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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Zeit mit vollem Herzen daran mitwirken, diejenige heilige Grenzscheide zu ver¬
theidigen, welche verrücken zu wollen er neulich mitwirkte." --

Wir haben Gründe, die Sache einigermaßen anders anzusehen. Die
Nordschleswiger sind in den Hoffnungen, welche jene Propaganda erweckte,
getäuscht morden. Sie haben erfahren, daß sie sich selbst besiegen halfen. Sie
wissen, daß eS nur ein Sieg Kopenhagens war, der erfochten wurde, und sie
bedauern jetzt, dazu mitgewirkt zu haben.

Die aus Dänemark herübergekommenen, mit den Sitten und dem Charakter
deS Volks, mit dem Recht und Gesetz und mit allen Einrichtungen und Ver¬
hältnissen nicht bekannten weltlichen und geistlichen Beamten, so wie die von
der Regierung getroffenen neuen Einrichtungen, namentlich die Aufhebung des
bis 1830 gegebenen deutschen Unterrichts in den Schulen (in drei wöchent¬
lichen Stunden), die Einführung des dänischen Zolltarifs, die Branntweinsteuer
und endlich die dänische Reichsmünze, früher schon das Rechnen nach dieser
zu andern Münzsystemen gar nicht passenden Münze -- dies alles hat wesent¬
lich zur Abkühlung und Ernüchterung der unnützerweise von den Demagogen
erhitzten Gemüther beigetragen. Der Mangel an Vertrauen zu den jetzigen
Beamten geht so weit, daß selbst enragirte Dänenfreunde unter den Bauern
nördlich von Tondern sich bei Schleswig-holsteinischen Juristen zum voraus
Auskunft darüber geben lassen, wie ein einfacher UeberlassungScontract, eine
letztwillige Verfügung u. tgi. in. nach Form und Inhalt einzurichten, weil sie
Zweifel darin setzen, daß ihre Beamten eS recht zu machen verstehen. Das ist
freilich nicht allein in den sogenannten dänischen Districten der Fall und ich
führe eS, was diese betrifft, nur zum Beweise der obigen Behauptung an.
In der Stadt Tondern, die mit Schleswig um den Ruhm der besten deutschen
Gesinnung streitet, sind solcher Fälle viele vorgekommen, ja, man hat sogar
einen abgesetzten Beamten während seiner kurzen Anwesenheit daselbst aufgesucht
und ihn über die Giltigkeit eines vom Magistrat solennistrten, höchst einfachen
wechselseitigen Testaments zweier Eheleute befragt.

Was den Unterricht im Deutschen in den Schulen mit dänischer' Schul¬
sprache betrifft, so wurde derselbe, wenigstens in vielen Schulen, vor 1840 fast
täglich ertheilt, so daß die befähigteren Kinder in den besseren Schulen, z. B
Stübbeck bei Apenrade, recht gut deutsch lesen und schreiben lernten, durch
das Sprachrescript von 1840 ward derselbe aber auf drei Stunden wöchentlich
beschränkt. Indessen lernten die Kinder doch noch deutsch. Das hörte aber
1830 auf, indem der deutsche Unterricht in den dänischen Schulen ganz unter¬
sagt wurde. Die dänisch redende Bevölkerung nahm diese Maßregel an den meisten
Orten mit demselben Mißfallen auf als die deutsch redende, und ich kenne
eine Aeußerung eines früher sehr dänisch gesinnten Bauern in der Schlurharde,
daß die Entziehung des deutschen Unterrichts sehr schlimm wäre; in seinen


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Zeit mit vollem Herzen daran mitwirken, diejenige heilige Grenzscheide zu ver¬
theidigen, welche verrücken zu wollen er neulich mitwirkte." —

Wir haben Gründe, die Sache einigermaßen anders anzusehen. Die
Nordschleswiger sind in den Hoffnungen, welche jene Propaganda erweckte,
getäuscht morden. Sie haben erfahren, daß sie sich selbst besiegen halfen. Sie
wissen, daß eS nur ein Sieg Kopenhagens war, der erfochten wurde, und sie
bedauern jetzt, dazu mitgewirkt zu haben.

Die aus Dänemark herübergekommenen, mit den Sitten und dem Charakter
deS Volks, mit dem Recht und Gesetz und mit allen Einrichtungen und Ver¬
hältnissen nicht bekannten weltlichen und geistlichen Beamten, so wie die von
der Regierung getroffenen neuen Einrichtungen, namentlich die Aufhebung des
bis 1830 gegebenen deutschen Unterrichts in den Schulen (in drei wöchent¬
lichen Stunden), die Einführung des dänischen Zolltarifs, die Branntweinsteuer
und endlich die dänische Reichsmünze, früher schon das Rechnen nach dieser
zu andern Münzsystemen gar nicht passenden Münze — dies alles hat wesent¬
lich zur Abkühlung und Ernüchterung der unnützerweise von den Demagogen
erhitzten Gemüther beigetragen. Der Mangel an Vertrauen zu den jetzigen
Beamten geht so weit, daß selbst enragirte Dänenfreunde unter den Bauern
nördlich von Tondern sich bei Schleswig-holsteinischen Juristen zum voraus
Auskunft darüber geben lassen, wie ein einfacher UeberlassungScontract, eine
letztwillige Verfügung u. tgi. in. nach Form und Inhalt einzurichten, weil sie
Zweifel darin setzen, daß ihre Beamten eS recht zu machen verstehen. Das ist
freilich nicht allein in den sogenannten dänischen Districten der Fall und ich
führe eS, was diese betrifft, nur zum Beweise der obigen Behauptung an.
In der Stadt Tondern, die mit Schleswig um den Ruhm der besten deutschen
Gesinnung streitet, sind solcher Fälle viele vorgekommen, ja, man hat sogar
einen abgesetzten Beamten während seiner kurzen Anwesenheit daselbst aufgesucht
und ihn über die Giltigkeit eines vom Magistrat solennistrten, höchst einfachen
wechselseitigen Testaments zweier Eheleute befragt.

