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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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sind, was die Darstellung des dramatischen Verlaufs betrifft, mit wenig Worten
abgefertigt. Eine solche Enthaltsamkeit ist doch nicht vortheilhaft. Auch was
schon hundertmal erzählt und dem Historiker und Staatsmann alltäglich ist,
müssen wir, die Lesenden, in wirksamer Ausführung fordern, denn wir verlangen
ein Abbild der Vergangenheit, worin auch die Proportionen der dargestellten Be¬
gebenheiten in ihrem Verhältniß zueinander von uns als wahr empfunden werden.
Und grade da, wo in tetaillirter Auseinandersetzung vorzugsweise Ursachen
und Motive aufgedeckt werden, wo dem Lesenden eine angestrengte Thätigkeit
des Verstandes und vielfaches Combiniren nöthig sind, um dem Erzähler zu
folgen, bildet die plastische Anschaulichkeit der Erzählung bei einzelnen großen
Momenten einen nothwendigen Gegensatz, der auch das Gemüth fesselt und
den Proceß der Reception erleichtert. Wenn der Geist des Erzählers, seine
Tüchtigkeit und vornehme Ruhe überall imponiren, so fehlt der Darstellung
doch zuweilen, was ihn uns vertraut macht und unserm Herzen nahe bringt.
Suchet hat nicht die kalte Glätte Rankes, welche den Leser empören kann, wenn
eine kunstvolle Phrase da eintritt, wo wir den warmen Ausdruck von Liebe und
Haß erwarten, er ist nie ohne Gesinnung, im Gegentheil, er fällt auf jeder
Seite ein sicheres und rücksichtsloses Urtheil. Der Leser glaubt an seinen
Charakter, aber er sucht sein Gefühl, er empfindet einen hohen Geist und eine
starke Ueberzeugung, aber es sehlt ein wenig das Behagen. Wol mag es eine
Streitfrage sein, wie weit der Historiker in der Darstellung der Situationen
gehen dürfe. Jede Persönlichkeit wird darin ihr Recht fordern, zu große Vorsicht
wird besser sein, als novellistische Schwatzhaftigkeit; und selbst die brillanten Schil¬
derungen Macaulayö dürfen manchen andern vielleicht grade an Enthaltsamkeit
mahnen. Aber etwas mehr wäre dem vorliegenden Werke nützlich.

Nur soll nicht gesagt sein, daß es der Erzählung an Interesse fehlt, denn
nie ist bis jetzt ver Verlauf der französischen Revolution in so großarti¬
ger Weise dargestellt worden, die Fehler aller Parteien, die Hilflosigkeit deS
Hofes, die Jiuriguen der Demokraten, die Scheußlichkeit und wahnsinnige Ver¬
kehrtheit in den Principien der Jakobiner, das. Assignatenunwesen, die Spo-
liation der Besitzenden, die furchtbare egoistische Politik der Zerstörung. Es ist
fortan einem Deutschen nicht mehr möglich, mit schwacher Gemüthlichkeit die
relative Berechtigung dieser Schurkenwirthschaft zu behaupten. Nie bleibt der
Leser in Unsicherheit über den moralischen Unwerth der einzelnen Thaten, überall
ist mit einer merkwürvig geistvollen Resierioir, ungefähr wie sie der theilnahm¬
volle Richter gegenüber dem Verbrecher übt, auch bei den größten Sündern,
den Girondisten, Danton, Robespierre, ihr innerer Kampf und ihre Gedanken,
welche sich untereinander anklagen und'entschuldigen, bloßgelegt; überall ist auf
die vernünftige Vergeltung hingewiesen, welche die Individuen durch ihre
Thaten richtet und die Völker durch ihre Ideen. Nirgend noch ist die kalte,


sind, was die Darstellung des dramatischen Verlaufs betrifft, mit wenig Worten
abgefertigt. Eine solche Enthaltsamkeit ist doch nicht vortheilhaft. Auch was
schon hundertmal erzählt und dem Historiker und Staatsmann alltäglich ist,
müssen wir, die Lesenden, in wirksamer Ausführung fordern, denn wir verlangen
ein Abbild der Vergangenheit, worin auch die Proportionen der dargestellten Be¬
gebenheiten in ihrem Verhältniß zueinander von uns als wahr empfunden werden.
Und grade da, wo in tetaillirter Auseinandersetzung vorzugsweise Ursachen
und Motive aufgedeckt werden, wo dem Lesenden eine angestrengte Thätigkeit
des Verstandes und vielfaches Combiniren nöthig sind, um dem Erzähler zu
folgen, bildet die plastische Anschaulichkeit der Erzählung bei einzelnen großen
Momenten einen nothwendigen Gegensatz, der auch das Gemüth fesselt und
den Proceß der Reception erleichtert. Wenn der Geist des Erzählers, seine
Tüchtigkeit und vornehme Ruhe überall imponiren, so fehlt der Darstellung
doch zuweilen, was ihn uns vertraut macht und unserm Herzen nahe bringt.
Suchet hat nicht die kalte Glätte Rankes, welche den Leser empören kann, wenn
eine kunstvolle Phrase da eintritt, wo wir den warmen Ausdruck von Liebe und
Haß erwarten, er ist nie ohne Gesinnung, im Gegentheil, er fällt auf jeder
Seite ein sicheres und rücksichtsloses Urtheil. Der Leser glaubt an seinen
Charakter, aber er sucht sein Gefühl, er empfindet einen hohen Geist und eine
starke Ueberzeugung, aber es sehlt ein wenig das Behagen. Wol mag es eine
Streitfrage sein, wie weit der Historiker in der Darstellung der Situationen
gehen dürfe. Jede Persönlichkeit wird darin ihr Recht fordern, zu große Vorsicht
wird besser sein, als novellistische Schwatzhaftigkeit; und selbst die brillanten Schil¬
derungen Macaulayö dürfen manchen andern vielleicht grade an Enthaltsamkeit
mahnen. Aber etwas mehr wäre dem vorliegenden Werke nützlich.

Nur soll nicht gesagt sein, daß es der Erzählung an Interesse fehlt, denn
nie ist bis jetzt ver Verlauf der französischen Revolution in so großarti¬
ger Weise dargestellt worden, die Fehler aller Parteien, die Hilflosigkeit deS
Hofes, die Jiuriguen der Demokraten, die Scheußlichkeit und wahnsinnige Ver¬
kehrtheit in den Principien der Jakobiner, das. Assignatenunwesen, die Spo-
liation der Besitzenden, die furchtbare egoistische Politik der Zerstörung. Es ist
fortan einem Deutschen nicht mehr möglich, mit schwacher Gemüthlichkeit die
relative Berechtigung dieser Schurkenwirthschaft zu behaupten. Nie bleibt der
Leser in Unsicherheit über den moralischen Unwerth der einzelnen Thaten, überall
ist mit einer merkwürvig geistvollen Resierioir, ungefähr wie sie der theilnahm¬
volle Richter gegenüber dem Verbrecher übt, auch bei den größten Sündern,
den Girondisten, Danton, Robespierre, ihr innerer Kampf und ihre Gedanken,
welche sich untereinander anklagen und'entschuldigen, bloßgelegt; überall ist auf
die vernünftige Vergeltung hingewiesen, welche die Individuen durch ihre
Thaten richtet und die Völker durch ihre Ideen. Nirgend noch ist die kalte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/255>, abgerufen am 23.07.2024.