Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auffallender und abscheulicher. Z. E. zu Frankfurt am Main muß die Schild¬
wache zurücktreten, wenn der Fleischer ein Kalb zum Thore hereinführt, damit
das Thier nicht scheu werde und thut er es nicht, so prügelt ihn der Herr
Fleischer vom Posten weg. Das ist Thatsache. Auch zu Frankfurt nennt man
einen Lieutenant zum Spott einen Herrn Leutig und das geht so weit, daß
ein etwas angesehener frankfurter Patricier es sehr übel nehmen, ja vielleicht
gar einen Jnjurienprvceß darüber anfangen würde, wenn ihm der Magistrat
eine Offizierstelle bei den Stadtsoldaten antrüge.

Und so ist eS auch bei den Soldaten der Reichsfürsten, wenigstens der
meisten. In Mainz z. B. ist nichts vercubteter, als die Uniform: in keine
Gesellschaft kommt der Offizier, er müßte denn vom Mainzer Adel sein; denn
in diesem Fall steht man nicht auf die Uniform, die er ohnehin außer dem
Dienst nicht trägt, sondern auf seine Herkunft: der Soldat aber muß vollends
ganz isolirt für sich blos mit seinen Kameraden umgehen. In die Wirths¬
häuser, wo Soldaten hingehen, deren doch nur wenige send -- denn im Kra¬
nich z. B. oder in sonst einem angesehenen Gasthofe erhält kein Soldat einen
Schoppen Wein -- kommt kein Bürger, ja nicht einmal ein Schuhknecht oder
Schneiderjunge, um sich nicht zu blamiren. "

"Wie kann es auch anders sein! Die Mainzer Soldaten stehn auf ihren
Posten und schneiden Pflöckchen oder Pinnägel für die Schuster. In Gmünd
-- das habe ich selbst von einem Offizier -- prcisentirt der Soldat vor jedem
gutgekleideter Mann, ja gar vor Frauenzimmern von Stande das Gewehr;
hales dann mit der einen Hand und reicht mit der andern den Hut hin für
eine Gabe. Verachtung aber und Gewohnheit an niederträchtige Behandlung
unterdrückt und erstickt alles Gefühl für Ehre und Schande u. s. w." --

Solche Cadres, wo sie überhaupt eristirten, gaben den Stamm ab für den
Fall, daß die Reichsgesetze forderten, es müsse eine Armee ins Feld gestellt
werden, wozu alle und jede Stände des Reichs etwas an Mannschaft und
Feldzeug, das sogenannte ständische Contingent, beizutragen hatten. --
Der Reichsbeschluß schrieb den einzelnen Kreisen die zu stellende Truppenmacht
vor, die Kreistage, wie zu Nürnberg, Ulm u. s. w. repartirten weiter auf die
Stände und daß diese ihren Verpflichtungen nachkamen, hatten die sogenannten
kreisausschreibenden Fürsten mit Güte und Gewalt und nöthigenfalls mit
Erecution zu überwachen. Diese Fürsten waren selbstredend die mächtigsten
ihrer Kreise; so der Herzog von Würtemberg, der Markgraf von Baden und
der Bischof von Constanz im Schwäbischen, der König von Preußen und der
Bischof von Bamberg und Würzburg im Fränkischen, der Kurfürst von Pfalz-
baicrn und der Erzbischof von Salzburg im baierischen Kreise u. s. w. Sie
waren den kleinern Ständen verhaßt: in seinem Selbstgefühl als Neichsstand
empfing auch das kleinste Neichsstcidtchen, ein Nonnenkloster, ein unbedeutender


auffallender und abscheulicher. Z. E. zu Frankfurt am Main muß die Schild¬
wache zurücktreten, wenn der Fleischer ein Kalb zum Thore hereinführt, damit
das Thier nicht scheu werde und thut er es nicht, so prügelt ihn der Herr
Fleischer vom Posten weg. Das ist Thatsache. Auch zu Frankfurt nennt man
einen Lieutenant zum Spott einen Herrn Leutig und das geht so weit, daß
ein etwas angesehener frankfurter Patricier es sehr übel nehmen, ja vielleicht
gar einen Jnjurienprvceß darüber anfangen würde, wenn ihm der Magistrat
eine Offizierstelle bei den Stadtsoldaten antrüge.

