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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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sich mit ihrem Gange von Mund zu Mund begnügen und das Echo der seuf¬
zenden Glocken bis auf weiteres auf ihre Kirchspiele beschränkt bleiben. Die
Zeit wird kommen, wo ihr Klagelied und ihr Hilferuf dem gesammten deut¬
schen Volke in die Seele tönen werden.

Blicke ich nach dieser Umschau aus politischem Gebiete auf das Land¬
schaftliche zurück, das ich nun verlasse, so tritt es an Interesse vor jenem zu¬
rück. DaS Panorama, das man zu Füßen des goldnen Christophorus auf
dem kappeler Kirchthurme genießt, bietet, so weit es-Angeln betrifft, nichts
als Hecken, umschlossene Weiden und Kornfelder, grüne Hügel, hinter denen
Dörfer mit grauen Strohdächern hervorlugen und waldige Landzungen im
lichtblauen Meere. Hübscher ist der nördliche Theil, den man vom SchierS-
berge überblickt, und wo sich über zahlreichen Buchenwäldchen mehr als ein
Dutzend der stattlichsten Kirchthürme erheben. Ein sehr nettes Bild friedlichen
Behagens gewinnt man vor der Schenke am Westufer des söruper Sees.
Eine angenehme Ueberraschung endlich gewährt eine Stelle zwischen Gekling
und NieSgrau dem Wanderer, welcher in Bergessenheil der Karte zwischen den
hohen Knicks, ihren dichten Ranken > und ihrer reichen Blumenpracht tief im
Binnenlande zu sein glaubt und, auf einer Bodenerhebung angelangt, durch
eine Oessnung in der grünen Mauer plötzlich zur Rechten eine weite himmel¬
blaue Meeresbucht mit weißen Segeln darauf und gelben Sandgcstaden da¬
hinter erblickt, während zur Linken in der Tiefe hinter den Schatten hoher
Bäume ein sonnenheller Wiesengrund mit einer rothen Kuhherde sich streckt
und weiterhin auf einer Höhe eines jener stolzen Bauernhäuser sichtbar wird,
von denen das reiche Angeln so viele hat.

Folgen Sie mir jetzt über die hohe Geest nach den Marschen der West¬
seite. Allmälig hören die grünen Hügel, welche die Ostsee an ihrem Rande
aufgethürmt hat, auf. Die Hecken um die Felder werden dürftiger und niedri¬
ger und machen bloßen Rasenwällen Platz. In den Gräben erscheint Heide¬
kraut.. Die Wege werden sandig. Statt der stolz emporragenden Buchen tritt
ein ärmlicher Krattbusch von Eichen und Birken auf. Seltener und immer
seltener gelangt der Wanderer zu einem Dorfe. Häufiger und immer häufiger
unterbrechen Strecken voll von rostbraunem Haideland, gelblichem Sandhafer und
graugrünen Zwergweiden die bestellten Felder, die schon längst statt des selten
blaugrünen Weizens nur bleichgrünen Buchweizen und schmächtige, dünn
stehende, dürftige Noggensaaten zeigten.

Endlich, nachdem wir die Hochebene des Landesrückenö erreicht haben,
schwinden auch diese Zeichen gesegneter Arbeit und wir sind in einer Einöde,
so wüst und trübselig, wie je ein verirrter Westwind eine durchsegte und wie
je eine dem einsamen Reisenden Gedanken an den Tod und das Nichts erweckte.
Er sieht sich um nach dem letzten Wäldchen, das ihm Schatten gab und ge-


sich mit ihrem Gange von Mund zu Mund begnügen und das Echo der seuf¬
zenden Glocken bis auf weiteres auf ihre Kirchspiele beschränkt bleiben. Die
Zeit wird kommen, wo ihr Klagelied und ihr Hilferuf dem gesammten deut¬
schen Volke in die Seele tönen werden.

Blicke ich nach dieser Umschau aus politischem Gebiete auf das Land¬
schaftliche zurück, das ich nun verlasse, so tritt es an Interesse vor jenem zu¬
rück. DaS Panorama, das man zu Füßen des goldnen Christophorus auf
dem kappeler Kirchthurme genießt, bietet, so weit es-Angeln betrifft, nichts
als Hecken, umschlossene Weiden und Kornfelder, grüne Hügel, hinter denen
Dörfer mit grauen Strohdächern hervorlugen und waldige Landzungen im
lichtblauen Meere. Hübscher ist der nördliche Theil, den man vom SchierS-
berge überblickt, und wo sich über zahlreichen Buchenwäldchen mehr als ein
Dutzend der stattlichsten Kirchthürme erheben. Ein sehr nettes Bild friedlichen
Behagens gewinnt man vor der Schenke am Westufer des söruper Sees.
Eine angenehme Ueberraschung endlich gewährt eine Stelle zwischen Gekling
und NieSgrau dem Wanderer, welcher in Bergessenheil der Karte zwischen den
hohen Knicks, ihren dichten Ranken > und ihrer reichen Blumenpracht tief im
Binnenlande zu sein glaubt und, auf einer Bodenerhebung angelangt, durch
eine Oessnung in der grünen Mauer plötzlich zur Rechten eine weite himmel¬
blaue Meeresbucht mit weißen Segeln darauf und gelben Sandgcstaden da¬
hinter erblickt, während zur Linken in der Tiefe hinter den Schatten hoher
Bäume ein sonnenheller Wiesengrund mit einer rothen Kuhherde sich streckt
und weiterhin auf einer Höhe eines jener stolzen Bauernhäuser sichtbar wird,
von denen das reiche Angeln so viele hat.

