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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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fassung. Daß der dänische Reichstag es hat erdulden können, sich dergestalt
verhöhnen zu lassen, das zu begreifen, wird einem dänischen Manne schwer.
Als der König den 8. Juni -1849 das dänische Grundgesetz unterzeichnete, da
war das nicht ein Provinzialgesetz, welches er einem begünstigten Theil seines
Reiches gab, sondern er gab es seinem ganzen Reiche, dem Reiche Dänemark,
und damit unterzeichnete er ebenso vollständig die Freiheit Schleswigs, wie
die Jütlands oder Seelands. Dieses königliche Versprechen der Freiheit
Schleswigs ist nicht eingelöst; Karl Moltke warf es durch seine Verfassung
über den Haufen. Man wartete jetzt nur darauf, daß er selbst seine Rolle zu
Ende spielen, und daß ein neues, nationales und ehrliches Ministerium das
Königswort einlösen werde; man hoffte, daß die materielle Bedingung der
Verbindung Schleswigs mit dem übrigen Dänemark, gemeinschaftliche
Volksverfassung, gegeben und damit daS Königswort eingelöst werden
würde. Durch dänische, mit dem Mutterlande gemeinsame Institutionen, hoffte
man damals, werde das hinsiechende Nationalgefühl wieder erwachen. Darum
wurde die Königsthat vom 3. December*) von jedem dänischen Manne in
Schleswig mit Jubel begrüßt, die Brust athmete wieder freier, eine gesegnete
Frühjahrsluft strömte uns entgegen mit Freudigkeit, mit Hoffnung, mit Dank¬
barkeit -- aber wir haben nichts erhallen, wofür zu danken wäre.

Ranslöfs**) Ministerium ist ein stillstehendes. Wir bemerken nicht, daß
er etwas ausrichtet, sei es in der einen oder andern Richtung: -- nein, es ist
doch wahr, der Krieg gegen die Blätter setzt eine Wirksamkeit voraus, eine
doppelte Wirksamkeit, denn erst ergehen die Ordres zur Beschlagnahme und
Blättervisitation, und demnächst -- werden sie wieder zurückgenommen; doch
davon bei einer andern Gelegenheit. Unter Ranslöfs Auspicien wird es den
Schleswigern vergönnt -- ihre Verfassung zu behalten: es hat in der That
den Anschein, daß er auch seinen Namen auf diesen Karl Moltkeschen Bundes¬
stein eingegraben haben will, und mittlerweile schickt der dänische Reichstag
sich an, durch Annahme des GesammtstaatSverfassungsentwurfs dem Werke
Karl Moltkes die Krone aufzusetzen, des Königs Wort uneingelöst zu lassen,
und Schleswig über Bord zu warfen, damit alles Dänenthum südlich der
Königsau in dem Morast der "Verfassung" erstickt werde.

Doch der dänische Reichstag hat den Gesammtstaatsverfassungsentwurf
noch nicht angenommen***), an diesen Gedanken muß Schleswig sich klammern,
wie der Schiffbrüchige an die letzte Planke, ja -- die letzte! Es ist nur wenig
Hoffnung vorhanden, daß Schleswig jetzt von dem ihm durch deutsche Despotie
bereiteten Untergange erlöst werde. Aber einen tiefen, tiefen Seufzer stößt





*) Nämlich die Entlassung des Ministers K. Moltke.
*") K. Moltkes Nachfolger im Ministerium.
) Er hat ihn bekanutltch seitdem augenommen.
Grenzboten. I. 18S6. , Zj

fassung. Daß der dänische Reichstag es hat erdulden können, sich dergestalt
verhöhnen zu lassen, das zu begreifen, wird einem dänischen Manne schwer.
Als der König den 8. Juni -1849 das dänische Grundgesetz unterzeichnete, da
war das nicht ein Provinzialgesetz, welches er einem begünstigten Theil seines
Reiches gab, sondern er gab es seinem ganzen Reiche, dem Reiche Dänemark,
und damit unterzeichnete er ebenso vollständig die Freiheit Schleswigs, wie
die Jütlands oder Seelands. Dieses königliche Versprechen der Freiheit
Schleswigs ist nicht eingelöst; Karl Moltke warf es durch seine Verfassung
über den Haufen. Man wartete jetzt nur darauf, daß er selbst seine Rolle zu
Ende spielen, und daß ein neues, nationales und ehrliches Ministerium das
Königswort einlösen werde; man hoffte, daß die materielle Bedingung der
Verbindung Schleswigs mit dem übrigen Dänemark, gemeinschaftliche
Volksverfassung, gegeben und damit daS Königswort eingelöst werden
würde. Durch dänische, mit dem Mutterlande gemeinsame Institutionen, hoffte
man damals, werde das hinsiechende Nationalgefühl wieder erwachen. Darum
wurde die Königsthat vom 3. December*) von jedem dänischen Manne in
Schleswig mit Jubel begrüßt, die Brust athmete wieder freier, eine gesegnete
Frühjahrsluft strömte uns entgegen mit Freudigkeit, mit Hoffnung, mit Dank¬
barkeit — aber wir haben nichts erhallen, wofür zu danken wäre.

