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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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lassen. ' Widerstrebend und lässig fügte sich der ewige Lieutenant der schwachen
Gewalt seines Hauptmanns, den er an militärischer Tüchtigkeit vielleicht übersah
oder dessen Persönlichkeit er verachten mußte. Bei einer Compagnie gab ein
Lieutenant einigen Soldaten Geld, damit sie zum Verdruß des Hauptmanns
bei der Besichtigung vorschießen möchten. Es geschah. Der Hauptmann
commandirte richtig, aber die bestochenen Bengel schössen vor, das ganze Re¬
giment kam ins Plackern und der Hauptmann hatte die schwersten Unan¬
nehmlichkeiten. Selbstgefühl für sein Regiment hatte der Offizier nicht, denn
-nach beendigtem Feldzuge kehrte er vielleicht auf immer zu seiner Schloßwache
zurück, seinen Obersten haßte er als einen unbequemen Zuchtmeister, wie sein
Stand den Fürsten haßte, der jenen eingesetzt, was konnten selbst einzelne
tüchtige Commandeure ausrichten gegen die allgemeine träge Gleichgiltigkeit?
Bequemer Genuß der Aemter trat an Stelle von Ehrgeiz und Pflichttreue,
weite Gewissen erhöhten die Einkünfte und Lebeusannehmlichkeiten. Halbe
Compagnien standen nur auf dem Papier und dabei wurde Kleidung, Geld
und Brot von den Ständen ruhig fortgezahlt.

Für ein Contingentsregiment hätte man drei in,Oestreich oder Preu¬
ßen halten können. "Oft" heißt es, "geht diese Prellerei sogar ins schmuzige
und das ist doch gar nicht hübsch! Ich weiß, daß z. B. die Feldkesfel beinahe
jedes Jahr von den Ständen bezahlt werden und das in solcher Menge, daß
sie für die Truppen, wenn sie ganz vollzählig wären, vollkommen zureichten.
Aber ich habe gesehen^ beim schwäbischen Corps und anderwärts, daß nicht
einmal so viele Feldkessel da waren, als nur für die wenige im Lager stehende
Mannschaft erfordert wurden. Zwei, drei Zelte müssen in einem Kessel zu¬
sammen kochen und die, welche noch da waren, waren alte, verdorbene Gefäße.
Feldflaschen sind beinahe gar nicht da; Beile, Hacken, Spaten und Aerte
fehlen gänzlich, und die Zelte, die doch oft genug neu bezahlt werden, sind
zerrissen und vermodert. Lagerstroh wird genug verrechnet auf dem Papier,
aber die Soldaten liegen fast auf der bloßen Erde. DaS und noch viel mehr
geht doch ohne Widerrede ins schmuzige. Aber es muß ja doch alles etwas
beitragen, die erbärmliche Gestalt der hochlöblichen Reichsarmee noch erbärm¬
licher darzustellen." --

Die Tugenden, welche den Offizierstand zieren, stimmen den Soldaten
ganz von selbst zu Gehorsam und Achtung; oben kein Werth -- unten Zucht-
lostgkeit. Fehlt der freudige Gehorsam dem Offizier, so ist keine Subordination
in allen Schichten. -- Damit stand es traurig bei der Reichsarmee. Nirgend
wurde so viel befohlen und so wenig gethan. Excesse, welche in jeder andern
Armee das Standrecht geahndet hätte, gingen straflos durch; die Proben,
welche in Lagern und auf Märschen Wetter und Mangel der Mannszucht
auflegen, wurden schmachvoll bestanden. Sausen und Spielen, Marodiren und


Grenzboten. I. -I8SV, 28

lassen. ' Widerstrebend und lässig fügte sich der ewige Lieutenant der schwachen
Gewalt seines Hauptmanns, den er an militärischer Tüchtigkeit vielleicht übersah
oder dessen Persönlichkeit er verachten mußte. Bei einer Compagnie gab ein
Lieutenant einigen Soldaten Geld, damit sie zum Verdruß des Hauptmanns
bei der Besichtigung vorschießen möchten. Es geschah. Der Hauptmann
commandirte richtig, aber die bestochenen Bengel schössen vor, das ganze Re¬
giment kam ins Plackern und der Hauptmann hatte die schwersten Unan¬
nehmlichkeiten. Selbstgefühl für sein Regiment hatte der Offizier nicht, denn
-nach beendigtem Feldzuge kehrte er vielleicht auf immer zu seiner Schloßwache
zurück, seinen Obersten haßte er als einen unbequemen Zuchtmeister, wie sein
Stand den Fürsten haßte, der jenen eingesetzt, was konnten selbst einzelne
tüchtige Commandeure ausrichten gegen die allgemeine träge Gleichgiltigkeit?
Bequemer Genuß der Aemter trat an Stelle von Ehrgeiz und Pflichttreue,
weite Gewissen erhöhten die Einkünfte und Lebeusannehmlichkeiten. Halbe
Compagnien standen nur auf dem Papier und dabei wurde Kleidung, Geld
und Brot von den Ständen ruhig fortgezahlt.

