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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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die Zahl der Geschütze unzureichend; jeder Stand hatte anderes Caliber als
der andere. Kugeln, welche in den ulmer Dreipfünder paßten, waren für den
Stuttgarter Dreipfünder nicht zu gebrauchen. Dazu waren die meisten Röhre
ausgeschossen, die Lafetten morsch und untauglich. In ganz Schwaben war
nicht so viel Munition vorhanden, um nur eine Festung aus drei Batterien
einen einzigen Tag über zu beschießen. -- Die Rcichsartilleristen waren ebenso
erbärmlich, als ihr Geschütz und Munition; in Friedenszeit hielt man keine
Kanoniere und bei entstehenden Kriege lernte der Soldat Hals über Kopf
seine Kanone laden und abfeuern und damit war die ganze Ausbildung ge¬
schehen. Reitende Artillerie kannte man nicht. --

Die Unterhaltung der Reichstruppen verblieb den Ständen; jeder Stand,
Fürst, Graf, Reichsstadt, Kloster trug seinem Offizier oder Korporal die Für¬
sorge für das ständische Contingent auf. Gehörte z. B. eine Compagnie zu
sechserlei Herrn, so besorgte die Verpflegung des ersten der Hauptmann, die
des zweiten der Oberlieutenant, die des dritten der Fähndrich, des vierten
der Unterlieutenant, des fünften ein Feldwebel, des sechsten der Fourier. Dieser
Einrichtung gemäß war derjenige Vorgesetzte, von welchem der Soldat seine
Bedürfnisse empfing, ihm der nächste und wichtigste und nur bei den Leuten
seines Standes konnte der Hauptmann das höchste Ansehn genießen. Dazu
kam, daß die Provisionen der Stände untereinander wieder sehr verschieden
waren; einer gab seinem Soldaten mehre Gulden monatlich, der andere kaum
einen, dieser lieferte lederne, jener tuchene Beinkleider. Von einem Herrn
bekam der Soldat gute Hemden, Strümpfe und Schuhe, ein anderer ließ den
seinen barfuß laufen. Der Hauptmann hatte wenig Sorge um seine Com¬
pagnie: wer klagte, ward an den Vertreter seines Standes gewiesen; verkürzte
ihn dieser, so mochte er sehen, wo er Recht bekam. -- Hader und Gehässigkeit
wucherten üppig unter der ungleich gehaltenen Mannschaft. --

Wenn wir nach dieser Betrachtung der organischen Bildung auf den Geist
der Reichsarmee eingehen wollen, so müssen wir denselben zunächst bei ihren
allmäligen Tragen, den Offizieren suchen. --

Die Reichsarmee, aus all den kleinen Ständen und Ständchen zusammen¬
gesetzt, von denen einer den andern haßte mit philiströser Entfremdung und
religiöser Unduldsamkeit, schlimmer als den Feind, der Hesse den Baier, der
Frankfurter den Schwaben und der Mainzer den Frankfurter, diese elende
Armee hatte kein Vaterland, kein gemeinsames Kampfziel, welches sie hätte
zu Soldaten machen können. Konnte sich da der Offizier begeistert fühlen?
Er war ja auch selbst kein Soldat, denn er diente nicht aus Neigung und
Beruf, nur des Aemtchens wegen führte er den Degen^, von dem den meisten
nichts an der Wiege gesungen war. Einigkeit untereinander, militärisches
Streben war unmöglich, denn mit der Stelle konnte sich der Ehrgeiz begraben


die Zahl der Geschütze unzureichend; jeder Stand hatte anderes Caliber als
der andere. Kugeln, welche in den ulmer Dreipfünder paßten, waren für den
Stuttgarter Dreipfünder nicht zu gebrauchen. Dazu waren die meisten Röhre
ausgeschossen, die Lafetten morsch und untauglich. In ganz Schwaben war
nicht so viel Munition vorhanden, um nur eine Festung aus drei Batterien
einen einzigen Tag über zu beschießen. — Die Rcichsartilleristen waren ebenso
erbärmlich, als ihr Geschütz und Munition; in Friedenszeit hielt man keine
Kanoniere und bei entstehenden Kriege lernte der Soldat Hals über Kopf
seine Kanone laden und abfeuern und damit war die ganze Ausbildung ge¬
schehen. Reitende Artillerie kannte man nicht. —

Die Unterhaltung der Reichstruppen verblieb den Ständen; jeder Stand,
Fürst, Graf, Reichsstadt, Kloster trug seinem Offizier oder Korporal die Für¬
sorge für das ständische Contingent auf. Gehörte z. B. eine Compagnie zu
sechserlei Herrn, so besorgte die Verpflegung des ersten der Hauptmann, die
des zweiten der Oberlieutenant, die des dritten der Fähndrich, des vierten
der Unterlieutenant, des fünften ein Feldwebel, des sechsten der Fourier. Dieser
Einrichtung gemäß war derjenige Vorgesetzte, von welchem der Soldat seine
Bedürfnisse empfing, ihm der nächste und wichtigste und nur bei den Leuten
seines Standes konnte der Hauptmann das höchste Ansehn genießen. Dazu
kam, daß die Provisionen der Stände untereinander wieder sehr verschieden
waren; einer gab seinem Soldaten mehre Gulden monatlich, der andere kaum
einen, dieser lieferte lederne, jener tuchene Beinkleider. Von einem Herrn
bekam der Soldat gute Hemden, Strümpfe und Schuhe, ein anderer ließ den
seinen barfuß laufen. Der Hauptmann hatte wenig Sorge um seine Com¬
pagnie: wer klagte, ward an den Vertreter seines Standes gewiesen; verkürzte
ihn dieser, so mochte er sehen, wo er Recht bekam. — Hader und Gehässigkeit
wucherten üppig unter der ungleich gehaltenen Mannschaft. —

