Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.irdischen Welt ausdrücken sollen. Die Introduction ist entweder zu lang oder 2t*
irdischen Welt ausdrücken sollen. Die Introduction ist entweder zu lang oder 2t*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101188"/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558" next="#ID_560"> irdischen Welt ausdrücken sollen. Die Introduction ist entweder zu lang oder<lb/> zu kurz: sie ist nicht blos Decoration und doch auch im Grunde nicht mehr, und<lb/> nachdem der rothe Flor in die Höhe gezogen ist, der die beiden singenden Figuren<lb/> von dem Chorpersonale trennt, machen hinter demselben die fortgesetzten Geberden<lb/> der Venuödiener nur einen lächerlichen Eindruck. Bei dem Duett zwischen Venus<lb/> und dem Tannhäuser hat dem Componisten offenbar eine Art musikalischer Form<lb/> vorgeschwebt, allein er hat es verschmäht, dieselbe wirklich durchzuführen, und so<lb/> »ahmen wir davon nur den Eindruck einer heftigen Zänkerei mit uns, deren<lb/> Grund wir nicht enträthseln. Auch hier zeigt sich Wagner im Ausdruck nicht ganz<lb/> geschickt. Die Verwandlung soll durch den Ausruf des Tannhcinser: „mein Heil<lb/> ruht in Maria!" motivirt werden, allein dieser Ausruf steht weder dramatisch noch<lb/> musikalisch im Zusammenhange mit dem Vorhergehenden und daher überrascht<lb/> uns der Erfolg auf eine unangenehme Weise. Die Ueberraschung ist im Drama<lb/> nur dann berechtigt, wenn wir vorher durch die nöthige Spannung darauf<lb/> vorbereitet werden. Wagner mußte die Erinnerung an die Jungfrau Maria,<lb/> von der sonst im Stück nicht viel vorkommt und an die himmlischen Mächte<lb/> überhaupt, klar und ausführlich entwickeln, damit wir die Hand sehen, die das<lb/> Wunder thut; sonst ist es für uns nur die Hand des Maschinisten, wie in<lb/> Ballanda oder Satanella. Aus diesem Grunde ist es beiläufig zu erklären, daß<lb/> auf manches strebsame Gemüth die folgenden Aufführungen der Oper einen<lb/> günstigern Eindruck machen, als die erste; denn bei der ersten weiß man nicht,<lb/> was eigentlich vorgeht, mittlerweile hat man sich aber dnrch gedruckte Erklä¬<lb/> rungen davon unterrichtet und so freut man sich, das Wort des Räthsels zu<lb/> haben. Das ist aber nicht das richtige Verhältniß; ein wahres Kunstwerk ent¬<lb/> hüllt uns bei jeder neuen Darstellung immer tiefere verborgene Schönheiten,<lb/> über die wir bei dem ersten oberflächlichen Eindruck hinwegeilten; aber die all¬<lb/> gemeinen Umrisse der Handlung müssen uns beim ersten Anblick klar werden.<lb/> — Einen ähnlichen Fehler begeht Wagner nach der Verwandlung. Das erste<lb/> Ballet mochten wir als eine allgemeine Introduction hinnehmen, aber nachher<lb/> mußte uns deutlich gemacht werden, was wir eigentlich gesehen haben. Die<lb/> Oper kann das auf sehr einfache Weise leisten, wie es z. B. im Vampyr, in<lb/> der weißen Dame u. s. w. durch die bekannten Romanzen geschehen ist. Wir<lb/> werden unter wirkliche Menschen eingeführt und da muß uns klar gemacht<lb/> werden, was es im Volksglauben, der für uns dies Mal Realität sein soll,<lb/> mit dem Venusberge für eine Bewandtniß hat; es muß uns erzählt und musi¬<lb/> kalisch ausgemalt werden, daß im Hörselberg, den wir vor uns sehen, eine alte<lb/> Göttin haust, die mit dem Satan in ziemlich directer Verbindung steht, irrende<lb/> Ritter zu sehen.i hvoller Lust verlockt und sie endlich in die Hölle bringt. Das<lb/> Lied des Hirtenknaben, bei dem sich Wagner so etwas vorgestellt hat, leistet<lb/> diese Wirkung schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil wir es nicht ver-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 2t*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0195]
