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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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allein zur Schafweide zu brauchen ist. Wo die Wellen seinen Fuß bespülen, ist er
mit einer Art Teppich von geflocl'treu Stroh und Schilf belegt, welches verhütet,
daß das Nacken der See den Wall durchlöchert, der bei den Haffdeichen blos
aus Erde besteht. Hier und da ziehen sich niedrige Molen in die See hinaus, die,
ebenfalls mit Geflechten überzogen, theils zur Brechung der Wellen, theils zur
Festhaltung des angeschwemmten Meeresschlammes dienen. Die Bildung der
Marsch dauert nämlich noch immer fort. Unaufhörlich wächst trotz des Wüthens
der See, die zu wiederholten Malen -- bei der sogenannten Manntränke und
zuletzt noch im Jahre 1636 -- mächtige Strecken der Küste überschwemmte
und zerriß, das Land nach Westen hin, und nicht unmöglich ist es, daß die
Inseln Föhr und Sylt in künftiger Zeit wieder mit dem Fkftlande zusammen¬
wachsen, von dem sie genommen zu sein scheinen. Zunächst setzt sich jener
feste Schlamm an den Molen fest. Dann füllen sich die Zwischenräume
zwischen diesen aus und es entstehen SalMmpfe, auf denen tausende von
Möven, Kibitzen, Wrackvögeln und Meerschwalben schreiend und kreischend um-
hcrschwirren. Dann, wen sich "das Watt" bis zur gewöhnlichen Fluthöhe
erhoben hat, zeigen sich über dem Moraste breitblcittrige Wasserpflanzen und
Algen, zuerst der Queller, dann der Urtel, endlich der Horrich. Nachdem
darauf mehre Grasarten in bestimmter Reihenfolge entstanden sind, erscheint der
weiße Klee, der dem Kenner die völlige Ausbildung des Bodens und seine
Eindrückungsfähigkeit anzeigt.

Die Bewohner dieses Landstreisens sind bis in die Gegend von Tondern
Südjüten, wie denn auch die Landesmitte -- und zwar noch einige Meilen
südlicher hinab -- von diesen bewohnt ist. Südlich von Tondern ist die Marsch
und der Rand der Geest, wo die großen Dörfer liegen, ausschließlich von
Friesen bewohnt, die früher bekanntlich den ganzen Rand der Nordsee von
Schleswig bis nach Holland innehalten und ein streitbares Geschlecht waren.
Ich erinnere nur an den Heldenkampf der Stedinger, an den Grütztopf und
an die goldene Krone im friesischen Wappen. Mit ihren Grütztöpfen schlugen
der Sage zufolge friesische Frauen einst die Dänen zurück, als die Männer die
Sache der Freiheit aufgegeben hatten, und die Krone mahnt--wie ein Bauer,
der das Wappen auf seinem Wagen hatte, mir mit großem Stolze erzählte --
an die glorreiche Schlacht am Milderdamm -- nächst denen am Dusentdüwels-
warf und bei Bornhöved die glorreichste, welche das norddeutsche Volk den
dänischen Königen lieferte.

König Adel, der Brudermörder, fand, als er durch sein Verbrechen zum
Throne gelangt war, die einzige Einnahmequelle der damaligen Fürsten Däne¬
marks,' die Städte, verpfändet. Er wollte -sie einlösen und schrieb zu diesem
Zwecke eine außerordentliche Steuer aus. Die Dänen scheinen diese Schätzung
ohne Widerspruch gezahlt zu haben. Die freien Strand- und Nordfriesen aber,


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allein zur Schafweide zu brauchen ist. Wo die Wellen seinen Fuß bespülen, ist er
mit einer Art Teppich von geflocl'treu Stroh und Schilf belegt, welches verhütet,
daß das Nacken der See den Wall durchlöchert, der bei den Haffdeichen blos
aus Erde besteht. Hier und da ziehen sich niedrige Molen in die See hinaus, die,
ebenfalls mit Geflechten überzogen, theils zur Brechung der Wellen, theils zur
Festhaltung des angeschwemmten Meeresschlammes dienen. Die Bildung der
Marsch dauert nämlich noch immer fort. Unaufhörlich wächst trotz des Wüthens
der See, die zu wiederholten Malen — bei der sogenannten Manntränke und
zuletzt noch im Jahre 1636 — mächtige Strecken der Küste überschwemmte
und zerriß, das Land nach Westen hin, und nicht unmöglich ist es, daß die
Inseln Föhr und Sylt in künftiger Zeit wieder mit dem Fkftlande zusammen¬
wachsen, von dem sie genommen zu sein scheinen. Zunächst setzt sich jener
feste Schlamm an den Molen fest. Dann füllen sich die Zwischenräume
zwischen diesen aus und es entstehen SalMmpfe, auf denen tausende von
Möven, Kibitzen, Wrackvögeln und Meerschwalben schreiend und kreischend um-
hcrschwirren. Dann, wen sich „das Watt" bis zur gewöhnlichen Fluthöhe
erhoben hat, zeigen sich über dem Moraste breitblcittrige Wasserpflanzen und
Algen, zuerst der Queller, dann der Urtel, endlich der Horrich. Nachdem
darauf mehre Grasarten in bestimmter Reihenfolge entstanden sind, erscheint der
weiße Klee, der dem Kenner die völlige Ausbildung des Bodens und seine
Eindrückungsfähigkeit anzeigt.