Für ein Contingentsregiment hätte man drei in,Oestreich oder Preu¬
ßen halten können. „Oft" heißt es, „geht diese Prellerei sogar ins schmuzige
und das ist doch gar nicht hübsch! Ich weiß, daß z. B. die Feldkesfel beinahe
jedes Jahr von den Ständen bezahlt werden und das in solcher Menge, daß
sie für die Truppen, wenn sie ganz vollzählig wären, vollkommen zureichten.
Aber ich habe gesehen^ beim schwäbischen Corps und anderwärts, daß nicht
einmal so viele Feldkessel da waren, als nur für die wenige im Lager stehende
Mannschaft erfordert wurden. Zwei, drei Zelte müssen in einem Kessel zu¬
sammen kochen und die, welche noch da waren, waren alte, verdorbene Gefäße.
Feldflaschen sind beinahe gar nicht da; Beile, Hacken, Spaten und Aerte
fehlen gänzlich, und die Zelte, die doch oft genug neu bezahlt werden, sind
zerrissen und vermodert. Lagerstroh wird genug verrechnet auf dem Papier,
aber die Soldaten liegen fast auf der bloßen Erde. DaS und noch viel mehr
geht doch ohne Widerrede ins schmuzige. Aber es muß ja doch alles etwas
beitragen, die erbärmliche Gestalt der hochlöblichen Reichsarmee noch erbärm¬
licher darzustellen." —

Die Tugenden, welche den Offizierstand zieren, stimmen den Soldaten
ganz von selbst zu Gehorsam und Achtung; oben kein Werth — unten Zucht-
lostgkeit. Fehlt der freudige Gehorsam dem Offizier, so ist keine Subordination
in allen Schichten. — Damit stand es traurig bei der Reichsarmee. Nirgend
wurde so viel befohlen und so wenig gethan. Excesse, welche in jeder andern
Armee das Standrecht geahndet hätte, gingen straflos durch; die Proben,
welche in Lagern und auf Märschen Wetter und Mangel der Mannszucht
auflegen, wurden schmachvoll bestanden. Sausen und Spielen, Marodiren und


Grenzboten. I. -I8SV, 28
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[0225] lassen. ' Widerstrebend und lässig fügte sich der ewige Lieutenant der schwachen Gewalt seines Hauptmanns, den er an militärischer Tüchtigkeit vielleicht übersah oder dessen Persönlichkeit er verachten mußte. Bei einer Compagnie gab ein Lieutenant einigen Soldaten Geld, damit sie zum Verdruß des Hauptmanns bei der Besichtigung vorschießen möchten. Es geschah. Der Hauptmann commandirte richtig, aber die bestochenen Bengel schössen vor, das ganze Re¬ giment kam ins Plackern und der Hauptmann hatte die schwersten Unan¬ nehmlichkeiten. Selbstgefühl für sein Regiment hatte der Offizier nicht, denn -nach beendigtem Feldzuge kehrte er vielleicht auf immer zu seiner Schloßwache zurück, seinen Obersten haßte er als einen unbequemen Zuchtmeister, wie sein Stand den Fürsten haßte, der jenen eingesetzt, was konnten selbst einzelne tüchtige Commandeure ausrichten gegen die allgemeine träge Gleichgiltigkeit? Bequemer Genuß der Aemter trat an Stelle von Ehrgeiz und Pflichttreue, weite Gewissen erhöhten die Einkünfte und Lebeusannehmlichkeiten. Halbe Compagnien standen nur auf dem Papier und dabei wurde Kleidung, Geld und Brot von den Ständen ruhig fortgezahlt. Für ein Contingentsregiment hätte man drei in,Oestreich oder Preu¬ ßen halten können. „Oft" heißt es, „geht diese Prellerei sogar ins schmuzige und das ist doch gar nicht hübsch! Ich weiß, daß z. B. die Feldkesfel beinahe jedes Jahr von den Ständen bezahlt werden und das in solcher Menge, daß sie für die Truppen, wenn sie ganz vollzählig wären, vollkommen zureichten. Aber ich habe gesehen^ beim schwäbischen Corps und anderwärts, daß nicht einmal so viele Feldkessel da waren, als nur für die wenige im Lager stehende Mannschaft erfordert wurden. Zwei, drei Zelte müssen in einem Kessel zu¬ sammen kochen und die, welche noch da waren, waren alte, verdorbene Gefäße. Feldflaschen sind beinahe gar nicht da; Beile, Hacken, Spaten und Aerte fehlen gänzlich, und die Zelte, die doch oft genug neu bezahlt werden, sind zerrissen und vermodert. Lagerstroh wird genug verrechnet auf dem Papier, aber die Soldaten liegen fast auf der bloßen Erde. DaS und noch viel mehr geht doch ohne Widerrede ins schmuzige. Aber es muß ja doch alles etwas beitragen, die erbärmliche Gestalt der hochlöblichen Reichsarmee noch erbärm¬ licher darzustellen." — Die Tugenden, welche den Offizierstand zieren, stimmen den Soldaten ganz von selbst zu Gehorsam und Achtung; oben kein Werth — unten Zucht- lostgkeit. Fehlt der freudige Gehorsam dem Offizier, so ist keine Subordination in allen Schichten. — Damit stand es traurig bei der Reichsarmee. Nirgend wurde so viel befohlen und so wenig gethan. Excesse, welche in jeder andern Armee das Standrecht geahndet hätte, gingen straflos durch; die Proben, welche in Lagern und auf Märschen Wetter und Mangel der Mannszucht auflegen, wurden schmachvoll bestanden. Sausen und Spielen, Marodiren und Grenzboten. I. -I8SV, 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/225>, abgerufen am 23.07.2024.