irdischen Welt ausdrücken sollen. Die Introduction ist entweder zu lang oder
zu kurz: sie ist nicht blos Decoration und doch auch im Grunde nicht mehr, und
nachdem der rothe Flor in die Höhe gezogen ist, der die beiden singenden Figuren
von dem Chorpersonale trennt, machen hinter demselben die fortgesetzten Geberden
der Venuödiener nur einen lächerlichen Eindruck. Bei dem Duett zwischen Venus
und dem Tannhäuser hat dem Componisten offenbar eine Art musikalischer Form
vorgeschwebt, allein er hat es verschmäht, dieselbe wirklich durchzuführen, und so
»ahmen wir davon nur den Eindruck einer heftigen Zänkerei mit uns, deren
Grund wir nicht enträthseln. Auch hier zeigt sich Wagner im Ausdruck nicht ganz
geschickt. Die Verwandlung soll durch den Ausruf des Tannhcinser: „mein Heil
ruht in Maria!" motivirt werden, allein dieser Ausruf steht weder dramatisch noch
musikalisch im Zusammenhange mit dem Vorhergehenden und daher überrascht
uns der Erfolg auf eine unangenehme Weise. Die Ueberraschung ist im Drama
nur dann berechtigt, wenn wir vorher durch die nöthige Spannung darauf
vorbereitet werden. Wagner mußte die Erinnerung an die Jungfrau Maria,
von der sonst im Stück nicht viel vorkommt und an die himmlischen Mächte
überhaupt, klar und ausführlich entwickeln, damit wir die Hand sehen, die das
Wunder thut; sonst ist es für uns nur die Hand des Maschinisten, wie in
Ballanda oder Satanella. Aus diesem Grunde ist es beiläufig zu erklären, daß
auf manches strebsame Gemüth die folgenden Aufführungen der Oper einen
günstigern Eindruck machen, als die erste; denn bei der ersten weiß man nicht,
was eigentlich vorgeht, mittlerweile hat man sich aber dnrch gedruckte Erklä¬
rungen davon unterrichtet und so freut man sich, das Wort des Räthsels zu
haben. Das ist aber nicht das richtige Verhältniß; ein wahres Kunstwerk ent¬
hüllt uns bei jeder neuen Darstellung immer tiefere verborgene Schönheiten,
über die wir bei dem ersten oberflächlichen Eindruck hinwegeilten; aber die all¬
gemeinen Umrisse der Handlung müssen uns beim ersten Anblick klar werden.
— Einen ähnlichen Fehler begeht Wagner nach der Verwandlung. Das erste
Ballet mochten wir als eine allgemeine Introduction hinnehmen, aber nachher
mußte uns deutlich gemacht werden, was wir eigentlich gesehen haben. Die
Oper kann das auf sehr einfache Weise leisten, wie es z. B. im Vampyr, in
der weißen Dame u. s. w. durch die bekannten Romanzen geschehen ist. Wir
werden unter wirkliche Menschen eingeführt und da muß uns klar gemacht
werden, was es im Volksglauben, der für uns dies Mal Realität sein soll,
mit dem Venusberge für eine Bewandtniß hat; es muß uns erzählt und musi¬
kalisch ausgemalt werden, daß im Hörselberg, den wir vor uns sehen, eine alte
Göttin haust, die mit dem Satan in ziemlich directer Verbindung steht, irrende
Ritter zu sehen.i hvoller Lust verlockt und sie endlich in die Hölle bringt. Das
Lied des Hirtenknaben, bei dem sich Wagner so etwas vorgestellt hat, leistet
diese Wirkung schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil wir es nicht ver-
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