Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

soll, schneller als dieser selbst, der mit übermüthigen Gäulen bespannt den
Weg daher durch das Dorf stürmt. Mehre Tage vorher sind die besten Pferde
mit reinem Hafer gefüttert worden, um recht ausgelassen und "vom Haber ge¬
stochen" den Wagen nach sich reiße" zu können.

Zeitgemäß hat vor einiger Zeit der Maler Löschten bei einer Ge¬
mäldeausstellung in Königsberg eine solche Heimkehr von der Trauung im
Bilde vorgeführt und sich hierbei sowol durch die geschickte und sachgetreue
Ausführung, als durch die Wahl des Gegenstandes manches Lob erworben.
Wie hitzig und athemlos jagt hier der Platzmeister auf dem blutig gespornten
Schimmel mit hochgcschwungencr Peitsche, von den Buben umjauchzt, durch
das Dorf dem Hause des Bräutigams zu, um der Braut den Bierkrug ent¬
gegenzubringen und alles Uebrige zu den bekannten Hochzeitsbräuchen zuzu-
rüsten, noch bevor der Hochzeitswagen selbst ihn hat einholen können! Der aber
rollt ihm unaufhaltsam nrich; fast ungezügelt reißen ihn die übermüthigen
Gäule fort; man glaubt, er müsse jetzt in Stücke gehn. Aengstlich, aber von
den Armen des Bräutigams beruhigend umschlungen, sitzt die Braut auf dem
erhöhten Strohsitz und ersehnt das Ende der Fahrt. Nach diesem Wagen
kommen die übrigen daher, zweispännig, oft weit zurückbleibend, und wie auch
beschleunigt, doch mit ruhigerem Rollen vorwärts eilend. Weit hinaus zum
Dorfe verlängert sich der Brautzug, und es sind nicht die letzten Wagen, die
hier im Aehrenfeld verschwinden oder dort auf dem Hügel vor aufwallenden
Wegstaub kaum sichtbar sind. Das ganze Dorf ist in Aufruhr. Wer nicht
Gast ist, der ist an die Thore geeilt und jauchzt den Neuvermählten entgegen.
Das Geflügel flattert aufgescheucht empor und gackert von den Zäunen; ein
paar borstige Eber sind wild geworden und galoppiren, quer durch die Umfrie¬
dung des Obstgartens brechend, weit hinaus auf die wachholderduftige Palve.

Das ist ein wahres Bild einer solchen lithauischen Hochzeit mit ihrer
Wildheit, mit ihrem Jauchzen, mit ihrem Hinauöstürmen aus der Ruhe der
Jugend und ihrem Hineinjubeln in die Sorgen des reiferen Alters. Alles
Sinnen des Knaben und des Mädchens ist ein Jahr vor-her auf diese Hochzeit
gerichtet, und manche Dama singt von dem wackern Mägdlein im Häuschen
am blinkenden See, wo des Birkenwäldchens Saum sich hinzieht; singt von
den Aeuglein, die es dem Jüngling angethan, von dem stillen, verschämten
Werben durch verheimlicheude Blicke und bekennende Blumensträuße; besingt
den Abschied der Braut von den lieben Eltern, von dem kleinen Haus, dem
leuchtenden Herd, dem grünen Garten, und singt von dem Einzug in die
stattliche Wohnung des Bräutigams.

Dies Liebesleben ist der Inhalt der meisten Dainos, und diese sind so man¬
nigfaltig variirt, daß eine Sammlung dieser Poesien eine sehr enge Auswahl
zu treffen hat. Es gibt aber auch Dainoö von verschiedenartigem andern


soll, schneller als dieser selbst, der mit übermüthigen Gäulen bespannt den
Weg daher durch das Dorf stürmt. Mehre Tage vorher sind die besten Pferde
mit reinem Hafer gefüttert worden, um recht ausgelassen und „vom Haber ge¬
stochen" den Wagen nach sich reiße» zu können.

Zeitgemäß hat vor einiger Zeit der Maler Löschten bei einer Ge¬
mäldeausstellung in Königsberg eine solche Heimkehr von der Trauung im
Bilde vorgeführt und sich hierbei sowol durch die geschickte und sachgetreue
Ausführung, als durch die Wahl des Gegenstandes manches Lob erworben.
Wie hitzig und athemlos jagt hier der Platzmeister auf dem blutig gespornten
Schimmel mit hochgcschwungencr Peitsche, von den Buben umjauchzt, durch
das Dorf dem Hause des Bräutigams zu, um der Braut den Bierkrug ent¬
gegenzubringen und alles Uebrige zu den bekannten Hochzeitsbräuchen zuzu-
rüsten, noch bevor der Hochzeitswagen selbst ihn hat einholen können! Der aber
rollt ihm unaufhaltsam nrich; fast ungezügelt reißen ihn die übermüthigen
Gäule fort; man glaubt, er müsse jetzt in Stücke gehn. Aengstlich, aber von
den Armen des Bräutigams beruhigend umschlungen, sitzt die Braut auf dem
erhöhten Strohsitz und ersehnt das Ende der Fahrt. Nach diesem Wagen
kommen die übrigen daher, zweispännig, oft weit zurückbleibend, und wie auch
beschleunigt, doch mit ruhigerem Rollen vorwärts eilend. Weit hinaus zum
Dorfe verlängert sich der Brautzug, und es sind nicht die letzten Wagen, die
hier im Aehrenfeld verschwinden oder dort auf dem Hügel vor aufwallenden
Wegstaub kaum sichtbar sind. Das ganze Dorf ist in Aufruhr. Wer nicht
Gast ist, der ist an die Thore geeilt und jauchzt den Neuvermählten entgegen.
Das Geflügel flattert aufgescheucht empor und gackert von den Zäunen; ein
paar borstige Eber sind wild geworden und galoppiren, quer durch die Umfrie¬
dung des Obstgartens brechend, weit hinaus auf die wachholderduftige Palve.

