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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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es sich ihm von selbst, daß der Staat den Adel auch ernähre. Es waren
namentlich zwei Quellen, aus welchen diese Nahrung geschöpft wurde, die
Käuflichkeit der Aemter und die Verwaltung der Staatsgüter. Jene hatte so¬
gleich zur Folge, daß jedes Ami auch nur als Einnahmequelle betrachtet und
benutzt wurde, was denn vor allem die Rechtspflege vollständig zerrüttete,
Weitläufigkeit, Kostspieligkeit und Bestechlichkeit durch alle Instanzen verbreitete.
Die Domänen bildeten eine Gütermasse von 400 bis 600 Millionen Gulden
Werth und wurden größtentheils als Starostien an bedürftige oder begünstigte
Edelleute ausgeliehen. Der Starost mußte dann, je nach der Länge seiner
Besitzzeit, drei Viertel oder die Hälfte des Reinertrags an die Staatskasse ab¬
liefern: der Staat verschenkte damit also unmittelbar einen sehr beträchtlichen
Theil seiner Einkünfte, und erlitt einen weitern und noch erheblicheren Schaden
durch die Verschlechterung der Güter, da dieselben natürlich nicht mit dem In¬
teresse des Eigenthümers bewahrt, sondern durchgängig so elend bestellt wur-
den / daß man auf den ersten Blick Starostenland und Erbgut voneinander
unterscheiden konnte. Daß die Patrioten von 1791 zur Einziehung der Sta¬
rostien geschritten waren, hatte neben der Schöpfung städtischer Verfassungen
dem Hasse der adligen Opposition den schärfsten Stachel gegeben.

So rächte sich die Anarchie des Staates, welche durch die Unbändigkeit
dieses Adels erzeugt worden war, an ihren Urhebern, indem sie dieselben mit
sell'stsüchtigem Leichtsinne und verschwenderischer Nachlässigkeit ausstattete. Noch
viel verheerender aber als die Ungebundenheit nach Oben wirkte die Tyrannei
nach Unten. Ist es doch überall die sicherste und gerechteste Strafe des Despo¬
tismus, daß er den Despoten selbst durch Uebermuth und schlechte Lüste ent¬
nervt. Der hervorstechende Zug des polnischen Nationalcharakters war neben
Schlauheit und Muth eine höchst lebhafte Erregbarkeit, die ihn für gute und
schlechte Affecte gleich empfänglich machte: mitten in seiner Verderbniß behielt
dieses Volk die Fähigkeit zu hoch aufflammender Begeisterung, hatte aber
nichtsdestoweniger das Gift einer verzehrenden Unsittlickkeit mit vollen Zügen
in sich eingesogen. Als Kinder waren sie unter Hunderten von schmuzigen,
herabgewürdigten, jeder Laune des Gebieters dienstbaren Geschöpfen heran¬
gewachsen. In den Jesuitenschulen, in welchen das damalige Geschlecht noch
erzogen war, hatten sie dann mechanische Andachtsübungen, elegante Hand¬
schrift, barbarisches Latein und sonst nichts Anderes gelernt. Als Männer in
den Strom der Welt und des Zeitgeistes herausgetreten, hatten sich die meisten
mit der Frivolität des französischen Radikalismus erfüllt, und hier die Theorie
zu der Genußsucht und Selbstsucht gefunden, zu welcher ihnen Staat und
Haus die furchtbare praktische Anleitung gaben. Sie bewährten dann noch
immer den alten Ruf unbändiger Tapferkeit und unerschöpflicher List, und bei
keiner andern Nation fand man in gleichem Maße das Talent des persönlichen


es sich ihm von selbst, daß der Staat den Adel auch ernähre. Es waren
namentlich zwei Quellen, aus welchen diese Nahrung geschöpft wurde, die
Käuflichkeit der Aemter und die Verwaltung der Staatsgüter. Jene hatte so¬
gleich zur Folge, daß jedes Ami auch nur als Einnahmequelle betrachtet und
benutzt wurde, was denn vor allem die Rechtspflege vollständig zerrüttete,
Weitläufigkeit, Kostspieligkeit und Bestechlichkeit durch alle Instanzen verbreitete.
Die Domänen bildeten eine Gütermasse von 400 bis 600 Millionen Gulden
Werth und wurden größtentheils als Starostien an bedürftige oder begünstigte
Edelleute ausgeliehen. Der Starost mußte dann, je nach der Länge seiner
Besitzzeit, drei Viertel oder die Hälfte des Reinertrags an die Staatskasse ab¬
liefern: der Staat verschenkte damit also unmittelbar einen sehr beträchtlichen
Theil seiner Einkünfte, und erlitt einen weitern und noch erheblicheren Schaden
durch die Verschlechterung der Güter, da dieselben natürlich nicht mit dem In¬
teresse des Eigenthümers bewahrt, sondern durchgängig so elend bestellt wur-
den / daß man auf den ersten Blick Starostenland und Erbgut voneinander
unterscheiden konnte. Daß die Patrioten von 1791 zur Einziehung der Sta¬
rostien geschritten waren, hatte neben der Schöpfung städtischer Verfassungen
dem Hasse der adligen Opposition den schärfsten Stachel gegeben.

So rächte sich die Anarchie des Staates, welche durch die Unbändigkeit
dieses Adels erzeugt worden war, an ihren Urhebern, indem sie dieselben mit
sell'stsüchtigem Leichtsinne und verschwenderischer Nachlässigkeit ausstattete. Noch
viel verheerender aber als die Ungebundenheit nach Oben wirkte die Tyrannei
nach Unten. Ist es doch überall die sicherste und gerechteste Strafe des Despo¬
tismus, daß er den Despoten selbst durch Uebermuth und schlechte Lüste ent¬
nervt. Der hervorstechende Zug des polnischen Nationalcharakters war neben
Schlauheit und Muth eine höchst lebhafte Erregbarkeit, die ihn für gute und
schlechte Affecte gleich empfänglich machte: mitten in seiner Verderbniß behielt
dieses Volk die Fähigkeit zu hoch aufflammender Begeisterung, hatte aber
nichtsdestoweniger das Gift einer verzehrenden Unsittlickkeit mit vollen Zügen
in sich eingesogen. Als Kinder waren sie unter Hunderten von schmuzigen,
herabgewürdigten, jeder Laune des Gebieters dienstbaren Geschöpfen heran¬
gewachsen. In den Jesuitenschulen, in welchen das damalige Geschlecht noch
erzogen war, hatten sie dann mechanische Andachtsübungen, elegante Hand¬
schrift, barbarisches Latein und sonst nichts Anderes gelernt. Als Männer in
den Strom der Welt und des Zeitgeistes herausgetreten, hatten sich die meisten
mit der Frivolität des französischen Radikalismus erfüllt, und hier die Theorie
zu der Genußsucht und Selbstsucht gefunden, zu welcher ihnen Staat und
Haus die furchtbare praktische Anleitung gaben. Sie bewährten dann noch
immer den alten Ruf unbändiger Tapferkeit und unerschöpflicher List, und bei
keiner andern Nation fand man in gleichem Maße das Talent des persönlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/260>, abgerufen am 23.07.2024.