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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Kaisers in eine russische Kirche umgewandelt wurde. Bemerkenswerth sind
noch die unfern der Festung gelegenen türkischen Bäder. Der früher sehr
berühmte Bazar bietet jetzt einen höchst armseligen Anblick. Seitdem die
russische Mauthlinie den Verkehr mit Ancitolien abgeschnitten hat und Achalzyk
nicht mehr der besuchte Sklavenmarkt oder der belebte Sammelplatz der Lcsghier
ist, hat die Stadt, deren Bewohner fast nur Kaufleute und Handwerker sind,
ihre frühere commercielle Bedeutung verloren. Von der frühern Bevölkerung
der einst sehr volkreichen Stadt ist seit der Besitznahme durch die Russen kaum
noch eine Spur übrig geblieben, insbesondere haben sich von den türkischen
Einwohnern alle Wohlhabenden nach der Türkei zurückgezogen, die übrigen
leben zerstreut in den Dörfern der angrenzenden SandschakS. Die jetzige
Volkszahl beträgt nach Petermann 13,300.

Die heutige Provinz Achalzyk machte im Alterthum einen Theil der
armenischen Provinz Dallas aus, welche eine der fünfzehn Provinzen war, in
die der armenische König Wagarschak im zweiten Jahrhundert n. Chr. sein
Königreich theilte, und die ihren Namen Dallas (d. i. Land der Dake) von
dem nomadischen Volk der Daler hatte, welche zur Zeit Alexander des Großen
einen großen Theil von Achalzyk, Grusien, Abchasien und Mingrelien durch¬
zogen. Die griechischen Kaiser, welche bei dem Untergange des armenischen
Königreichs ihren Einfluß auch auf dieses Land ausdehnten, waren nicht im
Stande, ihre dortige Herrschaft je recht zu befestigen, weil die armenischen
Fürsten aus der mamigoneanischen Familie, welche ausgedehnte Erbgüter im
Lande besaß, ihnen die größten Hindernisse in den Weg legten. Später kam
das Land unter die Botmäßigkeit der Könige von Georgien, welche gegen das
Ende des 11. Jahrhunderts sehr mächtig wurden und die Provinz anfangs
semo-Karthli, d. i. Ober- oder Hoch-Kartalinien, nannten. Achalzyk riß sich,
als Georgien theils durch innere Uneinigkeit, theils durch Einbrüche von
Persern und Türken sank, von demselben los und wählte eigne Fürsten.
Diese sahen sich genöthigt, zu ihrer Vertheidigung Lesghier und andere Berg¬
stämme in Sold zu nehmen, die, zufrieden mit der Erlaubniß, ungehindert die
benachbarten Provinzen zu plündern, und gelockt durch den Reichthum des
Landes, für immer darin blieben und sich fortwährend durch neue Zuzüge
vermehrten. Alle Wagehälse des Kaukasus, welche hier Schutz gegen Blut¬
rache und alle sonstigen Vortheile fanden, kamen in Haufen herbei und
bildeten endlich einen für alle umliegenden Völker furchtbaren Kriegcrstamm,
welcher sich unaufhörlich nach allen Seiten hin in Raubzügen zerstreute, die
ihren Weg durch die furchtbarsten Grausamkeiten bezeichneten, und durch die
Georgien am meisten litt. Noch heutzutage bewohnt diesen Winkel Asiens ein
durcheinandergeworfenes merkwürdiges Gewimmel der verschiedensten Volks¬
stämme, und nur die Städte tragen den rein türkischen Charakter. Besonders


Grenzboteii. I. 18sei. 35

Kaisers in eine russische Kirche umgewandelt wurde. Bemerkenswerth sind
noch die unfern der Festung gelegenen türkischen Bäder. Der früher sehr
berühmte Bazar bietet jetzt einen höchst armseligen Anblick. Seitdem die
russische Mauthlinie den Verkehr mit Ancitolien abgeschnitten hat und Achalzyk
nicht mehr der besuchte Sklavenmarkt oder der belebte Sammelplatz der Lcsghier
ist, hat die Stadt, deren Bewohner fast nur Kaufleute und Handwerker sind,
ihre frühere commercielle Bedeutung verloren. Von der frühern Bevölkerung
der einst sehr volkreichen Stadt ist seit der Besitznahme durch die Russen kaum
noch eine Spur übrig geblieben, insbesondere haben sich von den türkischen
Einwohnern alle Wohlhabenden nach der Türkei zurückgezogen, die übrigen
leben zerstreut in den Dörfern der angrenzenden SandschakS. Die jetzige
Volkszahl beträgt nach Petermann 13,300.

