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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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geben, als die Anzeige des Werkes, dessen Titel über dem Anfang dieser
Zeilen steht. Heinrich von Sybel, Professor zu Marburg, ein Historiker
aus Rankes Schule, ist eine Persönlichkeit, an welche man die höchsten
Hoffnungen zu knüpfen berechtigt ist. Vieles Gute und manches Eigen¬
thümliche verdankt er seinem Lehrer, das Beste sich selbst. Wie Ranke besitzt
auch er in ausgezeichneter Weise die Gabe, nach großen Gesichtspunkten die
Fülle des Stoffes zu ordnen, wie dieser eine Freiheit des Geistes, welche
hoch über der Welt der Erscheinungen schwebt und dieselben mit souve¬
ränem Blick nach ihrem innersten Zusammenhange zu verknüpfen und für die
Darstellung organisch zu gliedern weiß: wie dieser eine feine künstlerische Em¬
pfindung für das Wirksame der Komposition und eine umfassende Bildung,
welche jede Aeußerung des Volkslebens als charakterisirendcs Moment zu be¬
nutzen weiß. Auch ihm ist die Darstellung des innerlichsten Zusammenhanges
der Begebenheiten, der Kampf der Interessen und der Parteien viel mehr Haupt¬
sache, als die Schilderung des dramatischen Ausdrucks und der imponirenden
Situationen. Auch ihm hängt die rankesche Maxime an: das Allbekannte
nicht zu sagen. Und auch er versteht, wo es ihm nöthig scheint, mit unüber¬
troffener Meisterschaft sowol Staatsverhältnisse als handelnde Menschen zu
charakterisiren. Eigen aber ist ihm bei aller Ruhe und vornehmen Haltung
eine große ethische Kraft, rücksichtslose Wahrheitsliebe und hohe Energie des
Patriotismus, eine tiefe Verachtung der Phrase und glänzender Sophismen.
Seine Ansicht über die Politik Frankreichs, Rußlands, Oestreichs und Preu¬
ßens ist bis ins Detail herab ganz dieselbe, welche Grundlage des Glaubens¬
bekenntnisses für die große Partei geworden ist, der zu dienen auch der Stolz
dieses Blattes ist. So ist bei ihm ein ungewöhnlicher Scharfblick und staatskluge
Besonnenheit mit einem starken Gewissen und festen politischen Ueberzeugungen
verbunden.

Die Geschichte der sechs Jahre von 1789 bis 1795 wird unter seinen
Händen ein einheitliches historisches Gemälde, welches in drei großen Grup¬
pen von Persönlichkeiten und Ereignissen die ungeheuren Wandlungen dar¬
stellt, durch welche sich auf dem Kontinent Europas der Sturz des mittelalter¬
lichen FeudalstaatS zu Gunsten des modernen Militärstaats vollzieht und die
Grundlage gelegt wird zu der Politik der vier Großmächte des Festlandes,
welche die Gegenwart wie die nächste Zukunft unsers Vaterlandes bestimmen. --
Die drei großen Gruppen von Thatsachen sind der Umsturz des französischen
Königthums durch die demokratische Revolution und die Selbstvernichtung der¬
selben , zweitens die Selbstvernichtung Polens und seine Auflösung durch die
beiden letzten Theilungen, drittens die Selbstzerstörung des deutschen Reiches in
dem ersten Krieg gegen Frankreich und dem erbitterten Kampf preußischer und
östreichischer Interessen. Die genaue Verbindung dieser drei Zersetzungsprocesse


geben, als die Anzeige des Werkes, dessen Titel über dem Anfang dieser
Zeilen steht. Heinrich von Sybel, Professor zu Marburg, ein Historiker
aus Rankes Schule, ist eine Persönlichkeit, an welche man die höchsten
Hoffnungen zu knüpfen berechtigt ist. Vieles Gute und manches Eigen¬
thümliche verdankt er seinem Lehrer, das Beste sich selbst. Wie Ranke besitzt
auch er in ausgezeichneter Weise die Gabe, nach großen Gesichtspunkten die
Fülle des Stoffes zu ordnen, wie dieser eine Freiheit des Geistes, welche
hoch über der Welt der Erscheinungen schwebt und dieselben mit souve¬
ränem Blick nach ihrem innersten Zusammenhange zu verknüpfen und für die
Darstellung organisch zu gliedern weiß: wie dieser eine feine künstlerische Em¬
pfindung für das Wirksame der Komposition und eine umfassende Bildung,
welche jede Aeußerung des Volkslebens als charakterisirendcs Moment zu be¬
nutzen weiß. Auch ihm ist die Darstellung des innerlichsten Zusammenhanges
der Begebenheiten, der Kampf der Interessen und der Parteien viel mehr Haupt¬
sache, als die Schilderung des dramatischen Ausdrucks und der imponirenden
Situationen. Auch ihm hängt die rankesche Maxime an: das Allbekannte
nicht zu sagen. Und auch er versteht, wo es ihm nöthig scheint, mit unüber¬
troffener Meisterschaft sowol Staatsverhältnisse als handelnde Menschen zu
charakterisiren. Eigen aber ist ihm bei aller Ruhe und vornehmen Haltung
eine große ethische Kraft, rücksichtslose Wahrheitsliebe und hohe Energie des
Patriotismus, eine tiefe Verachtung der Phrase und glänzender Sophismen.
Seine Ansicht über die Politik Frankreichs, Rußlands, Oestreichs und Preu¬
ßens ist bis ins Detail herab ganz dieselbe, welche Grundlage des Glaubens¬
bekenntnisses für die große Partei geworden ist, der zu dienen auch der Stolz
dieses Blattes ist. So ist bei ihm ein ungewöhnlicher Scharfblick und staatskluge
Besonnenheit mit einem starken Gewissen und festen politischen Ueberzeugungen
verbunden.

Die Geschichte der sechs Jahre von 1789 bis 1795 wird unter seinen
Händen ein einheitliches historisches Gemälde, welches in drei großen Grup¬
pen von Persönlichkeiten und Ereignissen die ungeheuren Wandlungen dar¬
stellt, durch welche sich auf dem Kontinent Europas der Sturz des mittelalter¬
lichen FeudalstaatS zu Gunsten des modernen Militärstaats vollzieht und die
Grundlage gelegt wird zu der Politik der vier Großmächte des Festlandes,
welche die Gegenwart wie die nächste Zukunft unsers Vaterlandes bestimmen. —
Die drei großen Gruppen von Thatsachen sind der Umsturz des französischen
Königthums durch die demokratische Revolution und die Selbstvernichtung der¬
selben , zweitens die Selbstvernichtung Polens und seine Auflösung durch die
beiden letzten Theilungen, drittens die Selbstzerstörung des deutschen Reiches in
dem ersten Krieg gegen Frankreich und dem erbitterten Kampf preußischer und
östreichischer Interessen. Die genaue Verbindung dieser drei Zersetzungsprocesse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/253>, abgerufen am 23.07.2024.