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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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reich und namentlich England neue Friedensbedingungen zum Vorschein brach¬
ten, erklärte Oestreich sich im Allgemeinen damit einverstanden, verweigerte
aber, dieselben in seine Vorschläge formulirt aufzunehmen. Allerdings hat
Graf Buol im Allgemeinen Nußland davon in Kenntniß gesetzt, was Neues
von den Westmächten verlangt und von Oestreich gebilligt werde, aber er hat
'keine Formulirung derselben vorgebracht. Es sind vier Punkte, welche Oestreich in
Se. Petersburg als unter den eonclitlons partiouliöriZZ begriffen namhaft machte:
1) Nichtbefestigung der Alandsinseln, 2) Rectification der astatischen Grenze,
3) die Theilnahme Sardiniens am Frieden und ein vierter, der mir unbekannt
ist, der aber keinesfalls, wie die englischen Zeitungen angeben, die Consulate
in den russischen Häfen des schwarzen Meeres betrifft.

Rußland hatte nicht ganz Unrecht, wenn es in seiner bisher nicht ver¬
öffentlichten Depesche vom 6. Januar erklärt, daß es die ooncMicms partieu-
lisres nicht annehmen könne, weil es nicht wisse, was darunter verständen
werde. Denn wenigstens bei der zweiten Bedingung kommt eitles aus die
nähere Formulirung an.

Erst jetzt findet zwischen Paris und London ein lebhafter Depeschenwcchsel
über die Formulirung dieser Punkte statt, oder ist vielmehr grade beendet;
aber mit Oestreich ist noch nicht einmal der Versuch dieser Einigung gemacht
worden.

Hier liegt also der Punkt, wo Rußland hoffen darf, daß es, ihm noch
einmal gelingt, die Allianz eines seiner continentalen Grenznachbarn mit den
Westmächten zu verhindern. Sollte ihm das aber gelingen, so wird es sich
schwerlich zu einem Frieden bereit finden lassen, der ihm die Abtretung von
Land und Leuten auferlegt und jeden künftigen russischen Angriff gegen die
Türkei zu einer Verletzung des positiven und geschriebenen europäischen Völker--
rechts macht, kurz das Prälegat und Präcipuum aus der türkischen Erbschaft
aushebt, auf welches sich Rußland seit einem Jahrhundert sichere Rechnung
gemacht hatte.

Rußland wird bei den Friedensverhandlungen ohne Zweifel zugleich noch
den Versuch machen, die Allianz zwischen Frankreich und England zu sprengen.
Der Kaiser Nikolaus glaubte nicht, daß diese Allianz möglich sei, sein Nach¬
folger hat noch bis vor wenigen Wochen gehofft, daß es möglich sei, dieselbe
rückgängig zu machen.

Der Kaiser Nikolaus, den man in Berlin so gern den Großen nennen möchte,
war durch nichts zu bewegen, an diese Allianz zu glauben. .Drouyn de L'huyS,
damals Minister der auswärtigen Angelegenheiten, sagte im Jahre 1833 jedem,
der es hören wollte: "Wir werden eine Allianz mit England zu Stande bringen,
wir werden dann Krieg machen, und werden schließlich ganz Europa zu einen
Kreuzzug gegen Rußland vereinigen." Herr von Kisselew berichtete diese und


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reich und namentlich England neue Friedensbedingungen zum Vorschein brach¬
ten, erklärte Oestreich sich im Allgemeinen damit einverstanden, verweigerte
aber, dieselben in seine Vorschläge formulirt aufzunehmen. Allerdings hat
Graf Buol im Allgemeinen Nußland davon in Kenntniß gesetzt, was Neues
von den Westmächten verlangt und von Oestreich gebilligt werde, aber er hat
'keine Formulirung derselben vorgebracht. Es sind vier Punkte, welche Oestreich in
Se. Petersburg als unter den eonclitlons partiouliöriZZ begriffen namhaft machte:
1) Nichtbefestigung der Alandsinseln, 2) Rectification der astatischen Grenze,
3) die Theilnahme Sardiniens am Frieden und ein vierter, der mir unbekannt
ist, der aber keinesfalls, wie die englischen Zeitungen angeben, die Consulate
in den russischen Häfen des schwarzen Meeres betrifft.

Rußland hatte nicht ganz Unrecht, wenn es in seiner bisher nicht ver¬
öffentlichten Depesche vom 6. Januar erklärt, daß es die ooncMicms partieu-
lisres nicht annehmen könne, weil es nicht wisse, was darunter verständen
werde. Denn wenigstens bei der zweiten Bedingung kommt eitles aus die
nähere Formulirung an.

Erst jetzt findet zwischen Paris und London ein lebhafter Depeschenwcchsel
über die Formulirung dieser Punkte statt, oder ist vielmehr grade beendet;
aber mit Oestreich ist noch nicht einmal der Versuch dieser Einigung gemacht
worden.

Hier liegt also der Punkt, wo Rußland hoffen darf, daß es, ihm noch
einmal gelingt, die Allianz eines seiner continentalen Grenznachbarn mit den
Westmächten zu verhindern. Sollte ihm das aber gelingen, so wird es sich
schwerlich zu einem Frieden bereit finden lassen, der ihm die Abtretung von
Land und Leuten auferlegt und jeden künftigen russischen Angriff gegen die
Türkei zu einer Verletzung des positiven und geschriebenen europäischen Völker--
rechts macht, kurz das Prälegat und Präcipuum aus der türkischen Erbschaft
aushebt, auf welches sich Rußland seit einem Jahrhundert sichere Rechnung
gemacht hatte.

Rußland wird bei den Friedensverhandlungen ohne Zweifel zugleich noch
den Versuch machen, die Allianz zwischen Frankreich und England zu sprengen.
Der Kaiser Nikolaus glaubte nicht, daß diese Allianz möglich sei, sein Nach¬
folger hat noch bis vor wenigen Wochen gehofft, daß es möglich sei, dieselbe
rückgängig zu machen.

Der Kaiser Nikolaus, den man in Berlin so gern den Großen nennen möchte,
war durch nichts zu bewegen, an diese Allianz zu glauben. .Drouyn de L'huyS,
damals Minister der auswärtigen Angelegenheiten, sagte im Jahre 1833 jedem,
der es hören wollte: „Wir werden eine Allianz mit England zu Stande bringen,
wir werden dann Krieg machen, und werden schließlich ganz Europa zu einen
Kreuzzug gegen Rußland vereinigen." Herr von Kisselew berichtete diese und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/243>, abgerufen am 24.07.2024.