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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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ähnliche Aeußerungen seinem Kaiser, fügte hinzu, daß ihm selbst kein Zweifel daran
sei, daß England sich mit Frankreich verbünden werde. Herr von Brünnow
berichtete von London aus, daß die öffentliche Meinung das Ministerium zum
Bündniß zwingen werde. Der Kaiser blieb ungerührt; er vertraute darauf,
daß Lord Aberdeen zu den Leuten gehörte, deren Jugend in das Jahr 181i
fällt und die daher nicht von der Besorgniß vor Frankreich und von dem
Glauben lassen können, daß das Bündniß von Chaumont die Basis auch noch
der heutigen Politik sein müsse.

Man hat, wie gesagt, in Rußland auch später an dem Glauben festgehal¬
ten, daß eine englisch-französische Allianz ein Unding sei. Will man die
Gründe für diesen Glauben wissen, so braucht man nur die Kreuzzeitung zu
lesen, deren Gedanken gleichfalls in den Erinnerungen von l81i festgefroren
sind. "Anders, begreif ich wohl, gestaltet sich in solchem Kopf die Welt." In
Berlin, und zwar nicht in den Kreisen der Literaten und Privaten fragt man
gewissermaßen noch jetzt je°den Tag, ob die Armee von Se. Omer noch nicht
eingeschifft sei, um über den Kanal zu setzen und England zu erobern.

Rußland hat aber auch wirklich Versuche gemacht, das englisch-französische
Bündniß zur Auflösung zu bringen. Mit dem Fall von Sebastopol glaubte
Rußland den Augenblick dazu gekommen. Schon früher waren rein privative
Freundlichkeiten zwischen Mitgliedern der kaiserlich russischen Familie und der
Prinzessin Mathilde, frühere Fürstin Demidoff, ausgetauscht, im September be¬
gann man eine politische Verbindung anzuknüpfen und es war einer der deut¬
schen Mittelstaaten, der es übernahm, einen Separatfrieden zwischen Rußland
und Frankreich' zu Stande zu bringen. Es wurden von Rußland in Betreff
der orientalischen Frage die Concessionen gemacht, welche später in dem Circu-
lar vom 22. December niedergelegt sind, außerdem aber Frankreich noch specielle
Vortheile in Aussicht gestellt.

Frankreich widerstand indeß diesen Versuche". Ging der Kaiser Napoleon
auf den Plan eines Separatfriedens mit Rußland ein, so war damit freilich
dem französischen Ehrgeize das weiteste Feld geöffnet, ein solcher Friede führte
unmittelbar zu einer Allianz der beiden kriegerischesten und offensipesten Gro߬
mächte, weite Lcindcrstrecken wurden der Preis und die Beute dieses Bündnisses,
aber auf der andern S.eile enthielt dieser Separatfriede einen Bruch der feierlich
gegen England übernommenen Verpflichtungen und warf den Neffen auf die
verhängnißvolle Bahn des Onkels. Der Kaiser Napoleon lehnte die ihm ge¬
machten Eröffnungen ab und theilte den russischen Versuch nach Wien und
London mit. Rußland hatte sich selbst eine Grube gegraben. Denn als man
in Wien die Nachricht von der Gefahr erhielt, in der man geschwebt hatte,
der Gefahr, einem zweiten Erfurt, einem zweiten 1809 entgegenzugehen, ent¬
schloß man sich rasch, und entwarf jene Vorschläge, die in ihrer in Paris und


ähnliche Aeußerungen seinem Kaiser, fügte hinzu, daß ihm selbst kein Zweifel daran
sei, daß England sich mit Frankreich verbünden werde. Herr von Brünnow
berichtete von London aus, daß die öffentliche Meinung das Ministerium zum
Bündniß zwingen werde. Der Kaiser blieb ungerührt; er vertraute darauf,
daß Lord Aberdeen zu den Leuten gehörte, deren Jugend in das Jahr 181i
fällt und die daher nicht von der Besorgniß vor Frankreich und von dem
Glauben lassen können, daß das Bündniß von Chaumont die Basis auch noch
der heutigen Politik sein müsse.

Man hat, wie gesagt, in Rußland auch später an dem Glauben festgehal¬
ten, daß eine englisch-französische Allianz ein Unding sei. Will man die
Gründe für diesen Glauben wissen, so braucht man nur die Kreuzzeitung zu
lesen, deren Gedanken gleichfalls in den Erinnerungen von l81i festgefroren
sind. „Anders, begreif ich wohl, gestaltet sich in solchem Kopf die Welt." In
Berlin, und zwar nicht in den Kreisen der Literaten und Privaten fragt man
gewissermaßen noch jetzt je°den Tag, ob die Armee von Se. Omer noch nicht
eingeschifft sei, um über den Kanal zu setzen und England zu erobern.

Rußland hat aber auch wirklich Versuche gemacht, das englisch-französische
Bündniß zur Auflösung zu bringen. Mit dem Fall von Sebastopol glaubte
Rußland den Augenblick dazu gekommen. Schon früher waren rein privative
Freundlichkeiten zwischen Mitgliedern der kaiserlich russischen Familie und der
Prinzessin Mathilde, frühere Fürstin Demidoff, ausgetauscht, im September be¬
gann man eine politische Verbindung anzuknüpfen und es war einer der deut¬
schen Mittelstaaten, der es übernahm, einen Separatfrieden zwischen Rußland
und Frankreich' zu Stande zu bringen. Es wurden von Rußland in Betreff
der orientalischen Frage die Concessionen gemacht, welche später in dem Circu-
lar vom 22. December niedergelegt sind, außerdem aber Frankreich noch specielle
Vortheile in Aussicht gestellt.

Frankreich widerstand indeß diesen Versuche». Ging der Kaiser Napoleon
auf den Plan eines Separatfriedens mit Rußland ein, so war damit freilich
dem französischen Ehrgeize das weiteste Feld geöffnet, ein solcher Friede führte
unmittelbar zu einer Allianz der beiden kriegerischesten und offensipesten Gro߬
mächte, weite Lcindcrstrecken wurden der Preis und die Beute dieses Bündnisses,
aber auf der andern S.eile enthielt dieser Separatfriede einen Bruch der feierlich
gegen England übernommenen Verpflichtungen und warf den Neffen auf die
verhängnißvolle Bahn des Onkels. Der Kaiser Napoleon lehnte die ihm ge¬
machten Eröffnungen ab und theilte den russischen Versuch nach Wien und
London mit. Rußland hatte sich selbst eine Grube gegraben. Denn als man
in Wien die Nachricht von der Gefahr erhielt, in der man geschwebt hatte,
der Gefahr, einem zweiten Erfurt, einem zweiten 1809 entgegenzugehen, ent¬
schloß man sich rasch, und entwarf jene Vorschläge, die in ihrer in Paris und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/244>, abgerufen am 25.08.2024.