Folgen Sie mir jetzt über die hohe Geest nach den Marschen der West¬
seite. Allmälig hören die grünen Hügel, welche die Ostsee an ihrem Rande
aufgethürmt hat, auf. Die Hecken um die Felder werden dürftiger und niedri¬
ger und machen bloßen Rasenwällen Platz. In den Gräben erscheint Heide¬
kraut.. Die Wege werden sandig. Statt der stolz emporragenden Buchen tritt
ein ärmlicher Krattbusch von Eichen und Birken auf. Seltener und immer
seltener gelangt der Wanderer zu einem Dorfe. Häufiger und immer häufiger
unterbrechen Strecken voll von rostbraunem Haideland, gelblichem Sandhafer und
graugrünen Zwergweiden die bestellten Felder, die schon längst statt des selten
blaugrünen Weizens nur bleichgrünen Buchweizen und schmächtige, dünn
stehende, dürftige Noggensaaten zeigten.

Endlich, nachdem wir die Hochebene des Landesrückenö erreicht haben,
schwinden auch diese Zeichen gesegneter Arbeit und wir sind in einer Einöde,
so wüst und trübselig, wie je ein verirrter Westwind eine durchsegte und wie
je eine dem einsamen Reisenden Gedanken an den Tod und das Nichts erweckte.
Er sieht sich um nach dem letzten Wäldchen, das ihm Schatten gab und ge-


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[0263] sich mit ihrem Gange von Mund zu Mund begnügen und das Echo der seuf¬ zenden Glocken bis auf weiteres auf ihre Kirchspiele beschränkt bleiben. Die Zeit wird kommen, wo ihr Klagelied und ihr Hilferuf dem gesammten deut¬ schen Volke in die Seele tönen werden. Blicke ich nach dieser Umschau aus politischem Gebiete auf das Land¬ schaftliche zurück, das ich nun verlasse, so tritt es an Interesse vor jenem zu¬ rück. DaS Panorama, das man zu Füßen des goldnen Christophorus auf dem kappeler Kirchthurme genießt, bietet, so weit es-Angeln betrifft, nichts als Hecken, umschlossene Weiden und Kornfelder, grüne Hügel, hinter denen Dörfer mit grauen Strohdächern hervorlugen und waldige Landzungen im lichtblauen Meere. Hübscher ist der nördliche Theil, den man vom SchierS- berge überblickt, und wo sich über zahlreichen Buchenwäldchen mehr als ein Dutzend der stattlichsten Kirchthürme erheben. Ein sehr nettes Bild friedlichen Behagens gewinnt man vor der Schenke am Westufer des söruper Sees. Eine angenehme Ueberraschung endlich gewährt eine Stelle zwischen Gekling und NieSgrau dem Wanderer, welcher in Bergessenheil der Karte zwischen den hohen Knicks, ihren dichten Ranken > und ihrer reichen Blumenpracht tief im Binnenlande zu sein glaubt und, auf einer Bodenerhebung angelangt, durch eine Oessnung in der grünen Mauer plötzlich zur Rechten eine weite himmel¬ blaue Meeresbucht mit weißen Segeln darauf und gelben Sandgcstaden da¬ hinter erblickt, während zur Linken in der Tiefe hinter den Schatten hoher Bäume ein sonnenheller Wiesengrund mit einer rothen Kuhherde sich streckt und weiterhin auf einer Höhe eines jener stolzen Bauernhäuser sichtbar wird, von denen das reiche Angeln so viele hat. Folgen Sie mir jetzt über die hohe Geest nach den Marschen der West¬ seite. Allmälig hören die grünen Hügel, welche die Ostsee an ihrem Rande aufgethürmt hat, auf. Die Hecken um die Felder werden dürftiger und niedri¬ ger und machen bloßen Rasenwällen Platz. In den Gräben erscheint Heide¬ kraut.. Die Wege werden sandig. Statt der stolz emporragenden Buchen tritt ein ärmlicher Krattbusch von Eichen und Birken auf. Seltener und immer seltener gelangt der Wanderer zu einem Dorfe. Häufiger und immer häufiger unterbrechen Strecken voll von rostbraunem Haideland, gelblichem Sandhafer und graugrünen Zwergweiden die bestellten Felder, die schon längst statt des selten blaugrünen Weizens nur bleichgrünen Buchweizen und schmächtige, dünn stehende, dürftige Noggensaaten zeigten. Endlich, nachdem wir die Hochebene des Landesrückenö erreicht haben, schwinden auch diese Zeichen gesegneter Arbeit und wir sind in einer Einöde, so wüst und trübselig, wie je ein verirrter Westwind eine durchsegte und wie je eine dem einsamen Reisenden Gedanken an den Tod und das Nichts erweckte. Er sieht sich um nach dem letzten Wäldchen, das ihm Schatten gab und ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/263>, abgerufen am 23.07.2024.