Das ist ein wahres Bild einer solchen lithauischen Hochzeit mit ihrer
Wildheit, mit ihrem Jauchzen, mit ihrem Hinauöstürmen aus der Ruhe der
Jugend und ihrem Hineinjubeln in die Sorgen des reiferen Alters. Alles
Sinnen des Knaben und des Mädchens ist ein Jahr vor-her auf diese Hochzeit
gerichtet, und manche Dama singt von dem wackern Mägdlein im Häuschen
am blinkenden See, wo des Birkenwäldchens Saum sich hinzieht; singt von
den Aeuglein, die es dem Jüngling angethan, von dem stillen, verschämten
Werben durch verheimlicheude Blicke und bekennende Blumensträuße; besingt
den Abschied der Braut von den lieben Eltern, von dem kleinen Haus, dem
leuchtenden Herd, dem grünen Garten, und singt von dem Einzug in die
stattliche Wohnung des Bräutigams.

Dies Liebesleben ist der Inhalt der meisten Dainos, und diese sind so man¬
nigfaltig variirt, daß eine Sammlung dieser Poesien eine sehr enge Auswahl
zu treffen hat. Es gibt aber auch Dainoö von verschiedenartigem andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101197"/>
            <p xml:id="ID_593" prev="#ID_592"> soll, schneller als dieser selbst, der mit übermüthigen Gäulen bespannt den<lb/>
Weg daher durch das Dorf stürmt. Mehre Tage vorher sind die besten Pferde<lb/>
mit reinem Hafer gefüttert worden, um recht ausgelassen und &#x201E;vom Haber ge¬<lb/>
stochen" den Wagen nach sich reiße» zu können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_594"> Zeitgemäß hat vor einiger Zeit der Maler Löschten bei einer Ge¬<lb/>
mäldeausstellung in Königsberg eine solche Heimkehr von der Trauung im<lb/>
Bilde vorgeführt und sich hierbei sowol durch die geschickte und sachgetreue<lb/>
Ausführung, als durch die Wahl des Gegenstandes manches Lob erworben.<lb/>
Wie hitzig und athemlos jagt hier der Platzmeister auf dem blutig gespornten<lb/>
Schimmel mit hochgcschwungencr Peitsche, von den Buben umjauchzt, durch<lb/>
das Dorf dem Hause des Bräutigams zu, um der Braut den Bierkrug ent¬<lb/>
gegenzubringen und alles Uebrige zu den bekannten Hochzeitsbräuchen zuzu-<lb/>
rüsten, noch bevor der Hochzeitswagen selbst ihn hat einholen können! Der aber<lb/>
rollt ihm unaufhaltsam nrich; fast ungezügelt reißen ihn die übermüthigen<lb/>
Gäule fort; man glaubt, er müsse jetzt in Stücke gehn. Aengstlich, aber von<lb/>
den Armen des Bräutigams beruhigend umschlungen, sitzt die Braut auf dem<lb/>
erhöhten Strohsitz und ersehnt das Ende der Fahrt. Nach diesem Wagen<lb/>
kommen die übrigen daher, zweispännig, oft weit zurückbleibend, und wie auch<lb/>
beschleunigt, doch mit ruhigerem Rollen vorwärts eilend. Weit hinaus zum<lb/>
Dorfe verlängert sich der Brautzug, und es sind nicht die letzten Wagen, die<lb/>
hier im Aehrenfeld verschwinden oder dort auf dem Hügel vor aufwallenden<lb/>
Wegstaub kaum sichtbar sind. Das ganze Dorf ist in Aufruhr. Wer nicht<lb/>
Gast ist, der ist an die Thore geeilt und jauchzt den Neuvermählten entgegen.<lb/>
Das Geflügel flattert aufgescheucht empor und gackert von den Zäunen; ein<lb/>
paar borstige Eber sind wild geworden und galoppiren, quer durch die Umfrie¬<lb/>
dung des Obstgartens brechend, weit hinaus auf die wachholderduftige Palve.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_595"> Das ist ein wahres Bild einer solchen lithauischen Hochzeit mit ihrer<lb/>
Wildheit, mit ihrem Jauchzen, mit ihrem Hinauöstürmen aus der Ruhe der<lb/>
Jugend und ihrem Hineinjubeln in die Sorgen des reiferen Alters. Alles<lb/>
Sinnen des Knaben und des Mädchens ist ein Jahr vor-her auf diese Hochzeit<lb/>
gerichtet, und manche Dama singt von dem wackern Mägdlein im Häuschen<lb/>
am blinkenden See, wo des Birkenwäldchens Saum sich hinzieht; singt von<lb/>
