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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Corpora zu bekommen mit andern welschen Studiosen zuweilen in Gefahr. Da¬
bei half uns Dr. Gallotus, der eine Frau hatte, gebürtig von Montpellier,
ziemlich reich. Er pflegte in seinem Hause oft zu verrichten, wozu er mich und
etliche Andere berief, ließ uns todte Korper, die erst am Tage begraben waren,
heimlich mit bewaffneter Hand vor der Stadt auf den Kirchhöfen bei den
Klöstern ausgraben und dann in die Stadt in sein Haus tragen und daselbst
anatomiren. Wir hatten etliche angestellt, die aufmerken mußten, wo und
wann Leute begraben wurden, um uns dann zur Nacht heimlich dorthin zu
verfügen. So ward ich zuerst aufgefordert am eilften Dezember ISäi. Da
führte uns Gallotus schon bei früher Nacht vor die Stadt in das Augustiner
Kloster. Dort war ein verwegener Mönch der sich verkleidete und uns dabei half.
Wir nahmen heimlich im Kloster einen Schlaftrunk, der währte bis Mitter¬
nacht, darnach zogen wir in aller Stille mit unsern Wehren vor das Kloster
Si. Denys auf den Kirchhof. Mykoniuö trug sein bloßes Schwert, die
Welschen Rapiere. Da scharrten wir ein Corpus heraus, nur mit den Hän¬
den, da der Boden noch locker war. Als wir auf das Corpus kamen, legten
wir ein Seil daran, und zerrten es mit Gewalt heraus, schlugen unsre Flaus¬
röcke darum und'trugen es auf zwei Knitteln bis an das Stadtthor; das war
um drei Uhr in der Nacht. Da thaten wir die Corpora bei Seite und klopf¬
ten am kleinen Thürlein, durch welches man ein- und heraus läßt. Es kam
ein alter Psörnier im Hemde hervor und that uns das Thürlein auf. Wir
baten ihn er möchte uns einen Trunk geben, wir stürben vor Durst. Während
er den Wein holte, zogen ihrer drei die Corpora hinein und trugen sie auf den
Schultern in des Gallotus Haus, das nicht fern vom Thore war. So wurde
der Thorwächter nichts gewahr. Hernach haben die Mönche zu Se. Denys
den Kirchhof bewachen müssen, und wenn Studenten kamen, haben sie mit
Flitzbogen aus dem Kloster geschossen.

Oft hielt man im Theater Anatomie, es präsidirte ein Professor und
anatomirte ein Scheerer. Es kamen außer den Studenten viele andere Herrn
und Bürger zum Zuschauen, wie auch Demoisellen, ob das Corpus gleich eine
Mannsperson war; auch gehn viele Mönche herein. Ich schrieb viel Künste
ab, die mir die Doctores vertrauten. Auch aus den Schriften des Falko, die
mein Herr in einer Kammer verschlossen hielt, worein ich, solche abzuschreiben,
nicht ohne Gefahr mit einer Leiter stieg. So schrieben wir einst die ganze
Nacht ein Büchlein 60 omuponLnclis meclleawLnlis ab -- wie auch sonderlich
ein Recept Haare wachsen zu machen, weil wir noch Flaum um den Mund
hatten und uns gern mit dem Bart ein Ansehn gegeben hätten; bestrichen uns
oft zur Nacht um den Mund und beschmuzten die Kissen und ließen uns
manchmal den Mund mit den Scheermesser schaben, was zuletzt auch half.

Am dritten März -18!>ö ward zum Doctor der Medizin promovirt Guilelmus


Corpora zu bekommen mit andern welschen Studiosen zuweilen in Gefahr. Da¬
bei half uns Dr. Gallotus, der eine Frau hatte, gebürtig von Montpellier,
ziemlich reich. Er pflegte in seinem Hause oft zu verrichten, wozu er mich und
etliche Andere berief, ließ uns todte Korper, die erst am Tage begraben waren,
heimlich mit bewaffneter Hand vor der Stadt auf den Kirchhöfen bei den
Klöstern ausgraben und dann in die Stadt in sein Haus tragen und daselbst
anatomiren. Wir hatten etliche angestellt, die aufmerken mußten, wo und
wann Leute begraben wurden, um uns dann zur Nacht heimlich dorthin zu
verfügen. So ward ich zuerst aufgefordert am eilften Dezember ISäi. Da
führte uns Gallotus schon bei früher Nacht vor die Stadt in das Augustiner
Kloster. Dort war ein verwegener Mönch der sich verkleidete und uns dabei half.
Wir nahmen heimlich im Kloster einen Schlaftrunk, der währte bis Mitter¬
nacht, darnach zogen wir in aller Stille mit unsern Wehren vor das Kloster
Si. Denys auf den Kirchhof. Mykoniuö trug sein bloßes Schwert, die
Welschen Rapiere. Da scharrten wir ein Corpus heraus, nur mit den Hän¬
den, da der Boden noch locker war. Als wir auf das Corpus kamen, legten
wir ein Seil daran, und zerrten es mit Gewalt heraus, schlugen unsre Flaus¬
röcke darum und'trugen es auf zwei Knitteln bis an das Stadtthor; das war
um drei Uhr in der Nacht. Da thaten wir die Corpora bei Seite und klopf¬
ten am kleinen Thürlein, durch welches man ein- und heraus läßt. Es kam
ein alter Psörnier im Hemde hervor und that uns das Thürlein auf. Wir
baten ihn er möchte uns einen Trunk geben, wir stürben vor Durst. Während
er den Wein holte, zogen ihrer drei die Corpora hinein und trugen sie auf den
Schultern in des Gallotus Haus, das nicht fern vom Thore war. So wurde
der Thorwächter nichts gewahr. Hernach haben die Mönche zu Se. Denys
den Kirchhof bewachen müssen, und wenn Studenten kamen, haben sie mit
Flitzbogen aus dem Kloster geschossen.

