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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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geborne Gräfin Solms, aber doch nur Regierungsräthin und Frau eines eben
erst geadelten Mannes, den sie noch dazu auf nicht ganz regelmäßigem Wege
geheirathet hatte. Natürlich konnte sie nur nach dem Patent ihres Mannes
rangirt werden, aber leider erhob sie Prätensionen, weil sie selbst vom hohen
Adel war. Als sich nun im October 1746 die Thüren des Speisezimmers
offnen sollten und der Page schon zum Gebet bereit stand, da trat der Ober¬
stallmeister an die Frau Landjägermeisterin und sagte: "Serenissimus haben
befohlen, daß die Frau von Pfaffenrath den Rang vor allen Damens haben
soll." Frau von Gleichen erwiderte, das werde sie sich nicht gefallen
lassen, aber Frau von Pfaffenrath hatte eine günstige Ausstellung genommen
und schnitt der Frau Landjägermeisterin den Vortritt ab, bevor diese es hindern
konnte. Doch die entschlossene Frau Landjägermeisterin war weit entfernt von
feiger Submission. Sie eilte um den Tisch zu dem herzoglichen Cabinetsminister
und gab ihm die Erklärung ab, welche einer Dame von Charakter nach so unerhörter
Beschimpfung ziemte: "Wenn Frau von Pfaffenratl)'mir nach der Tafel wie¬
der vorgeht, so werde ich dieselbe mit Aufopferung ihres Neifrocks zurückziehen
und ihr ein paar Worte sagen, welche sehr verdrießlich werden können." Der
Cabinetsminister war in der größten Verlegenheit, er kannte den resoluter
Charakter der Frau von Gleichen. Endlich gab er ihr als erfahrener Diplomat
den Rath, sich vor dem Gebet vom Tische zu erheben, dann werde sie jeden¬
falls als erste herausgehen und den Vortritt haben. So maintenirte die Frau
Landjägermeisterin ihren Posten, aber sie hatte sich sehr alterirt; und alterirt
war der ganze Hof; ja er spaltete sich in zwei Parteien. -- Dieser Streit der Damen
setzte das ganze heilige römische Reich in Bewegung, verursachte einen Feldzug
zwischen Gotha und Meiningen und wurde erst durch Friedrich den Großen in
einer Weise beendigt, welche ganz der Unwürdigkeit des Anfangs und dem
weiteren Verlauf dieser Action entsprach.

Frau von Gleichen wandte sich an den abwesenden Herzog um Repara¬
tion. Sie erhielt eine starke und ungnädige Antwort. Empört durchforschte sie das
frühere Leben ihrer Feindin und verbreitete eifrig ein anonymes Schreiben, in
welchem die Liebesabenteuer der Comtesse mit mehr Energie als Zartgefühl dar¬
gestellt wurden. Ueber dies Pasquill oder "libellum wmogum" beklagte sich
wieder Frau von Pfaffcnrath bei dem Landesherrn, Anton Ulrich, der damals,
wie fast immer, im Auslande lebte, und seitdem begann ein Verfahren gegen
die Frau Landjägermeisterin, welches selbst damals für hart und grausam galt.
Sie sollte der Frau von Pfaffenrath kniend Abbitte thun und sie auf das weh¬
müthigste und bußfertigste um Vergebung bitten; und als sie sich mit den
Worten weigerte: "Lieber sterben", wurde sie nach dem Rathhause in Arrest
gebracht und dort von zwei Musketieren bewacht; auch ihr Mann ward in ein
ungesundes Gefängniß gesteckt. Unerschüttert durch so viel Leiden, bat die


geborne Gräfin Solms, aber doch nur Regierungsräthin und Frau eines eben
erst geadelten Mannes, den sie noch dazu auf nicht ganz regelmäßigem Wege
geheirathet hatte. Natürlich konnte sie nur nach dem Patent ihres Mannes
rangirt werden, aber leider erhob sie Prätensionen, weil sie selbst vom hohen
Adel war. Als sich nun im October 1746 die Thüren des Speisezimmers
offnen sollten und der Page schon zum Gebet bereit stand, da trat der Ober¬
stallmeister an die Frau Landjägermeisterin und sagte: „Serenissimus haben
befohlen, daß die Frau von Pfaffenrath den Rang vor allen Damens haben
soll." Frau von Gleichen erwiderte, das werde sie sich nicht gefallen
lassen, aber Frau von Pfaffenrath hatte eine günstige Ausstellung genommen
und schnitt der Frau Landjägermeisterin den Vortritt ab, bevor diese es hindern
konnte. Doch die entschlossene Frau Landjägermeisterin war weit entfernt von
feiger Submission. Sie eilte um den Tisch zu dem herzoglichen Cabinetsminister
und gab ihm die Erklärung ab, welche einer Dame von Charakter nach so unerhörter
Beschimpfung ziemte: „Wenn Frau von Pfaffenratl)'mir nach der Tafel wie¬
der vorgeht, so werde ich dieselbe mit Aufopferung ihres Neifrocks zurückziehen
und ihr ein paar Worte sagen, welche sehr verdrießlich werden können." Der
Cabinetsminister war in der größten Verlegenheit, er kannte den resoluter
Charakter der Frau von Gleichen. Endlich gab er ihr als erfahrener Diplomat
den Rath, sich vor dem Gebet vom Tische zu erheben, dann werde sie jeden¬
falls als erste herausgehen und den Vortritt haben. So maintenirte die Frau
Landjägermeisterin ihren Posten, aber sie hatte sich sehr alterirt; und alterirt
war der ganze Hof; ja er spaltete sich in zwei Parteien. — Dieser Streit der Damen
setzte das ganze heilige römische Reich in Bewegung, verursachte einen Feldzug
zwischen Gotha und Meiningen und wurde erst durch Friedrich den Großen in
einer Weise beendigt, welche ganz der Unwürdigkeit des Anfangs und dem
weiteren Verlauf dieser Action entsprach.

Frau von Gleichen wandte sich an den abwesenden Herzog um Repara¬
tion. Sie erhielt eine starke und ungnädige Antwort. Empört durchforschte sie das
frühere Leben ihrer Feindin und verbreitete eifrig ein anonymes Schreiben, in
welchem die Liebesabenteuer der Comtesse mit mehr Energie als Zartgefühl dar¬
gestellt wurden. Ueber dies Pasquill oder „libellum wmogum" beklagte sich
wieder Frau von Pfaffcnrath bei dem Landesherrn, Anton Ulrich, der damals,
wie fast immer, im Auslande lebte, und seitdem begann ein Verfahren gegen
die Frau Landjägermeisterin, welches selbst damals für hart und grausam galt.
Sie sollte der Frau von Pfaffenrath kniend Abbitte thun und sie auf das weh¬
müthigste und bußfertigste um Vergebung bitten; und als sie sich mit den
Worten weigerte: „Lieber sterben", wurde sie nach dem Rathhause in Arrest
gebracht und dort von zwei Musketieren bewacht; auch ihr Mann ward in ein
ungesundes Gefängniß gesteckt. Unerschüttert durch so viel Leiden, bat die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/22>, abgerufen am 25.08.2024.