Und so ist eS auch bei den Soldaten der Reichsfürsten, wenigstens der
meisten. In Mainz z. B. ist nichts vercubteter, als die Uniform: in keine
Gesellschaft kommt der Offizier, er müßte denn vom Mainzer Adel sein; denn
in diesem Fall steht man nicht auf die Uniform, die er ohnehin außer dem
Dienst nicht trägt, sondern auf seine Herkunft: der Soldat aber muß vollends
ganz isolirt für sich blos mit seinen Kameraden umgehen. In die Wirths¬
häuser, wo Soldaten hingehen, deren doch nur wenige send — denn im Kra¬
nich z. B. oder in sonst einem angesehenen Gasthofe erhält kein Soldat einen
Schoppen Wein — kommt kein Bürger, ja nicht einmal ein Schuhknecht oder
Schneiderjunge, um sich nicht zu blamiren. »

„Wie kann es auch anders sein! Die Mainzer Soldaten stehn auf ihren
Posten und schneiden Pflöckchen oder Pinnägel für die Schuster. In Gmünd
— das habe ich selbst von einem Offizier — prcisentirt der Soldat vor jedem
gutgekleideter Mann, ja gar vor Frauenzimmern von Stande das Gewehr;
hales dann mit der einen Hand und reicht mit der andern den Hut hin für
eine Gabe. Verachtung aber und Gewohnheit an niederträchtige Behandlung
unterdrückt und erstickt alles Gefühl für Ehre und Schande u. s. w." —

Solche Cadres, wo sie überhaupt eristirten, gaben den Stamm ab für den
Fall, daß die Reichsgesetze forderten, es müsse eine Armee ins Feld gestellt
werden, wozu alle und jede Stände des Reichs etwas an Mannschaft und
Feldzeug, das sogenannte ständische Contingent, beizutragen hatten. —
Der Reichsbeschluß schrieb den einzelnen Kreisen die zu stellende Truppenmacht
vor, die Kreistage, wie zu Nürnberg, Ulm u. s. w. repartirten weiter auf die
Stände und daß diese ihren Verpflichtungen nachkamen, hatten die sogenannten
kreisausschreibenden Fürsten mit Güte und Gewalt und nöthigenfalls mit
Erecution zu überwachen. Diese Fürsten waren selbstredend die mächtigsten
ihrer Kreise; so der Herzog von Würtemberg, der Markgraf von Baden und
der Bischof von Constanz im Schwäbischen, der König von Preußen und der
Bischof von Bamberg und Würzburg im Fränkischen, der Kurfürst von Pfalz-
baicrn und der Erzbischof von Salzburg im baierischen Kreise u. s. w. Sie
waren den kleinern Ständen verhaßt: in seinem Selbstgefühl als Neichsstand
empfing auch das kleinste Neichsstcidtchen, ein Nonnenkloster, ein unbedeutender