Die heutige Provinz Achalzyk machte im Alterthum einen Theil der
armenischen Provinz Dallas aus, welche eine der fünfzehn Provinzen war, in
die der armenische König Wagarschak im zweiten Jahrhundert n. Chr. sein
Königreich theilte, und die ihren Namen Dallas (d. i. Land der Dake) von
dem nomadischen Volk der Daler hatte, welche zur Zeit Alexander des Großen
einen großen Theil von Achalzyk, Grusien, Abchasien und Mingrelien durch¬
zogen. Die griechischen Kaiser, welche bei dem Untergange des armenischen
Königreichs ihren Einfluß auch auf dieses Land ausdehnten, waren nicht im
Stande, ihre dortige Herrschaft je recht zu befestigen, weil die armenischen
Fürsten aus der mamigoneanischen Familie, welche ausgedehnte Erbgüter im
Lande besaß, ihnen die größten Hindernisse in den Weg legten. Später kam
das Land unter die Botmäßigkeit der Könige von Georgien, welche gegen das
Ende des 11. Jahrhunderts sehr mächtig wurden und die Provinz anfangs
semo-Karthli, d. i. Ober- oder Hoch-Kartalinien, nannten. Achalzyk riß sich,
als Georgien theils durch innere Uneinigkeit, theils durch Einbrüche von
Persern und Türken sank, von demselben los und wählte eigne Fürsten.
Diese sahen sich genöthigt, zu ihrer Vertheidigung Lesghier und andere Berg¬
stämme in Sold zu nehmen, die, zufrieden mit der Erlaubniß, ungehindert die
benachbarten Provinzen zu plündern, und gelockt durch den Reichthum des
Landes, für immer darin blieben und sich fortwährend durch neue Zuzüge
vermehrten. Alle Wagehälse des Kaukasus, welche hier Schutz gegen Blut¬
rache und alle sonstigen Vortheile fanden, kamen in Haufen herbei und
bildeten endlich einen für alle umliegenden Völker furchtbaren Kriegcrstamm,
welcher sich unaufhörlich nach allen Seiten hin in Raubzügen zerstreute, die
ihren Weg durch die furchtbarsten Grausamkeiten bezeichneten, und durch die
Georgien am meisten litt. Noch heutzutage bewohnt diesen Winkel Asiens ein
durcheinandergeworfenes merkwürdiges Gewimmel der verschiedensten Volks¬
stämme, und nur die Städte tragen den rein türkischen Charakter. Besonders


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[0281] Kaisers in eine russische Kirche umgewandelt wurde. Bemerkenswerth sind noch die unfern der Festung gelegenen türkischen Bäder. Der früher sehr berühmte Bazar bietet jetzt einen höchst armseligen Anblick. Seitdem die russische Mauthlinie den Verkehr mit Ancitolien abgeschnitten hat und Achalzyk nicht mehr der besuchte Sklavenmarkt oder der belebte Sammelplatz der Lcsghier ist, hat die Stadt, deren Bewohner fast nur Kaufleute und Handwerker sind, ihre frühere commercielle Bedeutung verloren. Von der frühern Bevölkerung der einst sehr volkreichen Stadt ist seit der Besitznahme durch die Russen kaum noch eine Spur übrig geblieben, insbesondere haben sich von den türkischen Einwohnern alle Wohlhabenden nach der Türkei zurückgezogen, die übrigen leben zerstreut in den Dörfern der angrenzenden SandschakS. Die jetzige Volkszahl beträgt nach Petermann 13,300. Die heutige Provinz Achalzyk machte im Alterthum einen Theil der armenischen Provinz Dallas aus, welche eine der fünfzehn Provinzen war, in die der armenische König Wagarschak im zweiten Jahrhundert n. Chr. sein Königreich theilte, und die ihren Namen Dallas (d. i. Land der Dake) von dem nomadischen Volk der Daler hatte, welche zur Zeit Alexander des Großen einen großen Theil von Achalzyk, Grusien, Abchasien und Mingrelien durch¬ zogen. Die griechischen Kaiser, welche bei dem Untergange des armenischen Königreichs ihren Einfluß auch auf dieses Land ausdehnten, waren nicht im Stande, ihre dortige Herrschaft je recht zu befestigen, weil die armenischen Fürsten aus der mamigoneanischen Familie, welche ausgedehnte Erbgüter im Lande besaß, ihnen die größten Hindernisse in den Weg legten. Später kam das Land unter die Botmäßigkeit der Könige von Georgien, welche gegen das Ende des 11. Jahrhunderts sehr mächtig wurden und die Provinz anfangs semo-Karthli, d. i. Ober- oder Hoch-Kartalinien, nannten. Achalzyk riß sich, als Georgien theils durch innere Uneinigkeit, theils durch Einbrüche von Persern und Türken sank, von demselben los und wählte eigne Fürsten. Diese sahen sich genöthigt, zu ihrer Vertheidigung Lesghier und andere Berg¬ stämme in Sold zu nehmen, die, zufrieden mit der Erlaubniß, ungehindert die benachbarten Provinzen zu plündern, und gelockt durch den Reichthum des Landes, für immer darin blieben und sich fortwährend durch neue Zuzüge vermehrten. Alle Wagehälse des Kaukasus, welche hier Schutz gegen Blut¬ rache und alle sonstigen Vortheile fanden, kamen in Haufen herbei und bildeten endlich einen für alle umliegenden Völker furchtbaren Kriegcrstamm, welcher sich unaufhörlich nach allen Seiten hin in Raubzügen zerstreute, die ihren Weg durch die furchtbarsten Grausamkeiten bezeichneten, und durch die Georgien am meisten litt. Noch heutzutage bewohnt diesen Winkel Asiens ein durcheinandergeworfenes merkwürdiges Gewimmel der verschiedensten Volks¬ stämme, und nur die Städte tragen den rein türkischen Charakter. Besonders Grenzboteii. I. 18sei. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/281>, abgerufen am 23.07.2024.