Oft hielt man im Theater Anatomie, es präsidirte ein Professor und
anatomirte ein Scheerer. Es kamen außer den Studenten viele andere Herrn
und Bürger zum Zuschauen, wie auch Demoisellen, ob das Corpus gleich eine
Mannsperson war; auch gehn viele Mönche herein. Ich schrieb viel Künste
ab, die mir die Doctores vertrauten. Auch aus den Schriften des Falko, die
mein Herr in einer Kammer verschlossen hielt, worein ich, solche abzuschreiben,
nicht ohne Gefahr mit einer Leiter stieg. So schrieben wir einst die ganze
Nacht ein Büchlein 60 omuponLnclis meclleawLnlis ab — wie auch sonderlich
ein Recept Haare wachsen zu machen, weil wir noch Flaum um den Mund
hatten und uns gern mit dem Bart ein Ansehn gegeben hätten; bestrichen uns
oft zur Nacht um den Mund und beschmuzten die Kissen und ließen uns
manchmal den Mund mit den Scheermesser schaben, was zuletzt auch half.

Am dritten März -18!>ö ward zum Doctor der Medizin promovirt Guilelmus


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[0215] Corpora zu bekommen mit andern welschen Studiosen zuweilen in Gefahr. Da¬ bei half uns Dr. Gallotus, der eine Frau hatte, gebürtig von Montpellier, ziemlich reich. Er pflegte in seinem Hause oft zu verrichten, wozu er mich und etliche Andere berief, ließ uns todte Korper, die erst am Tage begraben waren, heimlich mit bewaffneter Hand vor der Stadt auf den Kirchhöfen bei den Klöstern ausgraben und dann in die Stadt in sein Haus tragen und daselbst anatomiren. Wir hatten etliche angestellt, die aufmerken mußten, wo und wann Leute begraben wurden, um uns dann zur Nacht heimlich dorthin zu verfügen. So ward ich zuerst aufgefordert am eilften Dezember ISäi. Da führte uns Gallotus schon bei früher Nacht vor die Stadt in das Augustiner Kloster. Dort war ein verwegener Mönch der sich verkleidete und uns dabei half. Wir nahmen heimlich im Kloster einen Schlaftrunk, der währte bis Mitter¬ nacht, darnach zogen wir in aller Stille mit unsern Wehren vor das Kloster Si. Denys auf den Kirchhof. Mykoniuö trug sein bloßes Schwert, die Welschen Rapiere. Da scharrten wir ein Corpus heraus, nur mit den Hän¬ den, da der Boden noch locker war. Als wir auf das Corpus kamen, legten wir ein Seil daran, und zerrten es mit Gewalt heraus, schlugen unsre Flaus¬ röcke darum und'trugen es auf zwei Knitteln bis an das Stadtthor; das war um drei Uhr in der Nacht. Da thaten wir die Corpora bei Seite und klopf¬ ten am kleinen Thürlein, durch welches man ein- und heraus läßt. Es kam ein alter Psörnier im Hemde hervor und that uns das Thürlein auf. Wir baten ihn er möchte uns einen Trunk geben, wir stürben vor Durst. Während er den Wein holte, zogen ihrer drei die Corpora hinein und trugen sie auf den Schultern in des Gallotus Haus, das nicht fern vom Thore war. So wurde der Thorwächter nichts gewahr. Hernach haben die Mönche zu Se. Denys den Kirchhof bewachen müssen, und wenn Studenten kamen, haben sie mit Flitzbogen aus dem Kloster geschossen. Oft hielt man im Theater Anatomie, es präsidirte ein Professor und anatomirte ein Scheerer. Es kamen außer den Studenten viele andere Herrn und Bürger zum Zuschauen, wie auch Demoisellen, ob das Corpus gleich eine Mannsperson war; auch gehn viele Mönche herein. Ich schrieb viel Künste ab, die mir die Doctores vertrauten. Auch aus den Schriften des Falko, die mein Herr in einer Kammer verschlossen hielt, worein ich, solche abzuschreiben, nicht ohne Gefahr mit einer Leiter stieg. So schrieben wir einst die ganze Nacht ein Büchlein 60 omuponLnclis meclleawLnlis ab — wie auch sonderlich ein Recept Haare wachsen zu machen, weil wir noch Flaum um den Mund hatten und uns gern mit dem Bart ein Ansehn gegeben hätten; bestrichen uns oft zur Nacht um den Mund und beschmuzten die Kissen und ließen uns manchmal den Mund mit den Scheermesser schaben, was zuletzt auch half. Am dritten März -18!>ö ward zum Doctor der Medizin promovirt Guilelmus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/215>, abgerufen am 24.07.2024.