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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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anderm Gethier nur noch die Kreuzotter, hier Hartwurm genannt, ihre Woh¬
nung hat. Eine unendliche Melancholie überschleicht die Seele. Die Ge¬
spräche stocken. Man beeilt, sich der Landschaft, die so schrankenlos weit und
doch so beengend, so drückend ist, zu entfliehen, und man athmet auf wie vom
Alpdrücken, wenn man ihr entflohen ist.

Die Haidewüsten Schleswigs sind namentlich zwischen Apenrade und Ten¬
dern und zwischen Schleswig und Bredstedt zahlreich und ausgedehnt. Aber
sie sind unbedeutend gegen die Haiden Jütlands, durch die man tagelang
wandern kann, ohne eine Menschenwohnnng, ja ohne einen Menschen zu er¬
blicken. Nicht häufig zwar, aber doch bisweilen bringt ein Bach, der aus dem
Osten kommt, Leben in den Tod, Wachsthum in die öde Starrheit und daS
Gefühl einer Oase in das Gemüth des an ein Leben auf der Haide nicht ge¬
wöhnten Fremden. Große Ellernbrüche und sumpfiges Bultenland bezeichnen
die Niederung. Wiesen begleiten den Lauf des Gewässers, und beackerte Felder
folgen den Wiesen und inmitten der Wiesen und Aecker wohnt in seinem statt¬
lichen Gehöfte der wohlhabende Geestbauer. Wo aber mehre Bäche zusammen¬
treffend eine größre Strecke Landes bezwungen haben, da steht ein großes Dorf
von strengem Charakter, weit gedehnt neben einer Kirche, die mit ihrem hohen
altertümlichen Quadcrthurme, ihren gothischen Spitzbogenfenstern und ihrem
Bleidachc sich selbst in einer Stadt stattlich ausnehmen würde. Eine Wasser¬
mühle klappert, eine Schmiede sprüht Funken, ein großes Wirthshaus ladet zur
Einkehr ein, und bisweilen schaut sogar ein Edelsitz aus einem dunkelgrünen
Park hervor.

Der Bach strömt nach Westen. Wir folgen seinen Windungen und sehen
uns, nachdem wir eine Zeitlang fortwährend zu beiden Seiten der grünen
Niederung die graubraune Haide beobachtet, beinahe plötzlich in eine neue Welt
versetzt.

Die Straße führt über einen hohen Damm. Nach rechts und nach links
strecken sich in der Tiefe unabsehbare grüne Ebenen, die den Charakter einer
fast wunderbaren Fruchtbarkeit tragen, große, massive, reiche Dörfer ziehen sich
von Süden nach Norden hin, der Sand macht einer fetten schwarzen Thonerde
Platz, auch das kleinste Fleckchen ist angebaut. Wir sind in den gesegneten
Marschen der Westküste, in den Kögen der Friesen, einem Landstriche, der alles,
was das Binnenland an fruchtbaren Gegenden besitzt, bei weitem übertrifft
und dem selbst die humusreicher BottomS des Misstssippithales nicht gleich¬
kommen.

Wir überblicken ein weites Land, das durch hohe Dämme in Bezirke,
durch schnurgerade Gräben und Kanäle in gartenbeetartige Felder geschieden
ist, an deren Stelle im Norden -- der Gegend von Tondern -- ungeheure
Weideplätze treten. Aus den Dämmen oder Deichen liegen die Dörfer. In


Grenzboten. I. ->8it". 33

anderm Gethier nur noch die Kreuzotter, hier Hartwurm genannt, ihre Woh¬
nung hat. Eine unendliche Melancholie überschleicht die Seele. Die Ge¬
spräche stocken. Man beeilt, sich der Landschaft, die so schrankenlos weit und
doch so beengend, so drückend ist, zu entfliehen, und man athmet auf wie vom
Alpdrücken, wenn man ihr entflohen ist.

Die Haidewüsten Schleswigs sind namentlich zwischen Apenrade und Ten¬
dern und zwischen Schleswig und Bredstedt zahlreich und ausgedehnt. Aber
sie sind unbedeutend gegen die Haiden Jütlands, durch die man tagelang
wandern kann, ohne eine Menschenwohnnng, ja ohne einen Menschen zu er¬
blicken. Nicht häufig zwar, aber doch bisweilen bringt ein Bach, der aus dem
Osten kommt, Leben in den Tod, Wachsthum in die öde Starrheit und daS
Gefühl einer Oase in das Gemüth des an ein Leben auf der Haide nicht ge¬
wöhnten Fremden. Große Ellernbrüche und sumpfiges Bultenland bezeichnen
die Niederung. Wiesen begleiten den Lauf des Gewässers, und beackerte Felder
folgen den Wiesen und inmitten der Wiesen und Aecker wohnt in seinem statt¬
lichen Gehöfte der wohlhabende Geestbauer. Wo aber mehre Bäche zusammen¬
treffend eine größre Strecke Landes bezwungen haben, da steht ein großes Dorf
von strengem Charakter, weit gedehnt neben einer Kirche, die mit ihrem hohen
altertümlichen Quadcrthurme, ihren gothischen Spitzbogenfenstern und ihrem
Bleidachc sich selbst in einer Stadt stattlich ausnehmen würde. Eine Wasser¬
mühle klappert, eine Schmiede sprüht Funken, ein großes Wirthshaus ladet zur
Einkehr ein, und bisweilen schaut sogar ein Edelsitz aus einem dunkelgrünen
Park hervor.