Wenn wir nach dieser Betrachtung der organischen Bildung auf den Geist
der Reichsarmee eingehen wollen, so müssen wir denselben zunächst bei ihren
allmäligen Tragen, den Offizieren suchen. —

Die Reichsarmee, aus all den kleinen Ständen und Ständchen zusammen¬
gesetzt, von denen einer den andern haßte mit philiströser Entfremdung und
religiöser Unduldsamkeit, schlimmer als den Feind, der Hesse den Baier, der
Frankfurter den Schwaben und der Mainzer den Frankfurter, diese elende
Armee hatte kein Vaterland, kein gemeinsames Kampfziel, welches sie hätte
zu Soldaten machen können. Konnte sich da der Offizier begeistert fühlen?
Er war ja auch selbst kein Soldat, denn er diente nicht aus Neigung und
Beruf, nur des Aemtchens wegen führte er den Degen^, von dem den meisten
nichts an der Wiege gesungen war. Einigkeit untereinander, militärisches
Streben war unmöglich, denn mit der Stelle konnte sich der Ehrgeiz begraben


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[0224] die Zahl der Geschütze unzureichend; jeder Stand hatte anderes Caliber als der andere. Kugeln, welche in den ulmer Dreipfünder paßten, waren für den Stuttgarter Dreipfünder nicht zu gebrauchen. Dazu waren die meisten Röhre ausgeschossen, die Lafetten morsch und untauglich. In ganz Schwaben war nicht so viel Munition vorhanden, um nur eine Festung aus drei Batterien einen einzigen Tag über zu beschießen. — Die Rcichsartilleristen waren ebenso erbärmlich, als ihr Geschütz und Munition; in Friedenszeit hielt man keine Kanoniere und bei entstehenden Kriege lernte der Soldat Hals über Kopf seine Kanone laden und abfeuern und damit war die ganze Ausbildung ge¬ schehen. Reitende Artillerie kannte man nicht. — Die Unterhaltung der Reichstruppen verblieb den Ständen; jeder Stand, Fürst, Graf, Reichsstadt, Kloster trug seinem Offizier oder Korporal die Für¬ sorge für das ständische Contingent auf. Gehörte z. B. eine Compagnie zu sechserlei Herrn, so besorgte die Verpflegung des ersten der Hauptmann, die des zweiten der Oberlieutenant, die des dritten der Fähndrich, des vierten der Unterlieutenant, des fünften ein Feldwebel, des sechsten der Fourier. Dieser Einrichtung gemäß war derjenige Vorgesetzte, von welchem der Soldat seine Bedürfnisse empfing, ihm der nächste und wichtigste und nur bei den Leuten seines Standes konnte der Hauptmann das höchste Ansehn genießen. Dazu kam, daß die Provisionen der Stände untereinander wieder sehr verschieden waren; einer gab seinem Soldaten mehre Gulden monatlich, der andere kaum einen, dieser lieferte lederne, jener tuchene Beinkleider. Von einem Herrn bekam der Soldat gute Hemden, Strümpfe und Schuhe, ein anderer ließ den seinen barfuß laufen. Der Hauptmann hatte wenig Sorge um seine Com¬ pagnie: wer klagte, ward an den Vertreter seines Standes gewiesen; verkürzte ihn dieser, so mochte er sehen, wo er Recht bekam. — Hader und Gehässigkeit wucherten üppig unter der ungleich gehaltenen Mannschaft. — Wenn wir nach dieser Betrachtung der organischen Bildung auf den Geist der Reichsarmee eingehen wollen, so müssen wir denselben zunächst bei ihren allmäligen Tragen, den Offizieren suchen. — Die Reichsarmee, aus all den kleinen Ständen und Ständchen zusammen¬ gesetzt, von denen einer den andern haßte mit philiströser Entfremdung und religiöser Unduldsamkeit, schlimmer als den Feind, der Hesse den Baier, der Frankfurter den Schwaben und der Mainzer den Frankfurter, diese elende Armee hatte kein Vaterland, kein gemeinsames Kampfziel, welches sie hätte zu Soldaten machen können. Konnte sich da der Offizier begeistert fühlen? Er war ja auch selbst kein Soldat, denn er diente nicht aus Neigung und Beruf, nur des Aemtchens wegen führte er den Degen^, von dem den meisten nichts an der Wiege gesungen war. Einigkeit untereinander, militärisches Streben war unmöglich, denn mit der Stelle konnte sich der Ehrgeiz begraben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/224>, abgerufen am 23.07.2024.