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101214"/>
          <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> auffallender und abscheulicher. Z. E. zu Frankfurt am Main muß die Schild¬<lb/>
wache zurücktreten, wenn der Fleischer ein Kalb zum Thore hereinführt, damit<lb/>
das Thier nicht scheu werde und thut er es nicht, so prügelt ihn der Herr<lb/>
Fleischer vom Posten weg. Das ist Thatsache. Auch zu Frankfurt nennt man<lb/>
einen Lieutenant zum Spott einen Herrn Leutig und das geht so weit, daß<lb/>
ein etwas angesehener frankfurter Patricier es sehr übel nehmen, ja vielleicht<lb/>
gar einen Jnjurienprvceß darüber anfangen würde, wenn ihm der Magistrat<lb/>
eine Offizierstelle bei den Stadtsoldaten antrüge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652"> Und so ist eS auch bei den Soldaten der Reichsfürsten, wenigstens der<lb/>
meisten. In Mainz z. B. ist nichts vercubteter, als die Uniform: in keine<lb/>
Gesellschaft kommt der Offizier, er müßte denn vom Mainzer Adel sein; denn<lb/>
in diesem Fall steht man nicht auf die Uniform, die er ohnehin außer dem<lb/>
Dienst nicht trägt, sondern auf seine Herkunft: der Soldat aber muß vollends<lb/>
ganz isolirt für sich blos mit seinen Kameraden umgehen. In die Wirths¬<lb/>
häuser, wo Soldaten hingehen, deren doch nur wenige send &#x2014; denn im Kra¬<lb/>
nich z. B. oder in sonst einem angesehenen Gasthofe erhält kein Soldat einen<lb/>
Schoppen Wein &#x2014; kommt kein Bürger, ja nicht einmal ein Schuhknecht oder<lb/>
Schneiderjunge, um sich nicht zu blamiren. »</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653"> &#x201E;Wie kann es auch anders sein! Die Mainzer Soldaten stehn auf ihren<lb/>
Posten und schneiden Pflöckchen oder Pinnägel für die Schuster. In Gmünd<lb/>
&#x2014; das habe ich selbst von einem Offizier &#x2014; prcisentirt der Soldat vor jedem<lb/>
gutgekleideter Mann, ja gar vor Frauenzimmern von Stande das Gewehr;<lb/>
hales dann mit der einen Hand und reicht mit der andern den Hut hin für<lb/>
eine Gabe. Verachtung aber und Gewohnheit an niederträchtige Behandlung<lb/>
unterdrückt und erstickt alles Gefühl für Ehre und Schande u. s. w." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654" next="#ID_655"> Solche Cadres, wo sie überhaupt eristirten, gaben den Stamm ab für den<lb/>
Fall, daß die Reichsgesetze forderten, es müsse eine Armee ins Feld gestellt<lb/>
werden, wozu alle und jede Stände des Reichs etwas an Mannschaft und<lb/>
Feldzeug, das sogenannte ständische Contingent, beizutragen hatten. &#x2014;<lb/>
Der Reichsbeschluß schrieb den einzelnen Kreisen die zu stellende Truppenmacht<lb/>
vor, die Kreistage, wie zu Nürnberg, Ulm u. s. w. repartirten weiter auf die<lb/>
Stände und daß diese ihren Verpflichtungen nachkamen, hatten die sogenannten<lb/>
kreisausschreibenden Fürsten mit Güte und Gewalt und nöthigenfalls mit<lb/>
Erecution zu überwachen. Diese Fürsten waren selbstredend die mächtigsten<lb/>
ihrer Kreise; so der Herzog von Würtemberg, der Markgraf von Baden und<lb/>
der Bischof von Constanz im Schwäbischen, der König von Preußen und der<lb/>
Bischof von Bamberg und Würzburg im Fränkischen, der Kurfürst von Pfalz-<lb/>
baicrn und der Erzbischof von Salzburg im baierischen Kreise u. s. w. Sie<lb/>
waren den kleinern Ständen verhaßt: in seinem Selbstgefühl als Neichsstand<lb/>
empfing auch das kleinste Neichsstcidtchen, ein Nonnenkloster, ein unbedeutender</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] auffallender und abscheulicher. Z. E. zu Frankfurt am Main muß die Schild¬ wache zurücktreten, wenn der Fleischer ein Kalb zum Thore hereinführt, damit das Thier nicht scheu werde und thut er es nicht, so prügelt ihn der Herr Fleischer vom Posten weg. Das ist Thatsache. Auch zu Frankfurt nennt man einen Lieutenant zum Spott einen Herrn Leutig und das geht so weit, daß ein etwas angesehener frankfurter Patricier es sehr übel nehmen, ja vielleicht gar einen Jnjurienprvceß darüber anfangen würde, wenn ihm der Magistrat eine Offizierstelle bei den Stadtsoldaten antrüge. Und so ist eS auch bei den Soldaten der Reichsfürsten, wenigstens der meisten. In Mainz z. B. ist nichts vercubteter, als die Uniform: in keine Gesellschaft kommt der Offizier, er müßte denn vom Mainzer Adel sein; denn in diesem Fall steht man nicht auf die Uniform, die er ohnehin außer dem Dienst nicht trägt, sondern auf seine Herkunft: der Soldat aber muß vollends ganz isolirt für sich blos mit seinen Kameraden umgehen. In die Wirths¬ häuser, wo Soldaten hingehen, deren doch nur wenige send — denn im Kra¬ nich z. B. oder in sonst einem angesehenen Gasthofe erhält kein Soldat einen Schoppen Wein — kommt kein Bürger, ja nicht einmal ein Schuhknecht oder Schneiderjunge, um sich nicht zu blamiren. » „Wie kann es auch anders sein! Die Mainzer Soldaten stehn auf ihren Posten und schneiden Pflöckchen oder Pinnägel für die Schuster. In Gmünd — das habe ich selbst von einem Offizier — prcisentirt der Soldat vor jedem gutgekleideter Mann, ja gar vor Frauenzimmern von Stande das Gewehr; hales dann mit der einen Hand und reicht mit der andern den Hut hin für eine Gabe. Verachtung aber und Gewohnheit an niederträchtige Behandlung unterdrückt und erstickt alles Gefühl für Ehre und Schande u. s. w." — Solche Cadres, wo sie überhaupt eristirten, gaben den Stamm ab für den Fall, daß die Reichsgesetze forderten, es müsse eine Armee ins Feld gestellt werden, wozu alle und jede Stände des Reichs etwas an Mannschaft und Feldzeug, das sogenannte ständische Contingent, beizutragen hatten. — Der Reichsbeschluß schrieb den einzelnen Kreisen die zu stellende Truppenmacht vor, die Kreistage, wie zu Nürnberg, Ulm u. s. w. repartirten weiter auf die Stände und daß diese ihren Verpflichtungen nachkamen, hatten die sogenannten kreisausschreibenden Fürsten mit Güte und Gewalt und nöthigenfalls mit Erecution zu überwachen. Diese Fürsten waren selbstredend die mächtigsten ihrer Kreise; so der Herzog von Würtemberg, der Markgraf von Baden und der Bischof von Constanz im Schwäbischen, der König von Preußen und der Bischof von Bamberg und Würzburg im Fränkischen, der Kurfürst von Pfalz- baicrn und der Erzbischof von Salzburg im baierischen Kreise u. s. w. Sie waren den kleinern Ständen verhaßt: in seinem Selbstgefühl als Neichsstand empfing auch das kleinste Neichsstcidtchen, ein Nonnenkloster, ein unbedeutender

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/221>, abgerufen am 23.07.2024.