Was den Unterricht im Deutschen in den Schulen mit dänischer' Schul¬
sprache betrifft, so wurde derselbe, wenigstens in vielen Schulen, vor 1840 fast
täglich ertheilt, so daß die befähigteren Kinder in den besseren Schulen, z. B
Stübbeck bei Apenrade, recht gut deutsch lesen und schreiben lernten, durch
das Sprachrescript von 1840 ward derselbe aber auf drei Stunden wöchentlich
beschränkt. Indessen lernten die Kinder doch noch deutsch. Das hörte aber
1830 auf, indem der deutsche Unterricht in den dänischen Schulen ganz unter¬
sagt wurde. Die dänisch redende Bevölkerung nahm diese Maßregel an den meisten
Orten mit demselben Mißfallen auf als die deutsch redende, und ich kenne
eine Aeußerung eines früher sehr dänisch gesinnten Bauern in der Schlurharde,
daß die Entziehung des deutschen Unterrichts sehr schlimm wäre; in seinen


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[0275] Zeit mit vollem Herzen daran mitwirken, diejenige heilige Grenzscheide zu ver¬ theidigen, welche verrücken zu wollen er neulich mitwirkte." — Wir haben Gründe, die Sache einigermaßen anders anzusehen. Die Nordschleswiger sind in den Hoffnungen, welche jene Propaganda erweckte, getäuscht morden. Sie haben erfahren, daß sie sich selbst besiegen halfen. Sie wissen, daß eS nur ein Sieg Kopenhagens war, der erfochten wurde, und sie bedauern jetzt, dazu mitgewirkt zu haben. Die aus Dänemark herübergekommenen, mit den Sitten und dem Charakter deS Volks, mit dem Recht und Gesetz und mit allen Einrichtungen und Ver¬ hältnissen nicht bekannten weltlichen und geistlichen Beamten, so wie die von der Regierung getroffenen neuen Einrichtungen, namentlich die Aufhebung des bis 1830 gegebenen deutschen Unterrichts in den Schulen (in drei wöchent¬ lichen Stunden), die Einführung des dänischen Zolltarifs, die Branntweinsteuer und endlich die dänische Reichsmünze, früher schon das Rechnen nach dieser zu andern Münzsystemen gar nicht passenden Münze — dies alles hat wesent¬ lich zur Abkühlung und Ernüchterung der unnützerweise von den Demagogen erhitzten Gemüther beigetragen. Der Mangel an Vertrauen zu den jetzigen Beamten geht so weit, daß selbst enragirte Dänenfreunde unter den Bauern nördlich von Tondern sich bei Schleswig-holsteinischen Juristen zum voraus Auskunft darüber geben lassen, wie ein einfacher UeberlassungScontract, eine letztwillige Verfügung u. tgi. in. nach Form und Inhalt einzurichten, weil sie Zweifel darin setzen, daß ihre Beamten eS recht zu machen verstehen. Das ist freilich nicht allein in den sogenannten dänischen Districten der Fall und ich führe eS, was diese betrifft, nur zum Beweise der obigen Behauptung an. In der Stadt Tondern, die mit Schleswig um den Ruhm der besten deutschen Gesinnung streitet, sind solcher Fälle viele vorgekommen, ja, man hat sogar einen abgesetzten Beamten während seiner kurzen Anwesenheit daselbst aufgesucht und ihn über die Giltigkeit eines vom Magistrat solennistrten, höchst einfachen wechselseitigen Testaments zweier Eheleute befragt. Was den Unterricht im Deutschen in den Schulen mit dänischer' Schul¬ sprache betrifft, so wurde derselbe, wenigstens in vielen Schulen, vor 1840 fast täglich ertheilt, so daß die befähigteren Kinder in den besseren Schulen, z. B Stübbeck bei Apenrade, recht gut deutsch lesen und schreiben lernten, durch das Sprachrescript von 1840 ward derselbe aber auf drei Stunden wöchentlich beschränkt. Indessen lernten die Kinder doch noch deutsch. Das hörte aber 1830 auf, indem der deutsche Unterricht in den dänischen Schulen ganz unter¬ sagt wurde. Die dänisch redende Bevölkerung nahm diese Maßregel an den meisten Orten mit demselben Mißfallen auf als die deutsch redende, und ich kenne eine Aeußerung eines früher sehr dänisch gesinnten Bauern in der Schlurharde, daß die Entziehung des deutschen Unterrichts sehr schlimm wäre; in seinen 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/275>, abgerufen am 23.07.2024.