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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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durch die tiefen, begeisterten Ueberzeugungen Einzelner, immer ist der Kampf
von der Lehre bis zur That bei uns ein gründlicher, tief innerlicher und reiner
gewesen, der langsam, aber zuletzt mit unwiderstehlicher Gewalt unser ganzes
Sein bewegte. Wol hat der Deutsche sich zu Zeiten auch durch das Markt¬
geschrei der Sophisten verführen lassen, aber eine mächtige und folgenschwere
Bestimmung der Individuen zu großem Wollen war bei uns nur möglich, wenn
die edelsten Empfindungen der Nation durch die Besten ihrer Zeit gesteigert
wurden. Schwer und mühsam ist uns der Proceß, daS in That umzusetzen,
was wir als wahr erkannt haben; aber ebendeshalb ist der Kampf auch gründ¬
licher, gewaltiger, und wenn die Zeit zum Entschluß gekommen ist, im Großen
betrachtet edler und-ehrlicher, als z, B. bei den Romanen. So, wenn wir
jetzt an den starken Aufschwung, den die deutsche Geschichtschreibung genommen
hat, auch die Hoffnung knüpfen, daß die neue Bewegung aus dem Kreise der
Gelehrten wieder nach und nach die verschiedenen Schichten des Volkes ergreifen
werde, erwarten wir nichts Befremdliches und Unerhörtes. Denn wer als ein
Mann lehrt, mit steter Ueberzeugung in edler Art, der findet in Deutschland jetzt
Hunderttausende, welche seinen Worten warme Empfänglichkeit entgegenbringen,
und schnell verwandelt sich das edle Metall seiner Rede in gute Münze, welche
durch das ganze Land von Haus zu Haus rollt. Grau und arm an Licht ist
der politische Himmel, welcher über den deutschen Staaten hängt. Nicht
wenige gibt es, und es sind nicht grade die schlechtesten Männer, welche nur
Unheil, Verwirrung und Schmach von unsrer nächsten Zukunft erwarten.
Solche Mutlosigkeit hat kein Recht. Noch gibt eS weite Gebiete im deutschen
Leben, in denen wir nicht schwach, nicht rathlos und nicht unbehilflich gewor¬
den sind; ja über den widerwärtigen Erscheinungen des Tages erheben sich
schon jetzt die ersten Wahrzeichen eines bessern Lebens. Für das dämmerige
Träumen und die unsichern Forderungen des vergangenen Jahrzehnts, für das
phantasievolle Genießen und das abenteuerliche Hoffen ist uns das nüchterne Licht
der Erkenntniß gekommen. Die Gegensätze haben sich geschieden, die großen
Forderungen der Nation sind formulirt. Wir wissen, was wir wollen, und
in deutscher Weise hat die Arbeit begonnen, dies Wollen populär zu machen.
Ein großer Wille, ein erreichbares Ziel, praktische und unsrer Natur angemessene
Mittel, dasselbe zu erreichen I Wer das nicht anerkennt, der nehme den Kampf
deutscher Wissenschaft in sich auf. Sicher kommt ihm dann die Ueberzeugung,
daß wir grade jetzt etwas haben, wofür es sich zu leben lohnt; ja - vielleicht
empfindet er ahnend schon jetzt, was einst das letzte Urtheil unsrer Nachkommen
sein wird, daß grade die Gegenwart der Anfang einer großen deutschen Zeit,
und wer darin lebte und sich an dem Kampfe betheiligte, glücklich zu prei¬
sen ist.

Keine bessere Gelegenheit gibt eS, solchen Betrachtungen Ausdruck zu


durch die tiefen, begeisterten Ueberzeugungen Einzelner, immer ist der Kampf
von der Lehre bis zur That bei uns ein gründlicher, tief innerlicher und reiner
gewesen, der langsam, aber zuletzt mit unwiderstehlicher Gewalt unser ganzes
Sein bewegte. Wol hat der Deutsche sich zu Zeiten auch durch das Markt¬
geschrei der Sophisten verführen lassen, aber eine mächtige und folgenschwere
Bestimmung der Individuen zu großem Wollen war bei uns nur möglich, wenn
die edelsten Empfindungen der Nation durch die Besten ihrer Zeit gesteigert
wurden. Schwer und mühsam ist uns der Proceß, daS in That umzusetzen,
was wir als wahr erkannt haben; aber ebendeshalb ist der Kampf auch gründ¬
licher, gewaltiger, und wenn die Zeit zum Entschluß gekommen ist, im Großen
betrachtet edler und-ehrlicher, als z, B. bei den Romanen. So, wenn wir
jetzt an den starken Aufschwung, den die deutsche Geschichtschreibung genommen
hat, auch die Hoffnung knüpfen, daß die neue Bewegung aus dem Kreise der
Gelehrten wieder nach und nach die verschiedenen Schichten des Volkes ergreifen
werde, erwarten wir nichts Befremdliches und Unerhörtes. Denn wer als ein
Mann lehrt, mit steter Ueberzeugung in edler Art, der findet in Deutschland jetzt
Hunderttausende, welche seinen Worten warme Empfänglichkeit entgegenbringen,
und schnell verwandelt sich das edle Metall seiner Rede in gute Münze, welche
durch das ganze Land von Haus zu Haus rollt. Grau und arm an Licht ist
der politische Himmel, welcher über den deutschen Staaten hängt. Nicht
wenige gibt es, und es sind nicht grade die schlechtesten Männer, welche nur
Unheil, Verwirrung und Schmach von unsrer nächsten Zukunft erwarten.
Solche Mutlosigkeit hat kein Recht. Noch gibt eS weite Gebiete im deutschen
Leben, in denen wir nicht schwach, nicht rathlos und nicht unbehilflich gewor¬
den sind; ja über den widerwärtigen Erscheinungen des Tages erheben sich
schon jetzt die ersten Wahrzeichen eines bessern Lebens. Für das dämmerige
Träumen und die unsichern Forderungen des vergangenen Jahrzehnts, für das
phantasievolle Genießen und das abenteuerliche Hoffen ist uns das nüchterne Licht
der Erkenntniß gekommen. Die Gegensätze haben sich geschieden, die großen
Forderungen der Nation sind formulirt. Wir wissen, was wir wollen, und
in deutscher Weise hat die Arbeit begonnen, dies Wollen populär zu machen.
Ein großer Wille, ein erreichbares Ziel, praktische und unsrer Natur angemessene
Mittel, dasselbe zu erreichen I Wer das nicht anerkennt, der nehme den Kampf
deutscher Wissenschaft in sich auf. Sicher kommt ihm dann die Ueberzeugung,
daß wir grade jetzt etwas haben, wofür es sich zu leben lohnt; ja - vielleicht
empfindet er ahnend schon jetzt, was einst das letzte Urtheil unsrer Nachkommen
sein wird, daß grade die Gegenwart der Anfang einer großen deutschen Zeit,
und wer darin lebte und sich an dem Kampfe betheiligte, glücklich zu prei¬
sen ist.

Keine bessere Gelegenheit gibt eS, solchen Betrachtungen Ausdruck zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/252>, abgerufen am 23.07.2024.