Ranslöfs**) Ministerium ist ein stillstehendes. Wir bemerken nicht, daß
er etwas ausrichtet, sei es in der einen oder andern Richtung: — nein, es ist
doch wahr, der Krieg gegen die Blätter setzt eine Wirksamkeit voraus, eine
doppelte Wirksamkeit, denn erst ergehen die Ordres zur Beschlagnahme und
Blättervisitation, und demnächst — werden sie wieder zurückgenommen; doch
davon bei einer andern Gelegenheit. Unter Ranslöfs Auspicien wird es den
Schleswigern vergönnt — ihre Verfassung zu behalten: es hat in der That
den Anschein, daß er auch seinen Namen auf diesen Karl Moltkeschen Bundes¬
stein eingegraben haben will, und mittlerweile schickt der dänische Reichstag
sich an, durch Annahme des GesammtstaatSverfassungsentwurfs dem Werke
Karl Moltkes die Krone aufzusetzen, des Königs Wort uneingelöst zu lassen,
und Schleswig über Bord zu warfen, damit alles Dänenthum südlich der
Königsau in dem Morast der „Verfassung" erstickt werde.

Doch der dänische Reichstag hat den Gesammtstaatsverfassungsentwurf
noch nicht angenommen***), an diesen Gedanken muß Schleswig sich klammern,
wie der Schiffbrüchige an die letzte Planke, ja — die letzte! Es ist nur wenig
Hoffnung vorhanden, daß Schleswig jetzt von dem ihm durch deutsche Despotie
bereiteten Untergange erlöst werde. Aber einen tiefen, tiefen Seufzer stößt





*) Nämlich die Entlassung des Ministers K. Moltke.
*») K. Moltkes Nachfolger im Ministerium.
) Er hat ihn bekanutltch seitdem augenommen.
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[0273] fassung. Daß der dänische Reichstag es hat erdulden können, sich dergestalt verhöhnen zu lassen, das zu begreifen, wird einem dänischen Manne schwer. Als der König den 8. Juni -1849 das dänische Grundgesetz unterzeichnete, da war das nicht ein Provinzialgesetz, welches er einem begünstigten Theil seines Reiches gab, sondern er gab es seinem ganzen Reiche, dem Reiche Dänemark, und damit unterzeichnete er ebenso vollständig die Freiheit Schleswigs, wie die Jütlands oder Seelands. Dieses königliche Versprechen der Freiheit Schleswigs ist nicht eingelöst; Karl Moltke warf es durch seine Verfassung über den Haufen. Man wartete jetzt nur darauf, daß er selbst seine Rolle zu Ende spielen, und daß ein neues, nationales und ehrliches Ministerium das Königswort einlösen werde; man hoffte, daß die materielle Bedingung der Verbindung Schleswigs mit dem übrigen Dänemark, gemeinschaftliche Volksverfassung, gegeben und damit daS Königswort eingelöst werden würde. Durch dänische, mit dem Mutterlande gemeinsame Institutionen, hoffte man damals, werde das hinsiechende Nationalgefühl wieder erwachen. Darum wurde die Königsthat vom 3. December*) von jedem dänischen Manne in Schleswig mit Jubel begrüßt, die Brust athmete wieder freier, eine gesegnete Frühjahrsluft strömte uns entgegen mit Freudigkeit, mit Hoffnung, mit Dank¬ barkeit — aber wir haben nichts erhallen, wofür zu danken wäre. Ranslöfs**) Ministerium ist ein stillstehendes. Wir bemerken nicht, daß er etwas ausrichtet, sei es in der einen oder andern Richtung: — nein, es ist doch wahr, der Krieg gegen die Blätter setzt eine Wirksamkeit voraus, eine doppelte Wirksamkeit, denn erst ergehen die Ordres zur Beschlagnahme und Blättervisitation, und demnächst — werden sie wieder zurückgenommen; doch davon bei einer andern Gelegenheit. Unter Ranslöfs Auspicien wird es den Schleswigern vergönnt — ihre Verfassung zu behalten: es hat in der That den Anschein, daß er auch seinen Namen auf diesen Karl Moltkeschen Bundes¬ stein eingegraben haben will, und mittlerweile schickt der dänische Reichstag sich an, durch Annahme des GesammtstaatSverfassungsentwurfs dem Werke Karl Moltkes die Krone aufzusetzen, des Königs Wort uneingelöst zu lassen, und Schleswig über Bord zu warfen, damit alles Dänenthum südlich der Königsau in dem Morast der „Verfassung" erstickt werde. Doch der dänische Reichstag hat den Gesammtstaatsverfassungsentwurf noch nicht angenommen***), an diesen Gedanken muß Schleswig sich klammern, wie der Schiffbrüchige an die letzte Planke, ja — die letzte! Es ist nur wenig Hoffnung vorhanden, daß Schleswig jetzt von dem ihm durch deutsche Despotie bereiteten Untergange erlöst werde. Aber einen tiefen, tiefen Seufzer stößt *) Nämlich die Entlassung des Ministers K. Moltke. *») K. Moltkes Nachfolger im Ministerium. ) Er hat ihn bekanutltch seitdem augenommen. Grenzboten. I. 18S6. , Zj

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/273>, abgerufen am 23.07.2024.