Die Bewohner dieses Landstreisens sind bis in die Gegend von Tondern
Südjüten, wie denn auch die Landesmitte — und zwar noch einige Meilen
südlicher hinab — von diesen bewohnt ist. Südlich von Tondern ist die Marsch
und der Rand der Geest, wo die großen Dörfer liegen, ausschließlich von
Friesen bewohnt, die früher bekanntlich den ganzen Rand der Nordsee von
Schleswig bis nach Holland innehalten und ein streitbares Geschlecht waren.
Ich erinnere nur an den Heldenkampf der Stedinger, an den Grütztopf und
an die goldene Krone im friesischen Wappen. Mit ihren Grütztöpfen schlugen
der Sage zufolge friesische Frauen einst die Dänen zurück, als die Männer die
Sache der Freiheit aufgegeben hatten, und die Krone mahnt—wie ein Bauer,
der das Wappen auf seinem Wagen hatte, mir mit großem Stolze erzählte —
an die glorreiche Schlacht am Milderdamm — nächst denen am Dusentdüwels-
warf und bei Bornhöved die glorreichste, welche das norddeutsche Volk den
dänischen Königen lieferte.

König Adel, der Brudermörder, fand, als er durch sein Verbrechen zum
Throne gelangt war, die einzige Einnahmequelle der damaligen Fürsten Däne¬
marks,' die Städte, verpfändet. Er wollte -sie einlösen und schrieb zu diesem
Zwecke eine außerordentliche Steuer aus. Die Dänen scheinen diese Schätzung
ohne Widerspruch gezahlt zu haben. Die freien Strand- und Nordfriesen aber,


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[0267] allein zur Schafweide zu brauchen ist. Wo die Wellen seinen Fuß bespülen, ist er mit einer Art Teppich von geflocl'treu Stroh und Schilf belegt, welches verhütet, daß das Nacken der See den Wall durchlöchert, der bei den Haffdeichen blos aus Erde besteht. Hier und da ziehen sich niedrige Molen in die See hinaus, die, ebenfalls mit Geflechten überzogen, theils zur Brechung der Wellen, theils zur Festhaltung des angeschwemmten Meeresschlammes dienen. Die Bildung der Marsch dauert nämlich noch immer fort. Unaufhörlich wächst trotz des Wüthens der See, die zu wiederholten Malen — bei der sogenannten Manntränke und zuletzt noch im Jahre 1636 — mächtige Strecken der Küste überschwemmte und zerriß, das Land nach Westen hin, und nicht unmöglich ist es, daß die Inseln Föhr und Sylt in künftiger Zeit wieder mit dem Fkftlande zusammen¬ wachsen, von dem sie genommen zu sein scheinen. Zunächst setzt sich jener feste Schlamm an den Molen fest. Dann füllen sich die Zwischenräume zwischen diesen aus und es entstehen SalMmpfe, auf denen tausende von Möven, Kibitzen, Wrackvögeln und Meerschwalben schreiend und kreischend um- hcrschwirren. Dann, wen sich „das Watt" bis zur gewöhnlichen Fluthöhe erhoben hat, zeigen sich über dem Moraste breitblcittrige Wasserpflanzen und Algen, zuerst der Queller, dann der Urtel, endlich der Horrich. Nachdem darauf mehre Grasarten in bestimmter Reihenfolge entstanden sind, erscheint der weiße Klee, der dem Kenner die völlige Ausbildung des Bodens und seine Eindrückungsfähigkeit anzeigt. Die Bewohner dieses Landstreisens sind bis in die Gegend von Tondern Südjüten, wie denn auch die Landesmitte — und zwar noch einige Meilen südlicher hinab — von diesen bewohnt ist. Südlich von Tondern ist die Marsch und der Rand der Geest, wo die großen Dörfer liegen, ausschließlich von Friesen bewohnt, die früher bekanntlich den ganzen Rand der Nordsee von Schleswig bis nach Holland innehalten und ein streitbares Geschlecht waren. Ich erinnere nur an den Heldenkampf der Stedinger, an den Grütztopf und an die goldene Krone im friesischen Wappen. Mit ihren Grütztöpfen schlugen der Sage zufolge friesische Frauen einst die Dänen zurück, als die Männer die Sache der Freiheit aufgegeben hatten, und die Krone mahnt—wie ein Bauer, der das Wappen auf seinem Wagen hatte, mir mit großem Stolze erzählte — an die glorreiche Schlacht am Milderdamm — nächst denen am Dusentdüwels- warf und bei Bornhöved die glorreichste, welche das norddeutsche Volk den dänischen Königen lieferte. König Adel, der Brudermörder, fand, als er durch sein Verbrechen zum Throne gelangt war, die einzige Einnahmequelle der damaligen Fürsten Däne¬ marks,' die Städte, verpfändet. Er wollte -sie einlösen und schrieb zu diesem Zwecke eine außerordentliche Steuer aus. Die Dänen scheinen diese Schätzung ohne Widerspruch gezahlt zu haben. Die freien Strand- und Nordfriesen aber, 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/267>, abgerufen am 23.07.2024.