den Aeuglein, die es dem Jüngling angethan, von dem stillen, verschämten<lb/>
Werben durch verheimlicheude Blicke und bekennende Blumensträuße; besingt<lb/>
den Abschied der Braut von den lieben Eltern, von dem kleinen Haus, dem<lb/>
leuchtenden Herd, dem grünen Garten, und singt von dem Einzug in die<lb/>
stattliche Wohnung des Bräutigams.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_596" next="#ID_597"> Dies Liebesleben ist der Inhalt der meisten Dainos, und diese sind so man¬<lb/>
nigfaltig variirt, daß eine Sammlung dieser Poesien eine sehr enge Auswahl<lb/>
zu treffen hat. Es gibt aber auch Dainoö von verschiedenartigem andern</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] soll, schneller als dieser selbst, der mit übermüthigen Gäulen bespannt den Weg daher durch das Dorf stürmt. Mehre Tage vorher sind die besten Pferde mit reinem Hafer gefüttert worden, um recht ausgelassen und „vom Haber ge¬ stochen" den Wagen nach sich reiße» zu können. Zeitgemäß hat vor einiger Zeit der Maler Löschten bei einer Ge¬ mäldeausstellung in Königsberg eine solche Heimkehr von der Trauung im Bilde vorgeführt und sich hierbei sowol durch die geschickte und sachgetreue Ausführung, als durch die Wahl des Gegenstandes manches Lob erworben. Wie hitzig und athemlos jagt hier der Platzmeister auf dem blutig gespornten Schimmel mit hochgcschwungencr Peitsche, von den Buben umjauchzt, durch das Dorf dem Hause des Bräutigams zu, um der Braut den Bierkrug ent¬ gegenzubringen und alles Uebrige zu den bekannten Hochzeitsbräuchen zuzu- rüsten, noch bevor der Hochzeitswagen selbst ihn hat einholen können! Der aber rollt ihm unaufhaltsam nrich; fast ungezügelt reißen ihn die übermüthigen Gäule fort; man glaubt, er müsse jetzt in Stücke gehn. Aengstlich, aber von den Armen des Bräutigams beruhigend umschlungen, sitzt die Braut auf dem erhöhten Strohsitz und ersehnt das Ende der Fahrt. Nach diesem Wagen kommen die übrigen daher, zweispännig, oft weit zurückbleibend, und wie auch beschleunigt, doch mit ruhigerem Rollen vorwärts eilend. Weit hinaus zum Dorfe verlängert sich der Brautzug, und es sind nicht die letzten Wagen, die hier im Aehrenfeld verschwinden oder dort auf dem Hügel vor aufwallenden Wegstaub kaum sichtbar sind. Das ganze Dorf ist in Aufruhr. Wer nicht Gast ist, der ist an die Thore geeilt und jauchzt den Neuvermählten entgegen. Das Geflügel flattert aufgescheucht empor und gackert von den Zäunen; ein paar borstige Eber sind wild geworden und galoppiren, quer durch die Umfrie¬ dung des Obstgartens brechend, weit hinaus auf die wachholderduftige Palve. Das ist ein wahres Bild einer solchen lithauischen Hochzeit mit ihrer Wildheit, mit ihrem Jauchzen, mit ihrem Hinauöstürmen aus der Ruhe der Jugend und ihrem Hineinjubeln in die Sorgen des reiferen Alters. Alles Sinnen des Knaben und des Mädchens ist ein Jahr vor-her auf diese Hochzeit gerichtet, und manche Dama singt von dem wackern Mägdlein im Häuschen am blinkenden See, wo des Birkenwäldchens Saum sich hinzieht; singt von den Aeuglein, die es dem Jüngling angethan, von dem stillen, verschämten Werben durch verheimlicheude Blicke und bekennende Blumensträuße; besingt den Abschied der Braut von den lieben Eltern, von dem kleinen Haus, dem leuchtenden Herd, dem grünen Garten, und singt von dem Einzug in die stattliche Wohnung des Bräutigams. Dies Liebesleben ist der Inhalt der meisten Dainos, und diese sind so man¬ nigfaltig variirt, daß eine Sammlung dieser Poesien eine sehr enge Auswahl zu treffen hat. Es gibt aber auch Dainoö von verschiedenartigem andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/204>, abgerufen am 23.07.2024.