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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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klug, Seydlitz, Potworowski u. s. w. waren durchgängig mit dem branden¬
burgischen und schlesischen Adel verwandt oder verschwägert und hatten keinen
lebhafteren Wunsch, als in das geordnete preußische Staatswesen einzu¬
treten.

Wenden wir uns nun von diesen politisch unterworfenen Classen zu dem
herrschenden Theile der Nation, zu dem katholischen Adel Polens hinüber, so
ist gleich bei dem ersten Blicke die Erscheinung auffallend, daß seine Zahl
in steter Abnahme begriffen war. Man berechnete damals, daß bei einem all¬
gemeinen Aufgebot höchstens 130,000 Köpfe erscheinen würden. Schon
dieses Zusammenschwindcn läßt auf inneres Sinken schließen und eine nähere
Betrachtung zeigr denn auch sogleich einen vollständigen, materiellen und sitt¬
lichen Ruin. Die Güter der meisten waren tief verschuldet und wurden von
Pächtern bewirthschaftet, welche der Sache nach Pfandgläubiger waren und
aus dem Gute nur möglichst rasch ihre Forderung herauszuziehen suchten. Es
leuchtet ein, daß hierbei der Bestand des Gutes nicht geschont und vor allem
die Bauern in jeder Hinsicht ausgesogen wurden: das Verhältniß kam aber
so oft vor, daß sich besondere Rechtsformen dafür gebildet hatten und oft
genug schleppte es sich durch mehre Generationen bis zur Tilgung der Schuld
fort. Ueberhaupt war es selten, daß ein großer Grundbesitzer seine Ländereien
selbst verwaltete; die meisten zogen wie der gleichzeitige französische Adel das
Leben bei Hof, in der Hauptstadt oder auf Reisen der heimischen Thätigkeit
vor und übertrugen die Aussicht ihrer Güter, wo sie nicht der Gläubiger da¬
von befreite, irgendeinem ärmern Edelmann als Pächter. Der Grundmängel
dieser Landwirthschaft war nun, eine natürliche Folge der unentwickelten In¬
dustrie im Lande, ein völliger Mangel an Capital. Baares Geld war selten,
der Zinsfuß hoch, von vernünftigem Kreditwesen keine Rede. Die wenigen
Bankherren in Warschau bildeten eine wahre Macht, welche den gesammten
Adel in Abhängigkeit hielt: daß einige derselben infolge der russischen Occu-
pation 1792 ihre Zahlungen einstellten, wurde als die empfindlichste aller bis¬
herigen Folgen des Krieges bejammert. Es fehlten also schon die materiellen
Mittel zu einem umfassenden, bessernden, weiter blickenden Betriebe. An seiner
Stelle hatte man nichts, als die roHe Arbeitskraft der Leibeignen, die auf
Kosten der ihnen zugewiesenen Aecker die Ländereien des Herrenhauses mit
Hand- und Spanndiensten nach landesüblicher, altüberlieferter Weise zu be¬
stellen hatten. Der Ertrag war war also unendlich dürstig für sie selbst, für
den Herrn und für das Gemeinwesen.

Die Herren hatten allerdings Mittel genug, sich für den Ausfall zu ent¬
schädigen, nur daß dieser Ersatz gleich verderblich für sie selbst und für den
Staat war. Ihr Lieblingsspruch lautete: hochgeboren hochvermögend -- mit
andern Worten, da der Adel über alle Macht des Staates verfügte, so verstand


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klug, Seydlitz, Potworowski u. s. w. waren durchgängig mit dem branden¬
burgischen und schlesischen Adel verwandt oder verschwägert und hatten keinen
lebhafteren Wunsch, als in das geordnete preußische Staatswesen einzu¬
treten.

Wenden wir uns nun von diesen politisch unterworfenen Classen zu dem
herrschenden Theile der Nation, zu dem katholischen Adel Polens hinüber, so
ist gleich bei dem ersten Blicke die Erscheinung auffallend, daß seine Zahl
in steter Abnahme begriffen war. Man berechnete damals, daß bei einem all¬
gemeinen Aufgebot höchstens 130,000 Köpfe erscheinen würden. Schon
dieses Zusammenschwindcn läßt auf inneres Sinken schließen und eine nähere
Betrachtung zeigr denn auch sogleich einen vollständigen, materiellen und sitt¬
lichen Ruin. Die Güter der meisten waren tief verschuldet und wurden von
Pächtern bewirthschaftet, welche der Sache nach Pfandgläubiger waren und
aus dem Gute nur möglichst rasch ihre Forderung herauszuziehen suchten. Es
leuchtet ein, daß hierbei der Bestand des Gutes nicht geschont und vor allem
die Bauern in jeder Hinsicht ausgesogen wurden: das Verhältniß kam aber
so oft vor, daß sich besondere Rechtsformen dafür gebildet hatten und oft
genug schleppte es sich durch mehre Generationen bis zur Tilgung der Schuld
fort. Ueberhaupt war es selten, daß ein großer Grundbesitzer seine Ländereien
selbst verwaltete; die meisten zogen wie der gleichzeitige französische Adel das
Leben bei Hof, in der Hauptstadt oder auf Reisen der heimischen Thätigkeit
vor und übertrugen die Aussicht ihrer Güter, wo sie nicht der Gläubiger da¬
von befreite, irgendeinem ärmern Edelmann als Pächter. Der Grundmängel
dieser Landwirthschaft war nun, eine natürliche Folge der unentwickelten In¬
dustrie im Lande, ein völliger Mangel an Capital. Baares Geld war selten,
der Zinsfuß hoch, von vernünftigem Kreditwesen keine Rede. Die wenigen
Bankherren in Warschau bildeten eine wahre Macht, welche den gesammten
Adel in Abhängigkeit hielt: daß einige derselben infolge der russischen Occu-
pation 1792 ihre Zahlungen einstellten, wurde als die empfindlichste aller bis¬
herigen Folgen des Krieges bejammert. Es fehlten also schon die materiellen
Mittel zu einem umfassenden, bessernden, weiter blickenden Betriebe. An seiner
Stelle hatte man nichts, als die roHe Arbeitskraft der Leibeignen, die auf
Kosten der ihnen zugewiesenen Aecker die Ländereien des Herrenhauses mit
Hand- und Spanndiensten nach landesüblicher, altüberlieferter Weise zu be¬
stellen hatten. Der Ertrag war war also unendlich dürstig für sie selbst, für
den Herrn und für das Gemeinwesen.