Der Bach strömt nach Westen. Wir folgen seinen Windungen und sehen
uns, nachdem wir eine Zeitlang fortwährend zu beiden Seiten der grünen
Niederung die graubraune Haide beobachtet, beinahe plötzlich in eine neue Welt
versetzt.

Die Straße führt über einen hohen Damm. Nach rechts und nach links
strecken sich in der Tiefe unabsehbare grüne Ebenen, die den Charakter einer
fast wunderbaren Fruchtbarkeit tragen, große, massive, reiche Dörfer ziehen sich
von Süden nach Norden hin, der Sand macht einer fetten schwarzen Thonerde
Platz, auch das kleinste Fleckchen ist angebaut. Wir sind in den gesegneten
Marschen der Westküste, in den Kögen der Friesen, einem Landstriche, der alles,
was das Binnenland an fruchtbaren Gegenden besitzt, bei weitem übertrifft
und dem selbst die humusreicher BottomS des Misstssippithales nicht gleich¬
kommen.

Wir überblicken ein weites Land, das durch hohe Dämme in Bezirke,
durch schnurgerade Gräben und Kanäle in gartenbeetartige Felder geschieden
ist, an deren Stelle im Norden — der Gegend von Tondern — ungeheure
Weideplätze treten. Aus den Dämmen oder Deichen liegen die Dörfer. In


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[0265] anderm Gethier nur noch die Kreuzotter, hier Hartwurm genannt, ihre Woh¬ nung hat. Eine unendliche Melancholie überschleicht die Seele. Die Ge¬ spräche stocken. Man beeilt, sich der Landschaft, die so schrankenlos weit und doch so beengend, so drückend ist, zu entfliehen, und man athmet auf wie vom Alpdrücken, wenn man ihr entflohen ist. Die Haidewüsten Schleswigs sind namentlich zwischen Apenrade und Ten¬ dern und zwischen Schleswig und Bredstedt zahlreich und ausgedehnt. Aber sie sind unbedeutend gegen die Haiden Jütlands, durch die man tagelang wandern kann, ohne eine Menschenwohnnng, ja ohne einen Menschen zu er¬ blicken. Nicht häufig zwar, aber doch bisweilen bringt ein Bach, der aus dem Osten kommt, Leben in den Tod, Wachsthum in die öde Starrheit und daS Gefühl einer Oase in das Gemüth des an ein Leben auf der Haide nicht ge¬ wöhnten Fremden. Große Ellernbrüche und sumpfiges Bultenland bezeichnen die Niederung. Wiesen begleiten den Lauf des Gewässers, und beackerte Felder folgen den Wiesen und inmitten der Wiesen und Aecker wohnt in seinem statt¬ lichen Gehöfte der wohlhabende Geestbauer. Wo aber mehre Bäche zusammen¬ treffend eine größre Strecke Landes bezwungen haben, da steht ein großes Dorf von strengem Charakter, weit gedehnt neben einer Kirche, die mit ihrem hohen altertümlichen Quadcrthurme, ihren gothischen Spitzbogenfenstern und ihrem Bleidachc sich selbst in einer Stadt stattlich ausnehmen würde. Eine Wasser¬ mühle klappert, eine Schmiede sprüht Funken, ein großes Wirthshaus ladet zur Einkehr ein, und bisweilen schaut sogar ein Edelsitz aus einem dunkelgrünen Park hervor. Der Bach strömt nach Westen. Wir folgen seinen Windungen und sehen uns, nachdem wir eine Zeitlang fortwährend zu beiden Seiten der grünen Niederung die graubraune Haide beobachtet, beinahe plötzlich in eine neue Welt versetzt. Die Straße führt über einen hohen Damm. Nach rechts und nach links strecken sich in der Tiefe unabsehbare grüne Ebenen, die den Charakter einer fast wunderbaren Fruchtbarkeit tragen, große, massive, reiche Dörfer ziehen sich von Süden nach Norden hin, der Sand macht einer fetten schwarzen Thonerde Platz, auch das kleinste Fleckchen ist angebaut. Wir sind in den gesegneten Marschen der Westküste, in den Kögen der Friesen, einem Landstriche, der alles, was das Binnenland an fruchtbaren Gegenden besitzt, bei weitem übertrifft und dem selbst die humusreicher BottomS des Misstssippithales nicht gleich¬ kommen. Wir überblicken ein weites Land, das durch hohe Dämme in Bezirke, durch schnurgerade Gräben und Kanäle in gartenbeetartige Felder geschieden ist, an deren Stelle im Norden — der Gegend von Tondern — ungeheure Weideplätze treten. Aus den Dämmen oder Deichen liegen die Dörfer. In Grenzboten. I. ->8it». 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/265>, abgerufen am 23.07.2024.