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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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dem Wirthshaus? Kastelnau, darnach beim Hochgericht vorbei auf die Felder
vor der Stadt, wo etliche Viertel von Menschen, die gerichtet waren, an
Oelbäumen hingen, welches mich seltsam dünkte. Wir ritten so im Namen
Gottes zu Montpellier bei guter Tageszeit ein, war ein Sonntag. Ich betete
im Einreiten und befahl mich Gott, er wolle mir seine Gnade mittheilen, daß
ich nach Vollendung -meiner Studien gesund wieder heraus in meine Heimath
zu den Meinen kommen möge.

Auf der Gasse begegneten uns viele stattliche Bürger von Adel und
andere, die vermummt in weißen Hemden herumzogen mit Saitenspiel und
Fahnen, hatten silberne Schaalen, mit Zuckererbsen und allerlei Confect ge¬
füllt, in Händen, klopften daran mit silbernen Löffeln und gaben den stattlichen
Jungfrauen, die auf der Gasse standen, daraus mit den Löffeln. Diese Kurzweil
erheiterte mich etwas. Mein Reisegefährte zeigte mir des Apotheckers Herrn
Loren; Catalans*) Haus, so auf dem Platze stand an der Ecke, und ritt von
mir in sein Haus. Als ich vor die Apothecke kam, stand der Herr Lorenz
und seine Frau vor der Apothecke und sahen dem Spiel zu vor dem Laden,
der verschlossen war, weil es Sonntag. Er verwunderte sich, daß ich zu Rosse
still hielt, besonders da ich abstieg; ich redete lateinisch mit ihm und gab
ihm die Briefe von meinem Vater -- er seufzte,- ließ mein Pferdlein in seines
Schwagers, eines Marranen**) Stall führen und alsbald kam Johann Odrats-
-heim, ein Straßburger, der in der Aporhecke servirte, zu mir, empfing mich
und führte mich hinauf ins Haus.

Alsbald vernahm ich von Herrn Catalan, daß Jacobus Meyer von
Straßburg, der zum Tausch für seinen Sohn bei ihm gewohnt***), wenig
Tage, bevor ich gekommen, bei ihm gestorben war, worüber er sehr trauerte,
weil er besorgte, daß sein Sohn, der bei dem Vater des seligen Meyer von
Straßburg war, jetzt schlecht gehalten werden möchte, und vielleicht müßte er
den Tisch für ihn bezahlen. Da faßte ich denn gleich die Hoffnung, den Herrn
dahin zu bereden, daß er den Sohn an meiner Statt zu meinem Vater nach
Basel schickte und ich so einen Tausch bekäme.

Ich sand zu Montpellier etliche Deutsche und fing mich bald an einzu¬
gewöhnen. ES war noch gar lange hübsches Wetter (seit Ende October) und
man machte erst die Oliven ab, wozu man die Bauern braucht, die sie mit





des Catawniers.
Ein Moriske, getaufter Maur, aus Spanien geflüchtet, im Spanischen msri-Mo, ver¬
bannt, cxcvi"in"man't aber anch: das Schwein.
Ein sehr alter Brauch, der anch in dem östlichen Deutschland bestanden und sich bis
auf unsere Zeit erhalten hat. Familien aus verschiedenen Landschaften, .welche befreundet
wäre" oder in Geschäftsverbindung standen, tauschten ihre Söhne für einige Jahre miteinander
ans, um diesen mit den geringsten Kosten Gelegenheit zu geben, Sprache und Kenntnisse des
Nachbarlandes zu erwerben. Zwischen Deutschen und Slaven hieß das "auf Wechsel sein".
2ii*

dem Wirthshaus? Kastelnau, darnach beim Hochgericht vorbei auf die Felder
vor der Stadt, wo etliche Viertel von Menschen, die gerichtet waren, an
Oelbäumen hingen, welches mich seltsam dünkte. Wir ritten so im Namen
Gottes zu Montpellier bei guter Tageszeit ein, war ein Sonntag. Ich betete
im Einreiten und befahl mich Gott, er wolle mir seine Gnade mittheilen, daß
ich nach Vollendung -meiner Studien gesund wieder heraus in meine Heimath
zu den Meinen kommen möge.

Auf der Gasse begegneten uns viele stattliche Bürger von Adel und
andere, die vermummt in weißen Hemden herumzogen mit Saitenspiel und
Fahnen, hatten silberne Schaalen, mit Zuckererbsen und allerlei Confect ge¬
füllt, in Händen, klopften daran mit silbernen Löffeln und gaben den stattlichen
Jungfrauen, die auf der Gasse standen, daraus mit den Löffeln. Diese Kurzweil
erheiterte mich etwas. Mein Reisegefährte zeigte mir des Apotheckers Herrn
Loren; Catalans*) Haus, so auf dem Platze stand an der Ecke, und ritt von
mir in sein Haus. Als ich vor die Apothecke kam, stand der Herr Lorenz
und seine Frau vor der Apothecke und sahen dem Spiel zu vor dem Laden,
der verschlossen war, weil es Sonntag. Er verwunderte sich, daß ich zu Rosse
still hielt, besonders da ich abstieg; ich redete lateinisch mit ihm und gab
ihm die Briefe von meinem Vater — er seufzte,- ließ mein Pferdlein in seines
Schwagers, eines Marranen**) Stall führen und alsbald kam Johann Odrats-
-heim, ein Straßburger, der in der Aporhecke servirte, zu mir, empfing mich
und führte mich hinauf ins Haus.

Alsbald vernahm ich von Herrn Catalan, daß Jacobus Meyer von
Straßburg, der zum Tausch für seinen Sohn bei ihm gewohnt***), wenig
Tage, bevor ich gekommen, bei ihm gestorben war, worüber er sehr trauerte,
weil er besorgte, daß sein Sohn, der bei dem Vater des seligen Meyer von
Straßburg war, jetzt schlecht gehalten werden möchte, und vielleicht müßte er
den Tisch für ihn bezahlen. Da faßte ich denn gleich die Hoffnung, den Herrn
dahin zu bereden, daß er den Sohn an meiner Statt zu meinem Vater nach
Basel schickte und ich so einen Tausch bekäme.

Ich sand zu Montpellier etliche Deutsche und fing mich bald an einzu¬
gewöhnen. ES war noch gar lange hübsches Wetter (seit Ende October) und
man machte erst die Oliven ab, wozu man die Bauern braucht, die sie mit





des Catawniers.
Ein Moriske, getaufter Maur, aus Spanien geflüchtet, im Spanischen msri-Mo, ver¬
bannt, cxcvi»in»man't aber anch: das Schwein.
Ein sehr alter Brauch, der anch in dem östlichen Deutschland bestanden und sich bis
auf unsere Zeit erhalten hat. Familien aus verschiedenen Landschaften, .welche befreundet
wäre» oder in Geschäftsverbindung standen, tauschten ihre Söhne für einige Jahre miteinander
ans, um diesen mit den geringsten Kosten Gelegenheit zu geben, Sprache und Kenntnisse des
Nachbarlandes zu erwerben. Zwischen Deutschen und Slaven hieß das „auf Wechsel sein".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/211>, abgerufen am 24.07.2024.