ihre Freunde, die Christen, gar nicht zu schützen vermag? und kann sie, die Griechin, die züchtige Jungfrau, die Ge¬ fährdeten sofort dem eindringenden Barbaren, dem Todfeind ihres Landes und ihres Bruders, zum freundlichen Schutz empfehlen? Wenn sie aber ihrem Bruder so wenig traut, wie ist dann das Folgende möglich? — Sachsenkrieger erstür¬ men die Stadt, Phalanth, in der Citadelle eingeschlossen, ersinnt eine tückische List, er erklärt seiner Schwester, nach Andeutungen, die er über ihr und Haralds Zusammentreffen erhalten hat, sie müsse, um sich und ihn zu retten, den Bar- barcnherzog heirathen. Theano gesteht ihm, daß das auch ihr Wunsch sei, schlüpft bei Nacht herunter in die eroberte Stadt, trifft dort den Herzog Harald und verlobt sich mit ihm. Er soll am Morgen ohne Waffen, allein auf die Citadelle kommen, die Braut abzuholen. Trotz böser Prophezeiungen eines alten Waffengenossen geht Harald am Morgen allein, ohne Waffen auf die Citadelle. — Sollten in diesem Theil der Erzählung nicht wieder zahlreiche Unwahrscheinlichkciten sein? Daß Theano der Griechenlist des Bruders so schnell glaubt, daß sie bei Nacht ohne Schutz in die eroberte Stadt, zu dem fremden Manne schleicht, und daß dieser ein so großer Thor ist, in solcher Weise zu seinen Feinden zu gehen? Sehr bedenklich! — In der Burg wird Theano ein¬ gesperrt, Phaläne empfängt den ankommenden Harald und sucht, ihn durch einen Becher Wein zu vergiften, Harald aber merkt die Tücke und erschlägt den schlechten Mann sofort, kämpft heldenmüthig gegen die Griechen und wird in dem Augen¬ blick getödtet, wo die vor einem Ueberfall gewärmten Sachsen das Thor der Burg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/294>, abgerufen am 23.07.2024.