Die Herren hatten allerdings Mittel genug, sich für den Ausfall zu ent¬
schädigen, nur daß dieser Ersatz gleich verderblich für sie selbst und für den
Staat war. Ihr Lieblingsspruch lautete: hochgeboren hochvermögend — mit
andern Worten, da der Adel über alle Macht des Staates verfügte, so verstand


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[0259] klug, Seydlitz, Potworowski u. s. w. waren durchgängig mit dem branden¬ burgischen und schlesischen Adel verwandt oder verschwägert und hatten keinen lebhafteren Wunsch, als in das geordnete preußische Staatswesen einzu¬ treten. Wenden wir uns nun von diesen politisch unterworfenen Classen zu dem herrschenden Theile der Nation, zu dem katholischen Adel Polens hinüber, so ist gleich bei dem ersten Blicke die Erscheinung auffallend, daß seine Zahl in steter Abnahme begriffen war. Man berechnete damals, daß bei einem all¬ gemeinen Aufgebot höchstens 130,000 Köpfe erscheinen würden. Schon dieses Zusammenschwindcn läßt auf inneres Sinken schließen und eine nähere Betrachtung zeigr denn auch sogleich einen vollständigen, materiellen und sitt¬ lichen Ruin. Die Güter der meisten waren tief verschuldet und wurden von Pächtern bewirthschaftet, welche der Sache nach Pfandgläubiger waren und aus dem Gute nur möglichst rasch ihre Forderung herauszuziehen suchten. Es leuchtet ein, daß hierbei der Bestand des Gutes nicht geschont und vor allem die Bauern in jeder Hinsicht ausgesogen wurden: das Verhältniß kam aber so oft vor, daß sich besondere Rechtsformen dafür gebildet hatten und oft genug schleppte es sich durch mehre Generationen bis zur Tilgung der Schuld fort. Ueberhaupt war es selten, daß ein großer Grundbesitzer seine Ländereien selbst verwaltete; die meisten zogen wie der gleichzeitige französische Adel das Leben bei Hof, in der Hauptstadt oder auf Reisen der heimischen Thätigkeit vor und übertrugen die Aussicht ihrer Güter, wo sie nicht der Gläubiger da¬ von befreite, irgendeinem ärmern Edelmann als Pächter. Der Grundmängel dieser Landwirthschaft war nun, eine natürliche Folge der unentwickelten In¬ dustrie im Lande, ein völliger Mangel an Capital. Baares Geld war selten, der Zinsfuß hoch, von vernünftigem Kreditwesen keine Rede. Die wenigen Bankherren in Warschau bildeten eine wahre Macht, welche den gesammten Adel in Abhängigkeit hielt: daß einige derselben infolge der russischen Occu- pation 1792 ihre Zahlungen einstellten, wurde als die empfindlichste aller bis¬ herigen Folgen des Krieges bejammert. Es fehlten also schon die materiellen Mittel zu einem umfassenden, bessernden, weiter blickenden Betriebe. An seiner Stelle hatte man nichts, als die roHe Arbeitskraft der Leibeignen, die auf Kosten der ihnen zugewiesenen Aecker die Ländereien des Herrenhauses mit Hand- und Spanndiensten nach landesüblicher, altüberlieferter Weise zu be¬ stellen hatten. Der Ertrag war war also unendlich dürstig für sie selbst, für den Herrn und für das Gemeinwesen. Die Herren hatten allerdings Mittel genug, sich für den Ausfall zu ent¬ schädigen, nur daß dieser Ersatz gleich verderblich für sie selbst und für den Staat war. Ihr Lieblingsspruch lautete: hochgeboren hochvermögend — mit andern Worten, da der Adel über alle Macht des Staates verfügte, so verstand 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/259>, abgerufen am 23.07.2024.